1. Home
  2. Family
  3. Alltag
  4. Handysucht erkennen und vorbeugen – Tipps für Eltern
Pausenlos am Bildschirm?

So können Eltern Handysucht erkennen und vorbeugen

Kinder und Jugendliche am Handy-Bildschirm – das gehört mittlerweile zum Alltag. Doch wann wird dieses alltägliche Bild zum Problem? Lilian Suter von der ZHAW erklärt, worauf Eltern achten können, um ihr Kind vor der Entwicklung einer ungesunden Handynutzung zu schützen.

Artikel teilen

Vier Kinder schauen in einen Handybildschirm

Dass Kinder auch mal gemeinsam Gamen, ist ok. Denn Gamen hat auch Vorteile für die kindliche Entwicklung. 

Getty Images

Französisch-Vokabeln büffelt das Kind mittels Karteikarten-Programm. Inspiration für modische Eskapaden findet es in sozialen Medien. Kontakt mit Freunden ist 24/7 auch virtuell möglich. Den Eltern gibt man per Messenger kurz Bescheid, dass man später kommt. Das Zugticket löst man in der App. Das Smartphone hat seinen Platz im Alltag von Kindern und Jugendlichen eingenommen. Und das zu Recht. Es erleichtert die Organisation und Informationsbeschaffung.

Es gibt allerdings auch die Kehrseite: Kinder, die im Restaurant während des Essens auf den Handy-Bildschirm schauen. Schulhöfe, die von Smartphones quasi stillgelegt wurden, weil niemand mehr Fussball spielt, sondern alle Minecraft. Besorgte Eltern, aber auch Fachpersonen, fragen sich: Lernen unsere Kinder überhaupt noch, sich selbst zu beschäftigen?

«Ich beobachte, dass viele Eltern sich Sorgen machen, ihre Kinder könnten handysüchtig werden.»

Lilian Suter

Lilian Suter, Medienpsychologin an der ZHAW, sieht die Entwicklung relativ entspannt: «Ich beobachte, dass viele Eltern sich Sorgen machen, ihre Kinder könnten handysüchtig werden. Das ist quasi die Nummer eins der Elternängste. Dabei entwickeln relativ wenige Kinder tatsächlich einen problematischen Umgang mit dem Handy.» Selbst wenn Kinder viel Zeit am Handy verbringen, entwickeln sie sich im Normalfall zu gesunden jungen Erwachsenen, meint die Expertin.

Internetsucht bei Jugendlichen

Kommunizieren, organisieren, informieren, lernen ... das Internet und seine Anwendungen erleichtern Jugendlichen Alltag und Schule. Doch wann wird die Nutzung problematisch? 2022 hat Sucht Schweiz erstmals eine nationale Studie zu Online-Aktivitäten von Jugendlichen in der Schweiz erhoben. Die Kernerkenntnisse:

  • Etwa ein sechstel aller 15-jährigen Schulkinder spielen täglich Videogames. Drei Prozent von ihnen weisen eine problematische Nutzung auf.
  • Vier von fünf Jugendlichen nutzen täglich soziale Netzwerke. In diesem Bereich weisen 7 Prozent eine problematische Nutzung auf. 

«Ein intensives Handyverhalten ist nicht zwangsläufig problematisch», erklärt Suter weiter. Denn nicht die Dauer der Bildschirmzeit sei relevant dafür, ob ein Kind eine Handysucht entwickelt. «Viel wichtiger ist, was ein Kind konsumiert.»

Medienpädagogin Eva Baumann pflichtet ihr bei. In einem früheren Interview mit SI Family sagte sie, dass man keine allgemein gültige Empfehlung für eine maximale Bildschirmzeit geben könne, weil die Art der Nutzung viel relevanter sei. «Wenn ich nur konsumiere, sind neun Stunden viel. Wenn ich ein eigenes Projekt umsetze, zum Beispiel einen Film realisieren will, eher zu wenig.» Mehr dazu in unserem Artikel: «Darum sollten Eltern mit dem ersten Smartphone fürs Kind nicht zu lange warten.»

Diese elterliche Handy-Strategie ist problematisch

Genauso relevant ist der Grund, warum ein Kind zum Handy greift – oder warum Eltern einem Kind ein Handy in die Hand drücken. «Ausnahmen sind kein Drama. Problematisch ist, wenn das zu einem Muster wird. Wenn man immer als Lösungsstrategie gegen Langeweile oder zur Gefühlsregulation dem Kind ein Handy in die Hand drückt. Oder wenn das Kind immer in diesen Situationen das Handy als einzigen Lösungsweg sieht», so Suter.

So wichtig ist Langeweile für Entwicklung und Glück

Es sei für die Entwicklung eines Kindes relevant, dass es verschiedene Strategien für den Umgang mit schwierigen Situationen lernt. «Ich kann Eltern also nur empfehlen, mit den Vorschlägen zu variieren, was sie dem Kind anbieten.» 

