1. Home
  2. Family
  3. Familien-Geschichten
  4. Was müssen Eltern über ADHS bei Kindern wissen?
Nachgefragt bei Dr. med. Stephan Kupferschmid

Das müssen Eltern über ADHS bei Kindern wissen

Wenn Eltern mit der Diagnose ADHS konfrontiert sind, fühlen sie sich erstmal hilflos und überfordert. Wir können Abhilfe schaffen. Im Gespräch mit SI Online fasst Dr. med. Stephan Kupferschmid, Chefarzt der Privatklinik Meiringen, zusammen, was erste Schritte und Wege sein können.

Artikel teilen

Kinder mit ADHS

Kinder mit ADHS .... 

Getty Images

Stephan Kupferschmid, in welchem Alter zeigen Kinder erste Symptome von ADHS?
Die ersten Anzeichen können bereits im Kleinkindalter auftreten und sind oft durch eine auffällige motorische Hyperaktivität und Impulsivität gekennzeichnet. Manche Kinder zeigen jedoch erst deutlicher Symptome, wenn sie in ein strukturiertes Umfeld wie den Kindergarten oder die Schule kommen.

Wie unterscheiden sich Kleinkinder mit ADHS von Gleichaltrigen ohne ADHS?
Sie neigen dazu, ständig in Bewegung zu sein, ruhige Momente gibt es kaum. Oft haben sie auch Probleme, sich auf ein Spiel oder eine Aktivität zu konzentrieren. Zusätzlich handeln sie häufig impulsiv. Sie unterbrechen andere oder greifen nach Dingen, ohne zu fragen. Durch die Impulsivität kann es zu häufigeren Unfällen kommen. Auffällig ist auch, dass sie weniger Geduld haben und weniger Frustrationstoleranz als Gleichaltrige zeigen.

Wenn ein Verdacht besteht: Ab wann und wie sollen Eltern ihre Kinder abklären lassen?
Wenn Eltern oder Erziehende wiederholt Schwierigkeiten und Entwicklungsauffälligkeiten beobachten, sollten sie frühzeitig mit der Kinderärztin und gegebenenfalls eine Überweisung zu einem Kinder- und Jugendpsychiater oder einer spezialisierten Beratungsstelle einholen. Eine verlässliche Diagnose ist in der Regel ab dem Alter von 6 Jahren möglich, da die Symptome über einen längeren Zeitraum und in verschiedenen Lebensbereichen konsistent auftreten müssen.

Was sind die Herausforderungen für Familien mit einem Kind, das ADHS hat?
Wegen des impulsiven Verhalten des Kindes und sind Familien Familien erhöhtem Stress ausgesetzt. Oft kommt es auch zu Schwierigkeiten im Umgang mit Routinen und Regeln. Auch soziale Isolation kann zu einem Thema werden, weil das Verhalten des Kindes oft missverstanden wird. Ausserdem kann die Notwendigkeit, zusätzliche Unterstützung (z. B. Therapien, Förderangebote) organisieren, ein weiterer Stressfaktor sein. 

Wann macht eine medikamentöse Therapie Sinn?
Wenn die Symptome das Leben des Kindes stark beeinträchtigen (z. B. schulische Leistungen, soziale Kontakte, Familienleben), psychotherapeutische Ansätze alleine nicht ausreichen. oder die Entwicklung beeinträchtigt oder gar gefährdet ist. Die Entscheidung für eine Medikation sollte immer individuell und in Absprache mit Fachärztinnen getroffen werden.

Mit was für Herausforderungen sind Kinder mit ADHS im Kindergarten und in der Schule konfrontiert?

  • Schwierigkeiten, stillzusitzen und Anweisungen zu folgen.
  • Konzentrationsproblemen, die das Lernen erschweren.
  • Konflikten mit Gleichaltrigen, da sie oft impulsiv handeln.
  • Strafen oder Kritik, da ihr Verhalten als «absichtlich störend» wahrgenommen wird,dies kann zu einem negativen Selbstbild führen.
  • ADHS ist darüber hinaus häufiger mit schulischen Teilleistungsproblemen verbunden (z.B. Dyskalkulie)

Welche Ausprägungen von ADHS gibt es?

