Es riecht nach Kamille, Ringelblumen, Sanddorn, Thymian. Vertraute Gerüche für Lucas, 40, und Tom Baumann, 37. Die Brüder haben schon als Kinder in den Lagerräumen der Firma Rausch in Kreuzlingen TG Fangen gespielt. Und als Jugendliche hier gejobbt.
Genau 70 Jahre ist es her, dass ihr Grossvater die kleine Kosmetikfabrik erwarb, die weltweit das erste Flüssigshampoo auf den Markt gebracht hatte. Drei Mitarbeiter stellte er an. Heute sind es 169. Die Firma ist das Lebenswerk von Josef und Marco Baumann, dem Grossvater und dem Vater von Lucas und Tom.
Welcher der beiden Söhne in die Fussstapfen der Senioren treten würde, zeichnete sich schon früh ab. Nicht, weil Lucas «immer komische Hobbys hatte», wie Tom sagt. Wobei das Züchten von Bonsaibäumen durchaus als Hinweis auf sein späteres Interesse für Kräutermixturen hätte gedeutet werden können.
«Er war immer der Ruhigere, Überlegtere von uns beiden», meint Tom. «Ich machte schon als Kind gern s Chalb. Nicht gerade die ideale Voraussetzung, um eine Firma zu führen.»
Tom studierte Germanistik, wurde Gymilehrer. 2011 stiess er zur Comedy-A-cappella-Truppe Bliss. Und trat damit doch irgendwie in die Fussstapfen des Vaters. «Er ist sehr witzig und musikalisch. Ohne Rausch wäre er sicher auch auf der Bühne gelandet», ist Tom überzeugt.
Bliss sind inzwischen so erfolgreich, dass Tom seinen Lehrerjob an den Nagel hängte. Zurzeit sind sie mit «Volljährig», dem Programm zum 20-Jahr-Jubiläum der Band, im deutschsprachigen Raum unterwegs. Immer wieder im Publikum: sein Bruder. «Wenn ich Tom singen höre, kriege ich Gänsehaut», sagt Lucas.
Seit sieben Jahren arbeitet der ältere der Baumann-Brüder bei Rausch. Zuvor hat er Betriebswirtschaft studiert, in Hotels und auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet. «Es war mir wichtig, etwas von der Welt zu sehen, bevor ich ins Geschäft einsteige.» Vor drei Jahren übernimmt er die operative Führung. «Die Zeit davor war ziemlich harzig», gesteht Lucas.
Der Vater hatte Mühe, loszulassen – der Sohn seine eigenen Vorstellungen. «Ich kann unmöglich der Patron sein, der mein Vater war. Schliesslich arbeiten hier Leute, die mich schon in Windeln gesehen haben.» Lucas Baumann ist ein moderner Chef. Einer zum Anfassen, der stets ein offenes Ohr für seine Angestellten hat. Inzwischen gewöhnte sich auch der Papa an den Generationenwechsel. «Unser Verhältnis ist heute super», sagt Lucas.
Senior Marco Baumann ist nach wie vor VR-Präsident von Rausch, seine beiden Söhne sitzen im Verwaltungsrat. Dabei hatte Tom lange ein gespaltenes Verhältnis zum Unternehmen. «Die Firma war das Baby meines Vaters. Mehr als ich.» Während andere Väter ihre Söhne am Wochenende auf dem Fussballplatz anfeuerten, sei seiner im Büro gewesen. «Das war nicht besonders toll.»
Auch deshalb setzt Tom heute klare Prioritäten: «Die Familie steht an erster Stelle.» Mit seiner Freundin Simone, 36, hat er Söhnchen Frederik, 1. Der Kleine ist sein ganzer Stolz. Mindestens zwei Tage pro Woche sind für ihn reserviert. So kann Simone ihrem Job als Psychologin nachgehen. Und nach Auftritten mit Bliss fährt Tom lieber nach Hause, statt wie früher noch zu feiern. Das Feierabendbier mit der Band geniesst er nur noch dann, wenn die Truppe per Nightliner im Ausland unterwegs ist.
Lucas lebt ein anderes Beziehungsmodell. Seit zehn Jahren führt er mit seiner Partnerin Aita, 42, – übrigens einer alten Schulfreundin – eine Fernbeziehung. Sie wohnt mit ihrem Sohn Nevio, 12, im Engadin, er in Kreuzlingen.
«Das hat sich so ergeben», sagt Lucas. «Und es passt super. So kann ich mich während der Woche auf den Beruf konzentrieren. Die Wochenenden und die Ferien sind fürs Privatleben reserviert. Jedenfalls meistens.» Ganz könne er den Blick aufs Handy nicht lassen. «Aber es ist schon viel besser geworden.»
Die Brüder haben inzwischen vom Lager ins Labor gewechselt. Tom lässt sich von Lucas den neusten Mix zeigen. Er riecht daran, beäugt das Gefäss kritisch. «Pink?» Lucas grinst. «Rot», antwortet er. «Ich bin stark farbenblind», erklärt Tom. Er könne weder Grün von Braun noch Rot von Pink unterscheiden. «Nur schon deshalb ist die Bühne vermutlich der bessere Ort für mich als das Labor», meint er lachend.
«Komm, wir gehen noch mal ins Lager», meint Tom zu seinem Bruder. «Wir müssen noch eine Runde auf den Wägeli fahren. Wie früher.» Lucas seufzt und grinst. «Aber aufpassen, dass wir nicht erwischt werden!» – «Warum? Du bist doch der Chef.» – «Eben!» Es gibt Dinge, die ändern sich – fast – nie.