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  4. Wann kann ein Kind allein ins Freibad? Experte beantwortet wichtigste Elternfragen
Experte der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft SLRG klärt auf

Was Eltern wissen müssen, bevor sie ihr Kind allein in die Badi lassen

Wann darf ein Kind alleine ins Freibad? An dieser Frage beissen sich Eltern die Zähne aus. Reto Abächerli, Geschäftsführer der Schweizerischen Lebensrettungsgesellschaft SLRG und Fachmann für Entwicklungsprävention, ist selbst Vater von drei Kindern und erklärt, welche Überlegungen er wichtig findet.

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 Side view of child in swimwear and goggles with snorkel looking at camera while swimming in rippled pool, Model released RaulMellado_Lanzarote_090.jpg Copyright: xRaulxMelladox

Ganz allein sollte man Kinder sowieso nicht ans Wasser lassen – sondern mit Freuden, die sich am Wasser scherheitsorientiert zu verhalten wissen.

IMAGO/Addictive Stock

Reto Abächerli, Sie sind Vater von drei Kindern. Wann lassen Sie sie alleine in die Badi?
Meine Töchter sind elf, neun und sieben Jahre alt. Die Älteste haben wir bereits mit ihren Kolleginnen gehen lassen.

Unter welchen Bedingungen?
Man muss sein Kind gut kennen und einschätzen können. Bevor es zehn Jahre alt ist, würde ich kein Kind alleine in die Badi lassen. Sowieso nie ganz alleine. Für uns ist relevant, mit wem unsere Tochter unterwegs ist. Alle Mädchen können gut schwimmen, haben den Wassersicherheitstest bestanden, haben ein gutes Regelverständnis und kennen die Verhaltensweisen für verschiedene Situationen im Freibad oder Seebad.

«Ich bin der Überzeugung, dass man als Eltern auch die Verantwortung hat, Kinder Entwicklungsräume zu schenken.»

Reto Abächerli

Auch zehn Jahre tönt noch sehr jung …
Es kommt immer auf das Kind, seine Fähigkeiten und die Umstände an. Wäre meine älteste Tochter ein Rabauke, der überall Kopfsprünge macht, würde ich mir das auch nochmal überlegen (lacht). Man kann keine genaue Altersgrenze nennen. Aber ich bin der Überzeugung und die SLRG vertritt ebenfalls diese Haltung, dass man als Eltern auch die Verantwortung hat, Kinder Entwicklungsräume zu schenken. Sie können nur lernen, selbständig zu sein und risikobewusste Entscheidungen zu treffen, wenn wir es ihnen zutrauen. Es gibt immer Restrisiken, die gibt es ja sogar auf dem Schulweg. Alles zu umzäunen und jedes Risiko aus dem Weg zu räumen, ist meiner Meinung nach nicht der richtige Ansatz. So würde man eine Generation unmündiger Leute heranziehen. Dass Kinder mit Risiken verantwortungsvoll umgehen lernen, ist erstrebenswert.

Und das können sie erst ab zehn Jahren?
Ungefähr, ja. Man weiss aus der Hirnentwicklungsforschung, dass jüngere Kinder noch kein vorausschauendes Gefahren- und Präventionsbewusstsein haben können. Wenn sie zum Beispiel mit dem Trottinett um eine Hausecke fahren, können sie sich noch gar nicht vorstellen, dass dahinter eventuell etwas steht, in das sie hineinfahren könnten. So um die zehn Jahre herum besitzen die Kids dann in der Regel sowohl ein vorausschauendes Gefahren- sowie ein Präventionsbewusstsein. Vorher ist die elterliche Aufsicht das Mittel Nummer 1 zur Verhinderung von Unfällen.

«In der Altersgruppe, in der sich das vorausschauende Gefahrenbewusstsein beim Kind selbst entwickelt hat, gibt es nur äusserst selten tödliche Unfälle im Wasser.»

Reto Abächerli

Wie passieren Ertrinkungsunfälle am häufigsten?
Das unterscheidet sich sehr je nach Altersgruppe. Grundsätzlich kann man sagen, dass es bei den Unfallhergängen zwei Kategorien gibt. 1. Wenn jemand vom Sturz ins Wasser, der Strömung oder der Kälte überrascht wird. 2. Plötzliches Untergehen, bei dem man nicht immer weiss, was genau dahinter steckt. Dies kommt am ehesten vor, wenn eine primäre Erkrankung vorliegt, etwa ein kardiovaskuläres Problem, also vor allem in der Gruppe der Personen ab 50. Bei Kindern ist Ertrinken durch plötzliches Untergehen äusserst unwahrscheinlich.