Online-Elternabend «Das erste Smartphone für mein Kind» mit Claudia Lässer, präsentiert von Swisscom, Volketswil, 14. November 2023, Lilian Suter Medienpsychologin ZHAW

Lilian Suter ist Medienpsychologin an der ZHAW und hat an folgenden Studien mitgewirkt: 

  • JAMES-Studie: JAMES steht für Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz und wird alle zwei Jahre repräsentativ durchgeführt. Es werden jeweils über 1000 Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren aus den drei grossen Sprachregionen der Schweiz befragt.
  • MIKE-Studie: Die MIKE-Studie untersucht repräsentativ das Mediennutzungsverhalten von Primarschülerinnen und Primarschülern in der Schweiz. MIKE steht für Medien, Interaktion, Kinder, Eltern. Für die Studie wurden über 1000 Kinder im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren und über 500 Elternteile in den drei grossen Sprachregionen der Schweiz befragt.
Fabienne Bühler

Lilian Suter, was passiert, wenn Kinder nicht lernen, Langeweile auszuhalten?
Das ist ein mega spannendes Forschungsgebiet, das erst langsam aufkommt. Man weiss noch relativ wenig über den Zusammenhang zwischen Langeweile und Medien. Allerdings kann man schon festhalten, dass es im Leben eine wichtige Kompetenz ist, Langeweile auszuhalten zu lernen. Da geht es um Fähigkeiten wie Selbst- und Emotionskontrolle, beides trägt zur Sozialkompetenz bei. Man befindet sich im Leben immer wieder in Situationen, in denen man die eigenen Bedürfnisse kurz zurückstellen oder etwas aushalten muss.

Auch der Kreativität soll es zuträglich sein, wenn man Langeweile aushalten lernt.
Das ist eine gängige Annahme. Wenn das Hirn immer nur konsumiert und permanent von etwas abgelenkt wird, kommt man nicht zum Verarbeiten, also zum eigentlichen Denken.

In welcher Langeweile-Situation finden Sie das Handy ok?
In Wartezimmern hat das Gerät ja die Magazine und Zeitschriften abgelöst. Ich finde es absolut in Ordnung, sich hier Ablenkung zu verschaffen. Man muss die Zeit ja irgendwie rumbringen, während man keine Möglichkeit hat, dort wegzugehen oder sich anderweitig zu beschäftigen.

In welcher Situation finden Sie das Handy keine angebrachte Lösung für Emotionsregulation oder das Überbrücken von Langeweile?
Grundsätzlich sollte man sich immer, wenn einem langweilig ist, fragen: Wie möchte ich damit umgehen? Und dann bewusst entscheiden: Möchte ich einfach konsumieren, also zum Beispiel durch die sozialen Medien scrollen, oder die Möglichkeit nutzen, das Handy für einen Mehrwert einzusetzen – etwas lernen, etwas lesen. Handyzeit ist nicht gleich Handyzeit. Die Art der Nutzung ist relevanter als die eigentliche Zeitspanne.

Wie sieht es mit der Häufigkeit aus?
Tatsächlich kann es problematisch sein, wenn Kinder keine anderen Strategien als die Handynutzung erlernen, um mit ihren Emotionen umzugehen. Mediennutzung kann eine Strategie sein, aber es sollte auf keinen Fall die einzige sein, die ein Kind kennt.

Handysucht ist selten. Doch sie kommt vor. Welche Alarmzeichen sollten Eltern erkennen?
Wenn Kinder aus dem Gleichgewicht geraten, wenn sie Freundschaften vernachlässigen, sich für ihre früheren Hobbys nicht mehr begeistern können oder die Schulnoten absacken. Denn dann wird das Handy womöglich als Fluchtmöglichkeit genutzt, es erfüllt also eine ähnliche Aufgabe wie andere Suchtmittel. Für Eltern ist es wichtig zu erkennen, dass problematische Handynutzung ihren Ursprung oft nicht beim Handy selbst hat, sondern an anderer Stelle. Die Aufgabe der Eltern ist es, dort hinzuschauen.

Bildschirmsucht vorbeugen, so gehts!

Welche Faktoren spielen eine Rolle beim Schutz vor Abhängigkeit? Die Stiftung Pro Juventute hebt fünf Punkte hervor, wie Eltern einen gesunden Umgang ihrer Kinder mit dem Smartphone fördern können:

  1. Resilienz üben: Kinder dabei unterstützen, einen guten Umgang mit Druck und Stress zu erlernen und ihre Fähigkeit, Langeweile und Frustration auszuhalten, fördern. Man darf dabei aktiv die Aufmerksamkeit des Kindes auch auf andere Interessen lenken.
  2. Vorbild sein: Den eigenen Medienkonsum immer wieder aktiv hinterfragen.
  3. Medienkompetenz fördern: Das Interesse des Kindes an der digitalen Welt für Gespräche über den Umgang mit Medien.
  4. Aufmerksam beobachten: Flüchtet sich das Kind mit seiner Smartphone-Nutzung vor Problemen oder Sorgen? Dann sollte man genau hinsehen und Begleitung zur Lösungsfindung anbieten.
  5. Hilfe in Anspruch nehmen: Wenn sich der Medienkonsum stark negativ auf andere Lebensbereiche eines Kindes, etwa die schulische Leistung, auswirkt, sollte man sich Hilfe holen. Eine erste Anlaufstelle ist die kostenlose Elternberatung von Pro Juventute. 

Allerdings müsse eine gute elterliche Führung in dieser Frage nicht zwangsläufig restriktiv sein, so Suter. «Es gibt viele Diskussionen um Handy- und Internetzeit. Ich rate Eltern, diese Fragen mit einer guten Portion Entspannung zu diskutieren.» Der stetige Streit und das dadurch entstehende destruktive Familienklima seien es nicht wert. «So kommt nur irgendwann beim Kind der Gedanke auf, es mache alles falsch. Das gilt es zu vermeiden.» Selbst wenn es Phasen mit intensiver Handynutzung gebe, so zeigt ihre Erfahrung doch, sagt Lilian Suter, dass die meisten Jugendlichen zu gesunden Erwachsenen heranwachsen.

Von KMY am 12. März 2024 - 06:33 Uhr