Eine Assistenzärztin wird nach der Geburt ihres zweiten Kindes von ihren beiden Chefs rausgeekelt mit der Begründung, sie sei als Mutter unflexibel, unzuverlässig und gar frech, eine Teilzeitanstellung zu fordern. Ein Finanzbuchhalter muss plötzlich neue, familienunfreundliche Arbeitszeiten annehmen, bekommt seine versprochene höhere Stelle im Betrieb doch nicht, dafür aber die Kündigung am ersten Tag nach der Rückkehr aus dem Vaterschaftsurlaub. Eine Standortleiterin in einer Kommunikationsagentur, die 20 Jahre in den Aufbau ihrer Karriere investiert hat, um dann – mit Zwillingen schwanger – von ihrem Chef zu hören, eine Mutter in Führungsposition ginge auf keinen Fall, man könne nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Dass der Ehemann nach der Geburt zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert, interessiert den Chef nicht, ihr wird einen Tag nach dem Mutterschaftsurlaub gekündigt.
Diese drei Beispiele sind nur ein Auszug aus haarsträubenden Geschichten, welche Eltern in Deutschland erleben. Selbst schuld, wenn man Kinder bekommt? Das will das deutsche Frauenmagazin «Brigitte» nicht länger hinnehmen. So hat es sich mit dem Magazin «Eltern» und der Initiative «#proparents» zusammengetan und eine Petition mit dem Namen #GleichesRechtfürEltern gestartet. Das Ziel: Mit der Unterstützung der Unterzeichnenden dafür sorgen, dass «Mütter und Väter nicht länger benachteiligt und gemobbt werden». Während man sich gegen viele Formen der Diskriminierung in Deutschland juristisch wehren könne, klaffe bei den Rechten von Eltern eine Gesetzeslücke. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten sich dem Thema endlich annehmen und gemeinsam Lösungen finden.
Tatkräftige Unterstützung holen sich die Initianten von bekannten Persönlichkeiten, unter anderem aus der Unterhaltung, den Medien und der Politik. Mit dabei ist auch Schauspielerin und Moderatorin Collien Ulmen-Fernandes, 39. «Mutter oder Vater zu sein, darf kein Makel sein – weder im Job noch anderswo. Dass Menschen ihren Job verlieren oder auf dem Abstellgleis landen, weil sie es wagen, Elternzeit zu nehmen oder familienfreundliche Arbeitszeiten zu fordern, ist eine Frechheit», sagt sie in ihrem Kampagnen-Statement.
«Ich bin schockiert darüber, dass es in vielen Branchen im Jahr 2021 immer noch als Karrierekiller gilt, Elternzeit zu nehmen.»
Model und Influencerin Marie Nasemann
Auch ihre Kollegin Barbara Schöneberger, 47, macht mit: «Mütter leisten jeden Tag unfassbar viel. Allein aus dem Grund, kann ich jedem Unternehmen nur raten, stellt Mütter ein, denn, wer eh schon viel macht, der schafft noch viel mehr», sagt sie.
Marie Nasemann, 32, Model, Influencerin und bald zweifache Mutter ist ebenfalls dabei: «Ich bin schockiert darüber, dass es in vielen Branchen im Jahr 2021 immer noch als Karrierekiller gilt, Elternzeit zu nehmen. Und da die meiste Elternzeit nach wie vor Mütter nehmen, ist es kein Wunder, dass wir so einen grossen Gender Pay Gap haben», sagt sie. Sie hoffe, dass es irgendwann als normal gelte, Karriere zu machen und Kinder zu haben.
Sandra Runge, Mitbegründerin der Initiative #proparents, ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Mutter zweier Söhne. In den vergangenen zehn Jahren habe sie Hunderte solcher Fälle gesehen. «Es ist einfach unfassbar, ich kriege immer und immer wieder dieselben Situationen geschildert», sagt sie, «und alle fragen sich, ob sie ein Einzelfall sind. Aber das sind sie nicht! Ich sehe eine strukturelle Diskriminierung Müttern und auch immer mehr Vätern gegenüber.»
Frauen darf in Deutschland – wie auch in der Schweiz – nicht während der Schwangerschaft oder Elternzeit gekündigt werden. Das Problem bestehe aber in der Zeit danach. Denn dann kennt das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, auch oft Antidiskriminierungsgesetz genannt, Schikanen gegen Eltern einfach nicht. Heisst: Pech gehabt. Wird also einer Mutter direkt nach der Elternzeit gekündigt oder ihr die Führungsposition weggenommen, hilft auch eine Klage auf direkte Diskriminierung des Geschlechts nicht weiter, denn Väter gehen ja auch in Elternzeit, ihnen kann theoretisch das Gleiche passieren. Allerdings: Benachteiligte Väter, die sich um ihre Kinder kümmern, werden vom genannten Gesetz sogar komplett ausgeblendet. «Es ist absurd! Wir haben 20 Millionen Eltern in diesem Land, und wir fangen jetzt erst an, darüber zu reden, wie man sie nach dem Wiedereinstieg schützen kann», sagt Sandra Runge.
Mütter haben auf dem Arbeitsmarkt ein Imageproblem, auch hierzulande. Sie sind heute zwar so gut ausgebildet und bezahlt wie noch nie, gleichzeitig arbeiten sie überwiegend in Teilzeitanstellungen. Wenig hilfreich dabei ist das noch immer herrschende Frauenbild, ein Kind gehöre zur Mutter. Für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber heisst das nichts anderes, als dass besonders bei Müttern die Gefahr besteht, auszufallen, wenn das Kind krank oder die Kita mal geschlossen ist. Und so macht man es sich gerne leicht: Mütter bei Bewerbungen aussortieren, Mütter nach der Elternzeit rausekeln, Müttern Führungsaufgaben aberkennen – oder sie gar nicht erst so weit kommen zu lassen.
Während in Deutschland Mütter und Väter Anrecht auf je drei Jahre Elternzeit – bezogen vor dem achten Geburtstag des Kindes – haben, müssen sich Frauen in der Schweiz mit 14 und Männer mit zwei Wochen gesetzlichem Mutter-, beziehungsweise Vaterschaftsurlaub begnügen. Doch hierzulande sind Mütter nach dem Wiedereinstieg in den Beruf wenigstens für 16 Wochen vor einer Kündigung geschützt. Für Väter gilt dieses Gesetz allerdings nicht. Der Kündigungsschutz beinhaltet aber keinen Schutz vor Mobbing und Diskriminierung, vor nicht eingehaltenen Beförderungsversprechen und Verständnislosigkeit in Situationen, wenn Eltern ihre Kinder mal nicht hinten anstellen können, um im Job zu performen. Es gibt also auch bei uns noch reichlich zu tun, um die Situation von Müttern und Vätern flächendeckend zu verbessern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einfacher zu machen.
Weitere Informationen zu den Rechten und Pflichten von Eltern in der Schweiz findet ihr in diesem Artikel auf «Projuventute».