Der Abstimmungssonntag naht. Eine Vorlage geht neben Kampfjets, Wölfen und Vaterschaftsurlaub beinahe unter: Wir stimmen über die Erhöhung der Kinderabzüge von den Steuern ab. Damit ist das wichtige Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie definitiv auf nationaler Ebene angekommen. Denn die höheren Kinderabzüge sollen genau diese fördern, so die Befürworter. Die Gegner bezeichnen die Vorlage hingegen als «Herdprämie» und argumentieren, dass nur ein Nein zu besserer Vereinbarkeit führen kann. Verwirrend, oder? Beginnen wir ganz von vorne.
Ursprünglich wollte der Bundesrat die Steuerabzüge für Fremdbetreuung erhöhen, damit sich die Arbeit für gut ausgebildete Mütter mehr lohnt. Wie? Die Abzüge für Drittbetreuung sollten von 10’100 auf bis zu 25’000 Franken erhöht werden.
Der CVP-Nationalrat Philipp Kutter wehrte sich gegen den Fokus auf Fremdbetreuung. Er wollte, dass auch Familien, die ihre Kinder im klassischen Familienmodell selber betreuen, von höheren Abzügen profitieren.
Was heisst das nun für die Abstimmung? Bei einem Ja steigen die allgemeinen Abzüge pro Kind von 6’500 auf 10’000 Franken – egal, ob die Kinder fremdbetreut werden oder nicht. Die ursprünglich vorgeschlagenen höheren Abzüge für Drittbetreuungskosten sind ebenfalls Teil der Vorlage.
Nebst der allgemeinen finanziellen Entlastung von Familien soll ein Ja auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Das, weil es sich durch die Abzüge wieder eher lohnt, arbeiten zu gehen. Ausserdem sollen explizit Familien von der Vorlage profitieren, die hohe Steuern zahlen. Wer sind die Befürworter? Die konservativen Parteien CVP, EVP, FDP, SVP und BDP sprechen sich für ein Ja aus.
Weil die Vorlage nicht gezielt die Fremdbetreuung unterstützt, verschlechtere sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Durch die Erhöhung des allgemeinen Abzugs sollen sich alte Rollenbilder zementieren. Ausserdem würden von den Abzügen hauptsächlich reiche Eltern profitieren. Der höchste Abzug ist ab einem jährlichen Haushaltseinkommen von 300’000 Franken möglich. Wer sind die Gegner? SP, GLP, Grüne und einzelne FDP-Politker*innen wie Christa Markwalder und Andrea Caroni.
Dass das wichtige Thema in der Politik diskutiert wird, ist gut und nötig – vor allem für berufstätige Frauen. Wie das Ziel von besserer Vereinbarkeit zu erreichen ist, daran scheiden sich jedoch im Parlament die Geister.
Der unabhängige Think-Tank Avenir Suisse stellte in einer Studie vom Juni fest, dass die Individualbesteuerung von Frau und Mann (auch wenn sie verheiratet sind) deutlich wirksamer wäre als eine allgemeine Erhöhung der Kinderabzüge. Weshalb? Wird nicht mehr das Familien- sondern das individuelle Einkommen besteuert, können mehr Frauen arbeiten, ohne mit ihrer Familie in eine höhere Steuerklasse zu rutschen. Mit der Erhöhung der Kinderabzüge würde sich laut Avenir Suisse die Einführung der Individualbesteuerung verzögern.
Wir sind gespannt, für welchen Weg sich die Schweizerinnen und Schweizer an der Urne entscheiden.