Ein Trend aus den USA erreicht auch die Schweiz: Fertility Benefits. Unternehmen unterstützen ihre Mitarbeitenden finanziell bei der Familienplanung und bezahlen Leistungen wie In-vitro-Fertilisation (IVF) oder Social Freezing. Ein attraktives Angebot oder ein verstecktes Druckmittel? Unsere jungen Autorinnen sind unterschiedlicher Meinung.
Olivia (28): «Frauen erhalten ein Stück Freiheit zurück»
Fertility Benefits geben Frauen die Möglichkeit, eine Karriere zu verfolgen, ohne auf das Ticken der biologischen Uhr achten zu müssen. Karriereorientierte Frauen werden in der Gesellschaft noch immer dafür verurteilt, während bei erfolgreichen Männern gerne das Stichwort «Familienvater» fällt, um ein positives Bild zu vermitteln. Eine «Familienmutter» habe ich noch nie angetroffen.
Das Aufschieben der Familienplanung kann für berufstätige Frauen so einige finanzielle Vorteile mit sich bringen. Sie haben die Möglichkeit, ihre Vorsorge aktiv zu gestalten und eine solide dritte Säule aufzubauen, um später nicht in eine Rentenlücke zu geraten. Wenn Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen das Einfrieren der Eizellen ermöglichen, geben sie ihnen ein Stück Freiheit zurück. Zugleich profitieren Firmen von der Kompetenz der Frauen, die sich nun voll und ganz auf ihren Job fokussieren können.
Natürlich wäre es ideal, wenn Karriere und Kinder problemlos miteinander vereinbar wären. Doch so fortschrittlich ist die Schweiz faktisch nicht. Die Zahlen sprechen für sich: In heterosexuellen Haushalten arbeiten laut dem Bundesamt für Statistik Frauen mit Kindern und Partner nur selten Vollzeit. Erst wenn die Kinder zwischen 13 und 24 Jahre alt sind, steigt der Anteil vollzeitbeschäftigter Mütter mit Partner auf gerade einmal 20 Prozent. Währenddessen verharrt der Anteil vollzeitbeschäftigter Väter mit Partnerinnen konstant bei rund 80 Prozent. Ein ähnliches Bild bietet sich in der Führungsetage: Laut dem Schilling-Report liegt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber bei 19 Prozent, die restlichen 81 Prozent sind Männer.
Dass Teilzeitarbeit ein Karriere-Killer ist, haben zahlreiche Studien belegt. Wer Teilzeit arbeitet, wird seltener befördert, weniger in strategisch wichtige Projekte eingebunden und insgesamt schlechter bewertet. Das bedeutet: Reduziert man seine Arbeitszeit, nimmt man erhebliche Nachteile in Kauf. Einmal in der Teilzeitfalle gelandet, wird der Aufstieg zur Chefetage schnell zur Sackgasse. Die Schweizer Wirtschaft und Unternehmen haben selbst eine Kultur anerzogen, die Teilzeitarbeitende benachteiligt. Es ist nur fair, dass sie dafür die Quittung erhalten und mit konkreten Massnahmen wie Fertility Benefits zumindest ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit schaffen.
Jana (29): «Eine Verlagerung des Problems»
Fertility Benefits versprechen Frauen mehr Flexibilität in ihrer Karriere. Eine Geste, die Druck erzeugt und nicht das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf löst. Die Elternschaft so gestalten, wie man es sich wünscht – das klingt fortschrittlich. Mitarbeitenden soll mehr Freiheit bei der Familienplanung ermöglicht werden.
Aber die unterschwellige Botschaft ist klar: Karriere zuerst, Kinder später. Für Paare, die diesen Weg ohnehin bevorzugen, sind Fertility Benefits womöglich eine wertvolle Unterstützung. Frauen, die aber mit Anfang 30 oder früher schwanger werden wollen, könnten sich indirekt unter Druck gesetzt fühlen, ihre Familienplanung zugunsten der Karriere aufzuschieben und in jüngeren Jahren für das Unternehmen «verfügbar» zu bleiben. Ausserdem besteht das Risiko, dass Arbeitgeber unbewusst diskriminieren, wenn sie bei Beförderungen darauf achten, ob Mitarbeitende ihre Familienplanung durch Fertility Benefits verschoben haben.
Das kann dazu führen, dass Frauen, die früh Kinder bekommen möchten, als weniger karriereorientiert wahrgenommen und benachteiligt werden. Unternehmen, die Fertility Benefits anbieten, argumentieren mit mehr Flexibilität für die Karriere. In der Schweiz haben Frauen seit 2012 die Möglichkeit, ihre Eizellen einfrieren zu lassen. Ein Angebot, das gemäss Fachpersonen stetig an Interesse gewinnt und die Chancen auf ein Kind bewahrt. Doch die Forschung zeigt, dass die meisten Frauen ihre Einzellen nicht einfrieren lassen, um sich voll auf den Job zu konzentrieren. Stattdessen sind es persönliche Lebensumstände, die sie dazu bewegen: Viele haben keinen Partner oder sind zum Beispiel an Krebs erkrankt. Krebsbehandlungen wie Chemotherapien können nämlich die Eizellen schädigen. Diese Gründe unterstreichen, dass Familienplanung eine individuelle und private Entscheidung ist – und nicht in den Verantwortungsbereich von Arbeitgebern gehört.
Statt sich in diesen sensiblen Bereich einzumischen, sollten Unternehmen vielmehr langfristige Veränderungen wie flexible Arbeitszeiten und bessere Elternzeitregelungen fördern. Fertilitiy Benefits allein verlagern das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf lediglich nach hinten, anstatt die Ursachen zu bekämpfen.