Marcel Kräutli, sie sind seit einem Jahr Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind OVK. Wo stehen die Väter in der Schweiz heute?
Die Frage ist nicht nur, wo sie stehen, sondern auch, wo sie stehen möchten. Väterlichkeit und Elternschaft sind stark im Wandel, alles läuft in Richtung mehr Involviertheit und Nähe der Väter. Niemand sollte aber den Anspruch haben, jetzt gleich alles anders zu machen.
Sind die Väter selbst denn zufrieden mit der Arbeitsteilung zu Hause? Die Debatte dreht sich ja meistens um die Care-Arbeit, von der die Frauen nach wie vor den grösseren Anteil übernehmen. Bezüglich Erwerbsarbeit leisten jedoch die Väter mehr.
In Umfragen sagen 75 Prozent der Väter, sie würden lieber weniger ausser Haus arbeiten, aber nur ein kleiner Teil macht das, und die meisten davon haben dann ein 80- bis 90-Prozent-Pensum. Dazu trägt unter anderem die Lohnungleichheit bei, sodass es vielen Paaren gar nicht möglich ist, Erwerbs- und Care-Arbeit 50/50 zu teilen, weil das Geld sonst nicht reicht. Wichtig ist, dass man sich als Eltern bewusst ist, was man will, und sich entsprechend einrichtet – ohne sich dann von überall her Vorwürfe anzuhören. Auch ein Vollzeit erwerbstätiger Vater kann eine gute Bindung zu seinen Kindern aufbauen. Indem er nicht nur am Wochenende super Unternehmungen mit ihnen macht, sondern auch da ist, wenn Fürsorge gefragt ist: am Wickeltisch, zum Trösten, etc.
Diesbezüglich scheinen auch die Mütter dazu beizutragen, dass sich nicht alle Väter zu Hause gleich eifrig einbringen. Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm sagt ja in ihrem Buch «Neue Väter brauchen neue Mütter», dass Väter eigentlich in der Familie mehr tun würden, würde man sie nur lassen.
Das scheint manchen Frauen tatsächlich nicht leicht zu fallen, den Männern diesen Raum zuzugestehen, die Verantwortung für die Kinder ganz abzugeben. Das ist immer wieder Thema in meinen Beratungen.
Was konkret erzählen die Väter diesbezüglich aus ihrem Familienleben?
Es geht um alltägliche Situationen wie Zähneputzen: Der eine Elternteil bringt das Kind vielleicht mit Faxen dazu, den Mund zu öffnen, der andere bevorzugt die strukturierte Weise. Oder beim Anziehen: Den einen ist es total wichtig, dass das Kind auch bei leichtem Regen die gute Jacke anzieht, andere sehen das nicht so eng. Oder beim Zvieri: Der muss bei einem Elternteil genau um vier Uhr terminiert sein – der andere bevorzugt einen spontanen Tagesablauf. Ich sage den Vätern in den Beratungen jeweils, dass sie es nicht gleich machen müssen wie ihre Partnerinnen und es dem Kind nichts bringt, wenn sie «die bessere Mutter» sein wollen. Für das Kind ist es positiv zu sehen, dass es verschiedene Wege gibt – solange beide Elternteile das gleiche Ziel haben. Hier appelliere ich an das gegenseitige Vertrauen. Aber solche Dinge sollten Paare eigentlich schon vor ihrer Elternschaft besprechen.
Wie sollten sie das tun? Vor dem ersten Kind haben wir alle doch keine Ahnung, was da auf uns zukommt.
Ich empfehle Vätern trotzdem, schon vor der Geburt mit dem anderen Elternteil über ein gemeinsames Rollenverständnis zu reden, und sich auch zu überlegen, wer ihnen Unterstützung bieten kann, wenn das Baby da ist: um Raum zu schaffen, Eltern zu sein, aber auch Paar zu bleiben. Verlässliche Menschen im Umfeld sind Gold wert – nur schon, um mal kurz eine Pause zu haben, um zu zweit einen Kaffee zu trinken und zu plaudern. Da es viel bringt, wenn Paare solche Dinge schon vor der Geburt besprechen, bemühen wir uns um entsprechende Plattformen, zum Beispiel das Integrieren von väterspezifischen Impulsen anlässlich von Geburtsvorbereitungskursen. Das Geburtshaus St. Gallen zum Beispiel ergänzt ab dem kommenden Jahr die Geburtsvorbereitungskurse mit einer Väterrunde.
Mit welchen Themen richten sie sich dort an die Väter?
Es ist ein Austausch über die neue Rolle als Vater, Partner, Berufsmensch, Freund; darüber, wie man zu dem Mann geworden ist, der man ist, wer und was einen geprägt hat, und darüber, was für ein Vater jemand sein will. Und wir zeigen auf, was für Vorteile es für das Kind hat, wenn der Vater involviert ist.
Was für Vorteile sind das?
Kinder, bei deren Erziehung sich beide Elternteile einbringen, haben Vorteile auf verschiedensten Ebenen. Sie lernen zum Beispiel anders, weil sie mehr Lernvorbilder haben, ihre Sprachentwicklung geht zügiger voran, und sie erleben eine andere Spielkultur.
Ein weiteres Fazit nach einem Jahr als Väterberater?
Ich bin überrascht, wie offen viele Väter sind, neue Wege zu gehen. Aber ich habe in der Beratung natürlich vor allem mit Männern zu tun, die ohnehin schon eine Grundsensibilität haben, die sich Gedanken machen über ihre Rolle. In unseren Gesprächen geht es oft darum, wie sie einen gesunden Umgang finden können mit den unterschiedlichen Ansprüchen, welche mit dem Vatersein in der heutigen Zeit einhergehen. Eine meiner Erkenntnisse dazu: Papi muss das alles nicht so wie Mami können. Es reicht vollauf, wenn er es wie Papi kann.
Im ersten Teil unseres Gesprächs erzählt Väterberater Marcel Kräutli, was Schweizer Papas sonst noch beschäftigt.