Wenn ich an die erste grosse Liebe in meinem Leben denke, dann kommt mir natürlich Antonio in den Sinn. Wir waren zusammen im Chindsgi. Das war quasi meine erste romantische Liebe.
Da ist aber eine andere grosse Liebe in meinem Leben. Eine, die schon von Anfang an da war. Und immer noch ist. Und mit aller Sicherheit dieser Welt immer sein wird: meine grosse Schwester.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Meine grosse Schwester ist alles andere als perfekt. Sie kann mächtig nerven. Und sie weiss gerne mal alles besser. Das Schlimme: sie weiss es oft wirklich besser. Das ist nervig. Noch mehr als nervig aber ist das hilfreich.
Ich habe keine Ahnung, wie oft mich meine grosse Schwester aus sehr misslichen Lagen befreit hat. Der erste Liebeskummer, schlechte Noten in der Schule, das erwischt werden beim Kiosk-Kaugummi klauen. Meine Schwester hat sich immer schützend vor mich gestellt.
Wollten meine Eltern mit mir schimpfen, führte kein Weg an ihr vorbei. Ich kann mir keinen besseren Bodyguard vorstellen. Zumal wir charakterlich komplett verschieden sind. Gelte ich als die Herzige und Liebe von uns beiden, nenne ich die grosse Schwester liebevoll «Pitbull».
Wurden meine Eltern mal laut, mischte sich die Grosse ein und stellte sich vor mich. Auch dann, wenn ich wirklich einen Unsinn gemacht habe. Erst hinter verschlossenen Kinderzimmer-Türen sagte sie mir wüst, wenn ich es verdient hatte.
Als ich mit 15 zum ersten Mal richtig verschossen war, half mir die Grosse, mich abends noch einmal husch rauszuschleichen, um zu knutschen. Nun raten Sie mal, wer auf den Deckel bekommen hat, als wir aufgeflogen sind? Richtig. Die grosse Schwester! Ihr war das egal. Hauptsache ich war glücklich.
Allgemein musste meine grosse Schwester so viel mehr einstecken als ich. Wollte sie in den Ausgang, musste sie um jede Minute kämpfen. Alleine in die Ferien? Fast eine Mission Impossible. Ihr Freund, der zum ersten Mal bei uns übernachten wollte? Ein XL-Fight. Das ist das Los der Ältesten. Während sie für ihre Bedürfnisse kämpfen und einstehen müssen, flutschen wir Kleinen einfach easy nach.
So durfte ich schon sehr früh bis zum letzten Zug wegbleiben. Meine ersten Ferien auf der Partyinsel Zypern wurden mir mit knapp 18 Jahren sehr easy erlaubt. Mein erster richtiger Freund durfte so oft bei uns ein- und ausgehen wie er wollte.
Heute sind meine Schwester und ich selber Mamis. Meinen Sohn habe ich letzten Juni zur Welt gebracht. Wegen Corona durfte ich im Spital keine Besuche empfangen. Das fand ich vor allem deswegen so schlimm, weil ich meine ersten Tage als Mama nicht mit meiner Schwester teilen konnte.
Unser Bub war dann übrigens gerade mal 20 Minuten alt, als er meine Schwester dennoch zum ersten Mal gesehen hat. Ihre Nummer war es nämlich, die ich als erste gewählt habe, als ich in der Lage war zu facetimen. Meine Eltern sind deswegen nicht beleidigt. Sie kennen es nicht anders. Mehr noch: Sie freuen sich, dass meine grosse Schwester und ich uns haben.
Während früher kein Blatt Papier zwischen uns Platz hatte, sieht das heute anders aus: Wir finden unsere gemeinsamen Mami-Tage das Grösste. Und nicht nur wir sind super happy damit. Wenn wir meine Nichte und meinem Sohn zusammen sehen, erkennen wir uns in den beiden wieder.
Die lieben sich, die zanken sich, die himmeln sich an.
Mein Sohn hat vielleicht keine echte grosse Schwester. Seine Cousine könnte dennoch die beste «grosse Schwester» sein, die ihm passieren konnte.