Die Zeit ist stehen geblieben im Haus von Korinna Sehringer (53): Zwei Monate nach den katastrophalen Feuern in Los Angeles steht der Weihnachtsbaum noch im Wohnzimmer. Das Spielzeug ihres Sohnes Julian (4) liegt verstreut, bedeckt von einer Schicht Asche und Russ. Es riecht nach Rauch. Ihre Nachbarschaft im Vorort Altadena ist zu 80 Prozent abgebrannt. «Mein Haus blieb stehen, ich hatte grosses Glück. Das dachte ich jedenfalls zuerst», so die Baslerin.
Seit 25 Jahren lebt die Absolventin des renommierten American Film Institute in Kalifornien. Ihr Film «Shouting Secrets» über eine indianische Familie gewann mehrere Preise. Heute arbeitet die alleinerziehende Mutter als Immobilienmaklerin.
Die Feuer im Januar in Los Angeles haben mehr als 18 000 Häuser zerstört, 29 Menschen sind den Flammen zum Opfer gefallen.
keystone-sda.chLuft für Monate vergiftet
Zusammen mit ihrem Sohn hatte Sehringer die Weihnachtsfeiertage in der Schweiz verbracht und landete gerade in Los Angeles, als das Feuer wütete. Die beiden übernachten bei einer Bekannten. Am nächsten Tag fährt Korinna Sehringer trotz Bronchitis und Fieber zum Haus, holt ein paar Sachen und das Auto. Sie wäscht alles mehrmals und lässt das verrauchte Auto professionell reinigen.
Ihr Quartier bleibt abgeriegelt, da in der ersten Phase das gefährlichste, potenziell explosive Material aus den Trümmern geräumt werden soll. Tausende von Elektroautos und, in Sehringers Nachbarschaft, ein Elektrobikeshop samt Lithium-Batterien-Lager sind abgebrannt. Drei Wochen später kann sie sich im Haus, das Dach- und Wasserschäden erlitten hat, mit dem Vertreter ihrer Versicherung treffen. «Da merkte ich erst, wie giftig die Luft war», erinnert sie sich. «Ich trug eine N95-Maske. Trotzdem bekam ich Kopfweh, die Zunge brannte, und schliesslich wurde mir schlecht. Das hielt drei Tage an.»
Ihr Quartier in Altadena liegt in Trümmern: «Wir kämpfen um unsere Gesundheit und unsere Rechte», erklärt Korinna Sehringer.
Jonas MohrSeither weiss sie: Die Luft wird noch Monate, wenn nicht Jahre mit Schwermetallen, Asbest und giftigem Feinstaub belastet sein. Korinna Sehringer liess Julians Kindersitz aus dem Auto prüfen: Er weist trotz Reinigung Spuren von hochgiftigen Zyaniden auf.
Wenn sie jetzt zum Haus muss, trägt sie Gasmaske und Schutzanzug. Die Versicherung findet, sie solle das Haus einfach professionell putzen lassen und dann wieder darin leben. Für Korinna Sehringer unfassbar: «Asbest und Blei sind nicht einfach wegwischbar. Selbst wenn ich schnell eine gute Putzcrew kriege, die alles entfernen kann: Rundherum wirbeln Bulldozer die nächsten 18 Monate Schutt und Asche auf, und alles ist wieder in der Luft und im Haus. Ich kann doch mit meinem Kind nicht dahin zurück!»
Hilfe vom «Grosi»
Inzwischen hat sie sich mit anderen Betroffenen zur Aktivistengruppe Eaton Fire Residents United zusammengetan. Sie tauscht sich mit den Opfern des Marshall-Feuers in Colorado aus, das 2021 rund 1000 Gebäude zerstörte: «Sie hatten den Behörden geglaubt, liessen die Häuser reinigen und gingen zurück. Da viele krank geworden sind, haben sie danach unabhängige Tests machen lassen. Diese Daten nutzen wir.» Bereits wurde erreicht, dass ein Radius von 250 Metern um die Brandherde als gesundheitsschädlich eingestuft wird. «Wir hoffen, das hilft mit den Versicherungen.»
Momentan sind die Sehringers bei Jeannette Meier (85), einer guten Freundin, untergekommen. Julian nennt die Bernerin «Grosi» und hat seine Holzeisenbahn jetzt in ihrer Stube aufgestellt. Die beiden backen gern zusammen. «Ich lebe schon lange allein, und wenn ich Besuch habe, bin ich jeweils froh, wenn er wieder geht», schmunzelt Meier. «Aber bei so einem Unglück will ich doch helfen. Und wir haben es ja gut zusammen.»
Glück im Unglück: Korinna und Sohn Julian Sehringer können vorerst bei ihrem Wahl-«Grosi» Jeannette Meier wohnen.
Jonas MohrWegzuziehen und das Haus zu verkaufen, würde einen hohen finanziellen Verlust bedeuten. «Das Haus ist meine Altersvorsorge», sagt Sehringer. Gründliche Tests kosten Zehntausende Dollars. Die Versicherung weigert sich, sie zu zahlen. Will sie sich Hilfe bei Behörden holen, heisst es: Zuerst kommen die, die keine Häuser mehr haben.
Immobilienmarkt in der Krise
Der Immobilienmarkt, in dem Korinna Sehringer auf Kommission arbeitet, ist bereits seit zwei Jahren in der Krise. Seit die Zinsen auf bis zu 8 Prozent gestiegen sind, kann sich niemand mehr eine Hypothek leisten. «Ich kann nachts oft nicht schlafen und frage mich, wie es weitergehen soll», so die besorgte Mutter. Eine Freundin hat eine Gofundme-Seite für sie und Julian eingerichtet. «Vor Kurzem ist Julian schluchzend aufgewacht und hat gesagt, er möchte seine alten Stofftierchen wieder mit ins Bett nehmen. Es hat mir fast das Herz zerrissen.»