Reger Betrieb an diesem Mittwochnachmittag in der Stadtbibliothek Schmiedenhof in der Basler Altstadt. Mittendrin: Sibylle Rudin, 57. Die Leiterin der Basler Filialbibliotheken ist für die Leseförderung zuständig. Und weiss, wie man die Leidenschaft fürs Lesen entfachen kann.
Frau Rudin, weshalb ist Lesen so wichtig?
Weil Lesen riesiges Vergnügen bereitet und uns die Welt erschliesst! Wie sonst kann ich neue Dinge entdecken, die mir Freude machen und mich befähigen, selber Eigenes zu schaffen? Abgesehen davon, dass geringe Lese- und damit einhergehend geringe Schreibkenntnisse die Schulzeit, den Beruf und den Alltag sehr erschweren. Lesen, Schreiben und das Verstehen von Texten sind lebenswichtig.
Wie stehts mit der Lesekompetenz der Schweizer Kinder?
Ich kann da nur über die Erfahrungen sprechen, die wir in den Bibliotheken machen: Es gibt Leseratten und Kinder, die mit dem Lesen grosse Mühe haben. Für Kinder, die nicht in einem lesefördernden Umfeld aufgewachsen sind, kann es eine grosse Herausforderung sein, ein Buch zu lesen. Wir versuchen sie zu unterstützen, indem wir nicht allzu dicke Bücher anbieten oder eher solche mit grossen Buchstaben. Ebenso ist es wichtig, dass Kinder mit ihrer Muttersprache vertraut werden. Darum sind auch fremdsprachige Angebote wichtig.
Wo liegen die Ursachen für diese Probleme?
Eine mangelnde Sprachkompetenz der Kinder kann ein Problem darstellen. Oder sie wachsen in einem Umfeld auf, in dem wenig gesprochen wird, in dem der Fernseher das einzige Medium ist und die Kommunikation mit dem Smartphone bei den Eltern wichtiger ist als die mit den Kindern.
«Oft werden Kinder über Filme, die sie gesehen haben, zum Lesen des Buches angeregt.»
Somit sind auch Fernsehen und digitale Medien an der verschlechterten Lesekompetenz mitschuldig?
Nein, so einfach ist das nicht. Audiovisuelle Medien regen die Fantasie ja auch an, vermitteln Wissen, trainieren die Netzwerke im Gehirn. Oft werden Kinder über Filme, die sie gesehen haben, zum Lesen des Buches angeregt. Und was digitale Medien anbelangt: Sie zwingen ja auch zum Lesen und erlauben damit ein Üben der Lesefertigkeit. Aber natürlich heisst Buchstaben entziffern können nicht automatisch, dass die Kinder lesekompetent sind.
Was bedeutet es denn, lesekompetent zu sein?
Zur Lesekompetenz gehören das Verstehen, das Einordnen und Beurteilen von Texten. Deshalb ist es wichtig, dass ein Kind mit vielen verschiedenen Textarten wie Romanen, Comics, Sachbüchern oder Zeitschriften in Berührung kommt. Untersuchungen haben gezeigt, dass digitale Medien dann negative Auswirkungen auf Kinder haben, wenn die ständige Begleitung durch Smartphone und Co. die Konzentrationsfähigkeit der Kinder – und auch die der Erwachsenen – reduziert.
«Viele Kinder sind gut über Comics abzuholen.»
Mit welchen «Tricks» könnte man lesemüde Kinder denn zum Lesen bewegen?
Viele Kinder sind gut über Comics abzuholen. Deshalb haben die Verlage auf das Bedürfnis nach kurzen Texten mit Bildern reagiert und vermehrt sogenannte Comic-Romane auf den Markt gebracht. Wichtig ist auch, dass die Eltern die Kinder aufs Selberlesen neugierig machen, indem sie ihnen vorlesen. Ein Gang in die Bibliothek oder in die Buchhandlung zeigt den Kindern, dass es verschiedene Formate gibt, von denen ihnen sicher eines entspricht. Das Auswählen aus einer bunten Palette macht Spass. Und sollte das Bibliotheksbuch nicht halten, was es verspricht, kann es wieder zurückgebracht werden. Hilfreich sind auch Leseempfehlungen von Freundinnen oder Freunden: Ihre Meinung zählt!
Sehen Sie Unterschiede zwischen dem Leseverhalten von Buben und Mädchen?
Ja, Jungen lesen bekanntlich weniger. Wenn die Jungen aber auf Themen treffen, die sie interessieren, dann sind sie auch dabei! Auch hier wieder: Die Auswahl machts!
Welche Formen der Leseförderung bieten Sie gegenwärtig in Ihren Bibliotheken an?
Die Bibliotheken sind Leseförderorte per se. In den Bibliotheken wird die Technik des Lesens durch ungezwungenes, spielerisches Entdecken in einer angenehmen und inspirierenden Umgebung vertieft. Entgegen allen Unkenrufen steigt bei uns die Zahl der Ausleihen von Kinderbüchern stetig, wir müssen unser Angebot sogar ausbauen.
Abgesehen von den Büchern bieten Sie auch Workshops an?
Ja, in den GGG Stadtbibliotheken gibt es derzeit über 1000 Veranstaltungen, die sich explizit für die Leseförderung einsetzen. Von den «Värsli»-Spielen für die Kleinsten übers Geschichtenerleben gehts weiter bis zu den sogenannten «Bücherbanden», die sich im Winter wöchentlich treffen. Daneben unterstützen wir die Schulen mit einer breiten Palette von verschiedenen Workshops. Dabei ist es uns immer wichtig, die digitalen Medien einzubeziehen. Sie bieten viel kreatives Potenzial und lassen es zu, dass sich die Kinder spielerisch mit der Literatur oder der Kultur beschäftigen. Für ältere Jugendliche bieten wir Workshops zur Medienkompetenzan.