Aus dem Küchenfenster von Aline Tredes Reihenhäuschen im Berner Weissenbühlquartier riecht es nach Fischstäbli. Am Esstisch sitzt die grüne Nationalrätin mit ihren beiden Kindern. Der Sohn, 9, spielt «Minecraft» auf dem iPad, die Tochter, 6, mit Playmobil-Rössli. Papa Jöel Widmer, 45, ehemaliger Co-Politikchef beim «Blick», macht heute den Abwasch. Tredes Vater Richard, 71, serviert der Tochter einen Kaffee. «Mein wichtigster Job», scherzt er.
Auf den ersten Blick ein ganz normaler Familienalltag. Mit dem Unterschied, dass Trede und Widmer kein Paar mehr sind. «Wir sind seit zwei Jahren getrennt und geschieden», sagt sie. Die beiden wohnen aber immer noch unter einem Dach. «Nestmodell nennt man das», so die Politikerin.
Konkret: Die Kinder bleiben im Nest, sprich im ursprünglichen Zuhause der Familie – die Eltern wechseln sich in der Betreuung ab. «Für die Kinder hat sich gar nicht so viel geändert.» Ein grosser Vorteil des Modells sei, dass der Nachwuchs nicht pendeln oder sich für einen Elternteil entscheiden müsse.
Die vergangenen zwei Jahre waren für die Politikerin nicht nur privat herausfordernd. Im Mai 2020 wählten die Grünen die Umweltwissenschaftlerin zur Fraktionspräsidentin. Eine Aufgabe, die «trotz viel Aufwand fägt», die sie aber nicht ganz freiwillig übernommen hat. «Unsere Fraktion ist auf einen Schlag von 12 auf 35 Personen gewachsen – zwei Drittel davon neu gewählt. Und die anderen Erfahrenen wurden als Kommissionspräsidenten oder Vize-Nationalratspräsidentin vorgeschlagen. Ich konnte eigentlich gar nicht Nein sagen.»
Und dies obwohl die Umstände ihrer Abwahl 2015 nach drei Jahren im Parlament noch immer an ihr nagen. Damals nominierten die Berner Grünen nicht die junge Städterin, sondern die weniger bekannte Oberländerin Christine Häsler für den Ständerat – um Stimmen auf dem Land zu holen.
Häsler schaffte die Wahl nicht, Trede wurde abgewählt. Seit Sommer 2018 sitzt sie erneut im Nationalrat. «Ich finde es ärgerlich, wenn wir die Stadt gegen das Land ausspielen – auch in der aktuellen Debatte!»
Nun zieht es die Städterin Trede selbst vermehrt ins Grüne. Ihr neuer Partner Thomas Peter, 42, kommt aus Heiligenschwendi im Berner Oberland. «Er wohnt dort auf dem Hof eines Kollegen», sagt Trede. Kennengelernt haben sie sich aber nicht im Stall, sondern über den Beruf – Peter, der ebenfalls Kinder hat, arbeitet im Radsportbereich, Trede ist Vorstandsmitglied von Pro Velo Schweiz und Co-Präsidentin für die Radsport-Nachwuchsstiftung Be Cycling.
«Ich möchte mir auf dem Land eine zweite Heimat aufbauen», sagt sie. Selbst wenn das bedeute, statt mit ihrem geliebten Velo mit Zug und Bus nach Heiligenschwendi zu pendeln. «Ich kann schon verstehen, warum man auf dem Land ein Auto hat – aber der ÖV ist richtig gut.» Dafür habe ihr bisher kein Bauer vor Ort erklären können, warum die Bauernlobby in Bern Parmelins grüne Agrarpolitik 22+ abgeschossen hat. Trede lacht.
Ihren Humor hat sie trotz Rückschlägen behalten. «Ich habe gelernt, dass Scheitern kein Weltuntergang bedeutet. Das macht mich gelassener.» Dennoch habe sie manchmal das Gefühl, dass man einer Politikerin, die gern einen frechen Spruch macht und am Feierabend mit Kollegen anderer Parteien ein Bier trinkt, weniger Fleiss attestiere. «Kürzlich fragte mich ein Ständerat, ob ich denn neben dem Fraktionspräsidium nicht arbeite.»
Tut sie, zu 20 Prozent in der von ihr mitgegründeten Firma Büro Albatros. Dort erstellt Trede mit ihrem Team Social-Media-Auftritte für Firmen, gründet Geschäftsstellen und betreut Kampagnen. Dabei ist schon das Nationalratsmandat laut einer neuen Studie ein 87-Prozent-Job. «Wenn mich jemand fragt, wie das alles geht, sage ich ehrlich: Es geht eben nicht immer.» Ein Schwimmkurs mit den Kindern einmal pro Woche? Keine Chance! Telefonanfragen der Journalisten während der Familienferien? Nimmt sie nicht entgegen.
Damit Familie und Beruf besser vereinbar sind, fordert Trede seit Jahren mehr Jobsharing – bis hinauf in den Bundesrat. Philipp Matthias Bregy, Fraktionschef Die Mitte, sagt: «Auch wenn wir politisch oft anderer Meinung sind: Bei Aline Trede stehen stets die Menschen im Mittelpunkt.» Obwohl Trede und ihr Ex-Mann die Tage mit den Kinder aufgeteilt haben – ohne die Unterstützung ihrer Eltern würde nichts funktionieren.
Der Vorteil: Sie wohnen im Haus vis-à-vis, wo Trede aufgewachsen ist. «Ich habe Aline stets ermuntert, in die Politik zu gehen, darum ist es für mich klar, dass wir ihr bei der Betreuung unter die Arme greifen», sagt Richard Trede, ehemaliger Leiter Pflege und Pädagogik der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bern.
Trede ist dankbar, dass ihr Nestmodell bisher funktioniert. «Jede dritte Ehe wird geschieden – darüber zu reden, ist wichtig.» Auch für einen besseren Trennungsschutz bei Konkubinatspaaren will sie sich einsetzen. «Kinder haben ein Recht auf ihre Eltern, egal wie deren Beziehungsstatus ist.»