Sie streckt dem SI-Team die Hand entgegen. «Ich bin Didi», sagt Ditaji Kambundji. Gelächter. Die 22-Jährige hat die Diskussion darüber, wie man denn ihren Vornamen korrekt ausspricht, soeben im Keim erstickt. Sie hilft trotzdem: «DI-ta-schi», es klingt französisch, eine leichte Betonung liegt auf dem I. Nicht etwa «Di-TA-schi», mit Betonung auf dem A und schon gar nicht «Ditatschi». Didi Kambundji hat in dieser Saison über 60 Meter Hürden zuerst Gold bei den Europameisterschaften in Apeldoorn NL und dann Silber bei den Weltmeisterschaften in Nanjing, China, geholt. Dass ihr Name manchmal falsch betont werde, sei kein Problem für sie. «Ditaji bedeutet Sonne», erzählt die Sportlerin. In einer Landessprache ihres Vater, der aus dem Kongo stammt. Sie weiss grad nicht, in welcher. Zusammen mit ihrer Schwester Mujinga (32) der frischgebackenen Hallen-Weltmeisterin und -Vizeeuropameisterin über 60 Meter Sprint, lässt sie sich für das Shooting mit der Schweizer Illustrierten stylen. «Rouge steht mir nicht so», sagt Mujinga und beisst genüsslich in ein Schinkensandwich. «Die Mascara kann ich auch selbst auftragen.»
Für jeden Spass zu haben. Unzählige Male lassen sich die Schwestern auf
die Matte fallen, bis das perfekte Bild im Kasten ist.
Gestylt bei Shootings, relaxt im Alltag
Ihr Aussehen ist den Schwestern wichtig – vor allem bei einem Wettkampf. Ein schönes Make-up oder passender Schmuck steigern das Selbstvertrauen vor einem Start. Ditajis Fingerringe haben alle eine Bedeutung. «Diesen hier habe ich mir nach der WM geschenkt», sagt sie und deutet auf einen feinen Ring mit kleinen funkelnden Steinchen. Mujinga legt auch im Alltag Wert darauf, dass «die Haare nicht in alle Richtungen stehen», wie sie lachend erzählt. Schliesslich werde sie immer mal wieder angesprochen oder nach einem Foto gefragt. «Ich gehe weniger herausgeputzt einkaufen als Mujinga», meint die Jüngere. Beide lieben es, für Shootings auch mal geschminkt oder gestylt zu werden. «Wie findest du diese Schuhe?» Ditaji fragt ihre ältere Schwester gern um Rat. Sie ist in Pumps in Schlangenoptik geschlüpft. «Ich finde, es ist ein Unterschied, ob man zu einem Shooting geht oder einfach irgendwo in ein Café», meint Mujinga. Für das Shooting sei der Schuh absolut okay. Ditaji ist dennoch unsicher – sie entscheidet sich für schwarze Sandalen mit Absatz.
12,4 Sekunden sind Ditaji Kambundji's Bestzeit über die 100 Meter Hürden. 5 Medaillen hat sie bisher bei internationalen Wettkämpfen gewonnen. Und 7,67 Sekunden bei über 60 Meter Hürden - keine Europäerin war je schneller.
Anoush AbrarMujinga und Ditaji stehen einander sehr nah – und auch zu ihren beiden anderen Schwestern Kaluanda (34) und Muswama (29) besteht eine enge Verbindung. Kaluanda ist inzwischen Mami von zwei Kindern und wohnt in Bern. Muswama ist für ihren Job in der Fintech-Branche nach London gezogen. Sie absolviert noch immer ein hohes Trainingspensum in der Leichtathletik und ist im Winter als Bobanschieberin im Einsatz. «Wir machen sehr viel gemeinsam», erzählt Mujinga. «Wenn wir keine Zeit haben, uns zu sehen, telefonieren wir.» Auch die Jüngste, Ditaji, ist inzwischen aus dem Elternhaus ausgezogen. Sie lebt nur drei Minuten von Mujinga und deren Partner Florian Clivaz entfernt, der auch der Trainer der beiden ist.
