«Wir wissen es nicht», sagen Mario (49) und Ursina Schmid (46) wenn die siebenjährige Giada fragt, wann ihre grosse Schwester wieder sprechen kann. Denn die Hoffnung darauf mögen Julias Eltern nicht aufgeben.
Als Julia am 9. März 2014 zur Welt kommt, gilt sie als gesund. Sie entwickelt sich normal. Mit fünf beginnen die Rückschritte. Julia kann sich nicht mehr alleine die Schuhe anziehen. Nicht mehr mit Besteck essen. Bewegt sich immer unbeholfener. Es folgt Abklärung um Abklärung. ADHS wird ausgeschlossen, Autismus ebenfalls. Dann endlich, am 5. Dezember 2019, die Diagnose: Sanfilippo-Syndrom. Julia fehlt ein Enzym, das im Hirn grosse, komplexe Zuckermoleküle abbaut. So füllt sich ihr Hirn mit der Zeit mit «Abfällen», die ihr Körper nicht ausscheiden kann. Als Folge verlernt sie innerhalb kurzer Zeit alles, was sie in den ersten Lebensjahren gelernt hat. Diese «Kinder-Demenz» ist sehr selten – etwa eines von 70'000 Kindern ist betroffen – und momentan weder therapier- noch heilbar. Ohne Therapie beträgt Julias Lebenserwartung etwa 15 Jahre.
Ein Virus löste zusätzlich Epilepsie aus
Die Rückschritte kommen schleichend. Ein Virus, das Julia vergangenen August eingefangen hat, hat zusätzlich noch Epilepsie ausgelöst. «Sie musste Medikamente nehmen, die sie müde und antriebslos machten. Das war sehr streng», erzählt Mario Schmid. Jetzt gehe es wieder besser, Julia sei wieder präsenter. Und meist so fröhlich wie eh und je. Auch wenn sie beim Gehen je länger je mehr Unterstützung braucht, und wenns schnell gehen muss auch mal der Rollstuhl zum Einsatz kommt. Und auch, wenn Julia nicht mehr spricht: «Sie versteht immer noch viel, und freut sich, wenn man ihr Dinge erzählt. Es ist wichtig, ganz normal mit ihr zu reden», sagt Ursina Schmid. Das tut auch Giada. «Für sie ist Julia einfach Julia. Ich denke, sie sieht sich auch ein bisschen als ihre Beschützerin», sagt Ursina lächelnd.
«Wir leben sehr im Moment und denken nicht gross an morgen. Wohl auch ein bisschen aus Selbstschutz»
Für die Eltern ist es unglaublich hart, zu sehen, «wie uns diese Krankheit Stück für Stück unsere Tochter wegnimmt.» Aber sie wollen nicht einfach zusehen, sondern kämpfen. Ursina und Mario Schmid haben den Verein Hope for Julia ins Leben gerufen, der unter anderem Spenden für die Forschung sammelt. Denn bei der Finanzierung von Studien und Versuchen harzt es. Die Krankheit ist zu selten, als dass die Pharmaindustrie daran grosses Interesse hätte. Die Hoffnungen der Schmids liegen auf einer Enzymersatztherapie, welche den betroffenen Kindern das fehlende Enzym zuführen könnte. Momentan ist es noch nicht möglich, die Blutschranke im Hirn zu überwinden. Aber in den USA und in Asien laufen bereits Versuche. «Das Thema ist dort sehr viel präsenter», sagt Mario Schmid. Seine Hoffnung sei, dass sich – auch durch den eigenen Einsatz – in der Schweiz das Bewusstsein für Sanfilippo verändere. «Nur schon eine frühere Diagnose würde viel verändern und die Lebensqualität der Familien enorm verbessern.»
So sind Schmids am heutigen Sanfilippo-Tag mit einem Stand in der Innenstadt von Chur präsent. «Nicht nur für Julia und für uns, sondern für alle Kinder und Eltern, welche betroffen sind und es in Zukunft sein werden», sagt Mario Schmid. Julias Eltern freuen sich derweil über jedes Lachen ihrer Tochter. «Wir leben sehr im Moment und denken nicht gross an morgen. Wohl auch ein bisschen aus Selbstschutz», sagt Ursina Schmid. Und: «Die Hoffnung auf eine Therapie werden wir niemals aufgeben.»