Freundschaften stärken die Empathie, das soziale Bewusstsein und das Selbstvertrauen von Kindern. Zusammen mit ihren Freundinnen und Freunden können Kinder Abenteuer erleben und neue Erfahrungen sammeln. Zudem lernen Kinder durch Freundschaften, Kompromisse einzugehen. Natürlich klappt dies nicht immer reibungslos. Auch Streit gehört zu Kinderfreundschaften dazu – genauso wie das anschliessende Versöhnen. Es können Gefühle wie Eifersucht und Wut aufkommen, doch auch dies ist eine Chance für persönlichen Wachstum.
Manchmal allerdings lohnt es sich, eine Kinderfreundschaft genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn was es unter Erwachsenen gibt, ist auch bei Kindern nicht selten: Toxische Freundschaften, in denen die Beziehung nicht auf Augenhöhe stattfindet und in denen sich eine Partei herabgesetzt und wertlos fühlt. Solche Freundschaften können der Entwicklung von Kindern schaden. Die Psychologin Stefanie Rietzler sagt: «Die Kinder fühlen sich oft stark unter Druck, ihrem Gegenüber zu gefallen und es ja nicht zu enttäuschen.» Das könne etwa dazu führen, dass sie bei gefährlichen Mutproben mitmachen oder Drittpersonen gegeneinander ausspielen, was sie im Grunde gar nicht möchten.
Keine sichere Beziehung
Toxische Freundschaften lassen sich unter anderem auch daran erkennen, dass das eine Kind eifersüchtig auf andere Freunde und Freundinnen ist und versucht wird, die Freundin oder den Freund zu isolieren. «Vor allem weiss man in toxischen Freundschaften nie, was man erwarten kann: Im einen Moment scheint alles gut, im nächsten schmollt oder wütet das Gegenüber ohne ersichtlichen Grund oder es zeigt einem die kalte Schulter», erklärt Stefanie Rietzler. Die Beziehung fühle sich nie sicher und entspannt an. Ausserdem werden Kinder in solchen Verbindungen gemäss Rietzler nicht selten abgewertet oder bedroht. Anders als bei Mobbing geht das schädliche Verhalten nicht von mehreren Kindern aus, die ein anderes Kind offensichtlich nicht mögen, sondern nur von einem Kind, mit dem man im Grunde befreundet ist. «Dieses sendet eine für das Kind verwirrende Mischung von Signalen aus, die ihm schaden und es verunsichern, es aber gleichzeitig in der ‹Freundschaft› halten und die Hoffnung nähren, dass vielleicht doch alles gut wird», sagt die Psychologin.
Folgende Alarmsignale können ein Indiz dafür sein, dass ein Kind eine ungesunde Freundschaft pflegt:
- Verhaltensveränderung: Verhält sich das Kind oft anders, nachdem es Zeit mit dem besagten Freund oder der besagten Freundin verbracht hat? Ist es beispielsweise gereizter, störrischer oder neigt es plötzlich zu emotionalen Ausbrüchen, könnte das darauf hindeuten, dass dem Kind dieser Umgang nicht guttut. Genauso, wenn das Kind plötzlich Dummheiten begeht, die nicht zu ihm passen.
- Verunsicherung: Toxische Freundschaften haben eine negativen Einfluss auf das Selbstbewusstsein. Ist das Kind nach dem Spielen mit einer Freundin oder einem Freund oft verunsichert, betrübt, besorgt oder lässt es sich vom anderen Kind herumkommandieren, ist das ein Alarmsignal.
- Isolation: Wenn sich das Kind plötzlich zurückzieht und nicht mehr an Aktivitäten teilnimmt, die ihm früher Spass gemacht haben, könnte es darauf hinweisen, dass es sich in einer Freundschaft nicht mehr wohl fühlt. Dasselbe gilt, wenn es andere Freundschaften vernachlässigt.
