Jonglage gehört für einen Zirkusmann wie Johannes Muntwyler, 57, zum Alltag. Die Fragen, mit denen er vergangenes Frühjahr jonglierte, waren allerdings schwieriger zu beantworten, als er sich das bis anhin hatte vorstellen können. Sollen wir diese 36. Tournee antreten? Wie halten wir die Covid-Regeln ein? Haben die Leute überhaupt Lust auf Zirkus?
Die Antwort auf die letzte Frage zeigte sich nach Tourstart schnell: Sie haben. Nach einer eineinhalbjährigen Zwangspause freute sich das Publikum genauso auf das Programm «Cirque je t’aime!» wie die Macherinnen und Macher. Dabei hat Zirkusdirektor Muntwyler die Zeit seit dem Lockdown nicht nur als negativ erlebt: «Von einem Tag auf den anderen war der Druck weg. Ich hab erst da gemerkt, wie gross der gewesen ist.» So gab die Zeit Familie Muntwyler nicht nur die Gelegenheit, das Winterquartier in Wohlen AG richtig zu entrümpeln, sondern auch den Kopf durchzulüften. Mit umso mehr Elan startete sie in diese spezielle Zirkussaison.
Ungewöhnlich ist, dass diesmal kein Familienmitglied in der Manege mitwirkt. Sowohl Johannes als auch seine langjährige Partnerin Armelle Fouqueray, 54, und seine Söhne Tobias, 28, Mario, 25, und Nicola, 19, sind hinter den Kulissen tätig. Der Jüngste zum ersten Mal. Er hat eben seine Lehre als Zimmermann abgeschlossen und ist nun Teil des Werkstattteams. Im Gegensatz zu seinen Brüdern ist Nicola auch als Kind nur während einer Tournee aufgetreten. «Ich liebe den Zirkus, aber ich fand die Technik und die Maschinen schon als Bub spannender als die Aufführungen.»
Die Kindheit im Zirkus sei grossartig gewesen, auch wenn sie nicht nur Sonnenseiten hat. «Man hat vermutlich nicht ganz so viele Freunde wie andere, und ein Hobby in einem Verein kannst du vergessen», erzählt Mario. «Dafür haben wir immer wie-der neue Leute kennengelernt.» Zudem hatten sie mehr von ihrem Vater als andere Kinder. «Ich war ja immer in ihrer Nähe. Wenn irgendetwas war, konnte ich sofort da sein», sagt Johannes Muntwyler.
Ihm war allerdings wichtig, dass seine Söhne eine Lehre ausserhalb des Zirkus machen. «Sie sollten sich in der realen Arbeitswelt behaupten lernen.» Tobias und Mario absolvierten eine kaufmännische Ausbildung. Tobias ist heute für die Zeltvermietung, den Auf- und Abbau und die Logistik zuständig. Mario war nach seinem KV-Abschluss ein Jahr als Artist unterwegs, merkte aber: «Das ist mir zu eintönig.» Er arbeitet im Monti-Büro für die Bereiche Finanzen, Administration und Programmgestaltung, absolviert nebenher eine betriebswirtschaftliche Weiterbildung. Ganz auf die Bühne verzichtet er allerdings auch dieses Jahr nicht, er tritt bis Ende Januar 2022 regelmässig im Vorstadt Variété Schaffhausen auf.
Dass sie nach der Ausbildung in den väterlichen Zirkus zurückkehren, war für keinen der drei jungen «Montis» eine Frage. «Das freut mich sehr. Ein Muss war und ist es aber nicht», betont Johannes Muntwyler. Das Familienleben im Zirkus ist auch für Erwachsene speziell. Zwar haben Tobias, Mario und Nicola je einen eigenen Wohnwagen, diese stehen aber direkt vis-à-vis vom Wohnwagen, den ihr Vater mit seiner Lebenspartnerin teilt. Zu eng werde es nie, sagt Tobias. «Wir haben ja alle unterschiedliche Jobs, da laufen wir einander während des Tages gar nicht so oft über den Weg.» Das gelte auch für sie und ihren Partner, meint Armelle Fouqueray, die für Castings und Engagements und die Betreuung der Künstlerinnen und Künstler zuständig ist. Wenn sie Zeit hat, kocht sie für die gesamte Familie. «Das ist doch schöner, als jeden Tag nur zu zweit zu essen.»
Ob die dritte Monti-Generation den Zirkus übernimmt, den ihre Grosseltern Hildegard und Guido Muntwyler 1985 gegründet haben, wird sich zeigen. Vorstellen können es sich Tobias, Mario und Nicola. «Dazu überreden oder gar zwingen werde ich sie auf keinen Fall», sagt ihr Vater. «Traditionen sind etwas Schönes, aber keine Tradition der Welt ist Zwang wert.»
Noch schauen Muntwylers nicht so weit in die Zukunft. Bis Ende November sind sie auf dem Zürcher Kasernenareal, dann gehts ins Winterquartier in Wohlen, wo bis Ende Jahr Monti’s Variéte stattfindet. Für 2022 wünscht sich Johannes Muntwyler «wieder mehr Unbeschwertheit und ein Umfeld, das es uns ermöglicht, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Zirkus».