Was ist der häufigste Auslöser für Ertrinkungsunfälle bei Kindern?
Bei den unter 6-Jährigen ist es klar die elterliche Aufsichtspflicht, die verletzt wird, weil sich die Aufsichtsperson etwa im Gespräch ablenken lässt oder aufs Handy schaut. Man unterschätzt gerne, wie lange man unaufmerksam war. In der Altersgruppe, in der sich das vorausschauende Gefahrenbewusstsein beim Kind selbst entwickelt hat und auch bereits ein Präventionsbewusstsein vorhanden ist, also bei den Kindern über 10 Jahren, gibt es spannenderweise nur äusserst selten tödliche Unfälle im Wasser. Wenn, dann sind es Stürze ins Wasser, wenn man zum Beispiel einem Fluss entlang spaziert.

Wie erklären Sie sich die Zunahme der Ertrinkungsunfälle in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen?
Hier kommen wieder andere Faktoren ins Spiel wie Gruppendynamik, Übermut und gleichzeitges Unterschätzen der Risiken – gerade bei jungen Männern. Dies ist entwicklungspsychologisch erklärbar.

In den vergangenen Tagen häuften sich die Meldungen von Ertrinkungsunfällen im Zusammenhang mit der Hitze in verschiedenen Altersklassen. Was ist dran am Glaubenssatz, dass man nie ohne Annetzen ins Wasser sollte?
Sich an der prallen Sonne aufzuheizen und dann direkt vom Sprungbrett ins Wssser zu springen, wirkt sicher nicht gerade unfallpräventiv. Annetzen hilft ganz klar dem Körper, sich auf einen Temperaturunterschied einzustellen. Wenn wir an einem heissen Sommertag in einen kühlen Fluss steigen, passiert etwas im Körper. Je nach Situation kann das einen Krampf oder sogar Kreislaufprobleme verursachen. Es ist also sinnvoll, erst einmal nur mit den Beinen ins Wasser zu stehen, sich den Oberkörper anzunetzen, dann weiter abzutauchen und sich dabei Zeit zu lassen, bis man vielleicht sogar den Kopf unter Wasser hält. Erst dann losschwimmen.

Wie verhält es sich mit dem Essen vor dem Schwimmen?
Früher sagte man, dass man einen gewissen Zeitraum nach dem Essen einhalten müsse, bevor man schwimmen geht. Das lässt sich so pauschal natürlich nicht sagen. Es kommt auf viele Faktoren an, etwa was man gegessen hat, wie viel davon und wie der Körper individuell darauf reagiert. Ich handhabe es mit meinen Kindern so: Ich achte darauf, dass sie weder mit leerem noch mit zu vollem Magen schwimmen gehen und dass sie genug getrunken haben. Denn sowohl Hunger und Dehydrierung wie auch Übersättigung und Völlegefühl beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit. Und das Wasser ist halt ein äusserst unglücklicher Ort, wenn man plötzlich nicht mehr mag. Ganz wichtig ist auch für Erwachsene, weder alkoholisiert noch unter Drogeneinfluss Schwimmen zu gehen.

«Es gilt, dass die elterliche Aufsicht das zentralste Sicherheitselement bleibt bei Aktivitäten von Kindern am, im und auf dem Wasser.»

Reto Abächerli

Wo sehen Sie Handlungsbedarf, was die Wassersicherheit angeht?
Weit über 90 Prozent der tödlichen Ertrinkungsunfälle passieren an Flüssen und Seen. Ich fände es sinnvoll, wenn nicht nur die Eltern, sondern auch die Schulen den Mut hätten, einen Teil des Schwimm- und Wassersicherheitsunterrichts an einem offenen Gewässer abzuhalten. Dass die Kinder also dort ein sicherheitsbasiertes Verhalten erlernen, wo auch tatsächlich die Unfälle passieren. Denn die Verhältnisse sind in einem Pool oder einem natürlichen Gewässer einfach nicht dieselben.

Was macht natürliche Gewässer so viel gefährlicher?
Sowohl Wassertrübe als auch Wassertemperatur sind in einem natürlichen Gewässer natürlich anders als in einem Pool. Auch Untiefen machen natürlich Gewässer unberechenbarer und eine Rettung manchmal extrem herausfordernd. Und im Fluss natürlich die Strömung.

Wann sollten Eltern damit anfangen, ihren Kindern Wassersicherheit beizubringen? Oder anders gefragt: Machen Babyschwimmkurse Sinn?
Ein Baby-Schwimmkurs hilft kaum, dass ein Kind im Notfall richtig reagieren kann. Wenn es in einen Fluss, einen Bach oder auch einen Pool fällt, hat es ein Problem, ob es nun das erste Schwimmabzeichen hat oder nicht. Oft geben Schwimmkurse eine falsche Sicherheit. Es gilt, dass die elterliche Aufsicht das zentralste Sicherheitselement bleibt bei Aktivitäten von Kindern am, im und auf dem Wasser.

Von KMY am 25. Juli 2022 - 07:09 Uhr