Verbote helfen nicht
Erkennt man solche Alarmsignale, sollte man das Gespräch mit dem Kind suchen und ihm seine Beobachtungen mitteilen. Gemäss Stefanie Rietzler könnte eine Konversation beispielsweise wie folgt aussehen: «Gell, dir ist ganz wichtig, dass Emily dich mag?» Dabei sollte man vorwurfsfrei und neutral bleiben. In einem zweiten Schritt könne man dem Kind den Zwiespalt bewusst machen: «Ich habe das Gefühl, Emily ist es sehr wichtig, den Ton anzugeben und dich für sich allein zu haben. Wie siehst du das?» Dann darf man direkt fragen: «Gibt es Momente, in denen du dich unwohl fühlst?» Ist das der Fall, könnte man gemeinsam Handlungsmöglichkeiten für weitere schwierige Situationen überlegen. «Wichtig ist, dass die Kinder selbst erkennen, dass ihnen die Beziehung nicht guttut – und nicht in die Not kommen, sich vor den Eltern rechtfertigen zu müssen. Keine gute Idee sei es, Freundschaften zu verbieten. Dies könnte den Effekt haben, dass «das Verbotene» noch anziehender wird und sich die Kinder oder Jugendlichen heimlich treffen. Besser ist es, Kinder in toxischen Freundschaften auf folgende Weise zu unterstützen:
- Zuhören: Lasst das Kind erzählen und wertet dabei nicht. Zeigt aber Verständnis und sagt etwas: «Das war nicht in Ordnung. Ich kann verstehen, dass dich das wütend macht.» Über das andere Kind schimpfen sollte man allerdings nicht.
- Sensibilisieren: Eltern können ihren Kinder von eigenen Erfahrungen mit ungesunden Freundschaften und ihrem Umgang damit erzählen. Am Besten schildert man konkrete Beispiele, erklärt, wie es einem in der Situation gegangen ist und welche Konsequenzen gezogen wurden.
- Neue Freundschaften ermöglichen: Indem das Kind neue Freundschaften knüpft, könnte die toxische Freundschaft an Wichtigkeit verlieren. Bringt das Kind deshalb mit anderen Altersgefährten zusammen, in dem es neue Hobbys ausprobieren und seinen eigenen Interessen nachgehen darf.
Im Idealfall lässt sich das Kind gar nicht erst auf eine toxische Freundschaft ein. Am ehesten ist das der Fall, wenn es die Anzeichen einer toxischen Freundschaft erkennt. Diese sind zum Beispiel:
- Das andere Kind ist rücksichtslos und respektlos.
- Es schliesst andere Kinder von Spielen aus.
- Das Kind sagt Dinge wie: «Du bist nicht mehr meine Freundin.» Dies gilt allerdings in der Regel erst für Schulkinder. Im früheren Alter ist das noch relativ normal.
- Ein Kind lässt das andere Kind Dinge tun, die es eigentlich gar nicht möchte.
- Es werden andere Freundschaften zerstört oder verboten.
Weiter zeigen Erkenntnisse aus der Bindungsforschung, dass eine sichere Bindung zu den Eltern Kinder vor toxischen Freundschaften schützen kann. Diese prägt das Beziehungskonzept sehr stark. Stefanie Rietzler sagt: «Kinder erleben in der Beziehung zu den Eltern, wie Liebe und Verbundenheit aussehen und was Menschen, die einen gern haben, dürfen und unterlassen.» So entdecke ein sicher gebundenes Kind etwa, dass es wertvoll ist, seine Bedürfnisse wichtig sind und es ausdrücken darf, wenn es ihm nicht gut geht und dass Grenzen respektiert werden. Diese Erfahrungen würden dabei helfen, sich in gesunde Freundschaften zu begeben.
Ausserdem können Kinder über entsprechende Literatur darauf sensibilisiert werden, was gesunde Freundschaften ausmachen und wo schädliche Verbindungen beginnen. Stefanie Rietzler hat zusammen mit ihrem Kollegen Fabian Grolimund das Bilderbuch «Freunde wie wir... Das gibt's nur einmal auf der Welt» für jüngere Kinder geschrieben sowie den Roman «Jaron auf den Spuren des Glücks» für Schulkinder.