«Schnell ‹secklen› macht mich nicht cooler»
Die Familie ist den Schwestern das Wichtigste überhaupt. Dort können sie einfach nur junge Frauen sein, werden geerdet. «Wir sind eine unterstützende Familie», sagt Ditaji. «Der Erfolg ändert nichts an unserer Beziehung untereinander oder zu unseren Eltern.» – «Ich bin immer noch wie früher», so Mujinga Kambundji. «Ich rede nur schneller.» Wieder lacht sie. Dann wird sie ernst: «Wir haben ein Talent in einem Bereich, das sehr viel Aufmerksamkeit der Medien bekommt. Andere haben auch Talent – nur in einem Bereich, in dem die Medien nicht präsent sind.» Es sei nicht schwierig, am Boden zu bleiben, meint sie. «Mir ist bewusst, dass ich beispielsweise an Events manchmal einen besonderen Status geniesse. Oder gerade für jüngere Menschen eine Vorbildfunktion habe. Irgendwann werde ich mit dem Sport aufhören. Ich habe mich nie darüber definiert.» Ähnlich sieht es Schwester Ditaji. «Nur weil ich schnell ‹secklen› kann, bin ich nicht cooler oder besser.» Dabei helfen den beiden auch ihre Hobbys. Sie lieben ihren Kräutergarten, kochen gern oder entspannen sich beim Lesen. Mujinga hat sich die «Outlander»-Saga vorgenommen, auch Ditaji mag Fantasyromane. Und während Mujinga gern reist, setzt sich Didi immer wieder persönliche Ziele, die nichts mit dem Sport zu tun haben. Nähen, häkeln, eine Sprache lernen.
3 Schweizerrekorde hält Mujinga Kambundji: über 60, 100 und 200 Meter Sprint. 11 Medaillen hat sie bei internationalen Wettkämpfen geholt. 2022 war ihr bisher erfolgreichstes Jahr mit Gold bei der Hallen-WM und Gold und Silber bei der EM.
Anoush AbrarMujinga Kambundji zählt seit vielen Jahren zur Weltspitze in der Leichtathletik. Sie hat den Sport in der Schweiz auf ein neues Level gehoben – davon können die jungen Sportlerinnen und Sportler jetzt profitieren, auch Ditaji. «Es wurde alles immer grösser», erzählt Mujinga. Auch wenn sie sich daran gewöhnt habe – weniger streng sei es nicht geworden. «Gerade die letzte Saison hat mir sehr viel abverlangt.» Die Olympischen Spiele in Paris seien ein Highlight gewesen, auch der Finaleinzug über die 100 Meter. Der sechste Platz war für sie keine Enttäuschung. Doch sie spürte auch den Druck. Als dieser nach Paris abfiel, sei sie müde gewesen. Müder als nach anderen Saisons. Sie habe im Aufbau vor dieser Saison auch weniger trainiert. Deshalb war die Titelverteidigung bei der Hallen-WM nicht selbstverständlich. «Natürlich ist es eine Medaille mehr», sagt sie, die schon so viele hat. «Aber positiv, eine mehr, es bedeutet mir schon sehr viel.» Als junges Mädchen habe sie sich nie vorstellen können, im Sprint jemals Medaillen oder Titel zu gewinnen.
Das beste Leichtathletik-Duo der Schweiz: Ditaji und Mujinga Kambunji.
Anoush Abrar
Dankbar für gemeinsame Abenteuer
Anders Ditaji: «Ich gehöre zu einer Generation, der man nicht mehr sagte, vielleicht schafft ihr es mal in ein Halbfinal, nur weil es vorher noch nie einer in ein Final geschafft hat. Mir wurde nie ein Limit gesetzt. Ich dachte immer, wenn Mujinga das kann, kann ich es auch. Sie hat eine ganze Generation inspiriert und pusht auch mich.» Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb Ditajis Erfolge früher kamen als damals Mujingas. «Sie hat mir so viel beigebracht. Ich wollte nie nur dabei sein, sondern träumte immer von Medaillen.»