ADHS kann in drei Haupttypen auftreten:

  1. Vorwiegend unaufmerksamer Typ: Hauptsymptome sind Konzentrationsprobleme und Vergesslichkeit.
  2. Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ: Auffällig sind Bewegungsdrang und Impulsivität.
  3. Kombinierter Typ: Eine Mischung aus Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.

Diese existieren in unterschiedlichen Schweregraden. 

Wie können Eltern eines Kindes mit ADHS dieses unterstützen und fördern?

  • Klare Strukturen schaffen: Feste Routinen und Regeln erleichtern den Alltag.
  • Positives Verhalten belohnen: Lob und kleine Belohnungen motivieren.
  • Professionelle Hilfe suchen: Psychotherapien und andere evidenzbasierte Methoden können helfen.
  • Geduld und Verständnis zeigen: Das Verhalten des Kindes nicht als bösen Willen interpretieren.
  • Sich mit dem Thema befassen – zu Expert:innen der eigenen Thematik werden.

Ist ADHS vererblich?
Ja, ADHS hat eine starke genetische Komponente. Studien zeigen, dass Kinder mit ADHS häufig Angehörige mit ähnlichen Symptomen haben. Im Vergleich zu anderen Diagnosen ist der erbliche Anteil eher hoch. 

 

In der Pubertät kann sich ADHS verändern.

In der Pubertät kann sich ADHS verändern.

Getty Images

Verändert sich ADHS mit der Zeit, also zum Beispiel in der Pubertät oder im Erwachsenenalter?
Die Transition beim ADHS, also der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter, ist eine entscheidende Phase, in der viele Herausforderungen auftreten. Während im Jugendalter oft Eltern oder Lehrkräfte unterstützend eingreifen, erfordert das Erwachsenenalter mehr Eigenverantwortung. Betroffene müssen zunehmend selbstständig mit Aufgaben wie Ausbildung, Beruf, Finanzen und sozialen Beziehungen umgehen. Gleichzeitig bestehen die typischen ADHS-Symptome wie Impulsivität, Ablenkbarkeit und Organisationsprobleme häufig fort. Es kommt zwar zu Veränderungen und Anpassungen, jedoch kann die Beeinträchtigung nach wie vor hoch sein. Dies kann zu Schwierigkeiten bei der Alltagsbewältigung, in der Karriere und in zwischenmenschlichen Beziehungen führen. Strukturierte Unterstützung, Therapie und gegebenenfalls medikamentöse Behandlung sind in dieser Phase besonders wichtig, um die Lebensqualität und Selbstständigkeit zu fördern. Leider fallen gerade in dieser wichtigen Lebensspanne viele Menschen durch die Lücken im Versorgungsnetz.

Wie und wann soll man mit seinem Kind über dessen ADHS sprechen?
Je jünger die Kinder sind, umso schwieriger ist eine Abgrenzung zu Normvarianten. Für Kinder sollte nach dem Entwicklungsstand ein angemessenes Erklärungsmodell gewählt werden.

  • Ansatz: In einfacher Sprache erklären, dass ADHS bedeutet, dass das Gehirn manchmal anders arbeitet.
  • Positiver Fokus: Die Stärken des Kindes betonen und erklären, dass Hilfe zur Verfügung steht.
  • Es stehen auch Apps und gut aufbereitete Informationen zur Verfügung.

Was sagen Sie dazu, dass ADHS quasi zu einer Mode-Diagnose geworden sein soll?
Die Wahrnehmung, dass ADHS 'überdiagnostiziert' wird, ist umstritten. Zwar gibt es regionale Unterschiede bei der Diagnoserate, jedoch wird ADHS oft auch unterschätzt oder nicht erkannt, besonders bei Mädchen und jungen Frauen oder bei Kindern mit weniger ausgeprägten Symptomen. Wichtig ist eine sorgfältige und fundierte Diagnose. Aktuell sehen wir in der Schweiz lange Wartezeiten für die Abklärungen und so kann man von einer deutlichen Unterversorgung in der ambulanten Diagnostik & Behandlung sprechen.

Dr. med. Stephan Kupferschmid

Dr. med. Stephan Kupferschmid ist Chefarzt und Mitglied der Geschäftsleitung der Privatklinik Meiringen AG und im Vorstand der Schweizerischen Fachgesellschaft ADHS.

ZVG
Maja Zivadinovic
Maja ZivadinovicMehr erfahren
Von Maja Zivadinovic am 17. März 2025 - 07:00 Uhr