Die Schwestern haben Spass, vor der Kamera zu stehen, immer und immer wieder lassen sie sich auf Kommando des Fotografen in ihren bunten Kleidern auf die orange Matte fallen, lachen, scherzen, flüstern sich etwas zu. «Kannst du ein Video machen?», fragt Ditaji die Stylistin und reicht ihr das Smartphone. «Darf ich das auf Social Media posten?» Darf sie. Die Schwestern streiten oder nerven sich nie, erzählen sie. Im Gegenteil: Beide sind dankbar dafür, das alles zusammen erleben zu dürfen. Sie teilen sich an Wettkämpfen auch weiterhin das Hotelzimmer. «Wir sind beide sehr unkompliziert», sagt Mujinga Kambundji. «Und wir kennen uns natürlich sehr gut, wissen, was die andere braucht.» – «Wir haben zehn Jahre Altersunterschied», ergänzt Ditaji. «Als sie zwanzig war, war ich zehn. Nur schon deswegen sind wir nicht permanent aneinandergeraten.»
Sie will unbedingt weitermachen. Mujinga Kambundji träumt von den
Olympischen Spielen 2028 in L.A. – vielleicht als Mami.
Die Indoorsaison ist für die Kambundjis nun beendet – die Outdoorsaison steht vor der Tür. Mit dem grossen Höhepunkt, den Weltmeisterschaften in Tokio im September. «Ich bin extrem motiviert», erzählt Ditaji Kambundji. «Die Hallensaison hat gezeigt, dass ich in Form bin. Man muss die Form aber auch auf die Bahn bringen. Ich freue mich auf die Wettkämpfe, möchte herausfinden, ob das, woran wir gearbeitet haben, funktioniert.» Auch für Mujinga ist nach all den Jahren der Reiz noch da, einen weiteren Hundertstel aus ihren Beinen zu kitzeln. «Das Gefühl, dass ich noch schneller laufen kann, besteht weiterhin. Ich bin besser zwäg als früher, technisch stabiler und kenne meinen Körper besser, möchte herausfinden, was machbar ist.»
Selbst die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles sind für die 32-Jährige ein Thema. Dann wird sie 36 Jahre alt sein. Es gebe mehrere Sprinterinnen weltweit, die in diesem Alter noch hervorragende Leistungen bringen würden, sagt Mujinga Kambundji. Das traut sie sich auch selbst zu. Ihr Traum ist aber auch, eine eigene Familie zu gründen. «Eine grosse Familie.» Als Mami nach L. A.? Warum nicht? «Ich kann es mir vorstellen.» Was sie nach ihrer Zeit als Spitzensportlerin machen will, weiss sie noch nicht. «Ich möchte sicher nicht mehr den ganzen Tag auf der Bahn stehen. Aber etwas im Sportbereich wäre schon cool.»
Ditaji hat im März ihre erste internationale Goldmedaille bei der Elite geholt. Sie ist Europameisterin über 60 Meter Hürden.
Anoush Abrar
Ditaji Kambundji, die 2022 das Sportgymnasium abgeschlossen hat, überlegt sich, noch zu studieren. «Was, wann und wo, weiss ich aber noch nicht. Ich bin dankbar, dass ich meinen Traum, Sportprofi zu sein, nach der Matura realisieren konnte.» Für die Schwestern stehen jetzt einige Wochen Training an, bevor der zweite Teil der Wettkampfsaison beginnt. Sie beide lieben den Tag X, an dem sie auf der Bahn stehen, bereit, die beste Leistung abzurufen. Sie sind fast immer zusammen, aber diese wichtigsten Momente ihres Lebens meistern sie allein.