«Du musst mehr in die Knie.» Jeremy (12) versucht es noch einmal. Und ein drittes Mal. Dann steht er den neuen Trick mit seinem Skateboard und strahlt über das ganze Gesicht. Papi Fabien Rohrer (48) freut sich mit. Mit ruhiger Stimme, aber eindringlich erklärt er dem Buben, was er als Nächstes tun soll. Kurz darauf flitzen beide auf ihren Brettern in Spiez BE durch den hauseigenen Skatepark.
Fabien Rohrer setzt auf Aufmerksamkeit und Liebe in der Erziehung
Den hat sich der ehemalige Snowboard-Weltmeister Fabien Rohrer zu seinem 45. Geburtstag geschenkt. Er gibt ihm Raum, seinem inneren Kind, das spielen, über Schanzen springen und durch Halfpipes sausen will. «Immer wenn Jeremy ein cooles Spielzeug hat, möchte ich es auch.» Seinen Sohn erzieht er allein. Bei der Trennung vor sieben Jahren haben die Eltern beschlossen, dass Jeremy beim Vater bleibt. Er hat sich sein Leben so organisiert, dass er dem Jungen so viel Aufmerksamkeit wie möglich schenken kann. Und Liebe. «Dann kommt zu 90 Prozent alles gut.»
Immer wieder nehmen sich Vater und Sohn in die Arme – immer wieder frotzeln sie auch. «Jeremy nimmt alles gemütlich, ist ein Träumer. Ich bin viel zackiger als er», sagt Fabien. «Und er duscht nur einmal pro Woche.» «Nein, zweimal», wirft Jeremy empört ein. Noch immer trifft man Fabien Rohrer jeden zweiten Tag auf dem Berg an, wo er gemeinsam mit Jeremy in der Halfpipe Tricks und Sprünge übt. «Für einen 48-Jährigen habe ich ein sehr gutes Niveau», weiss er. Bei einem Prestige-Event in den USA holt Rohrer im März in der Kategorie Ü40 überlegen den Sieg in der Halfpipe – vor ehemaligen Snowboard-Grössen wie Ross Powers oder Todd Richards.
Jeremy Rohrer hat seine eigenen Fans
Er habe nie auf das System gehört, erzählt Rohrer. «Ich bin immer meinem Herzen gefolgt. Das wünsche ich auch Jeremy. Dass er nie den Gedanken hat, etwas zu müssen.» Schon früh tritt Klein Jeremy in Fabiens Snowboarder-Fussstapfen. Heute springt er über Schanzen wie ein Grosser. Auf Tiktok folgen ihm 20 000 Leute. Und auf der Piste wird nicht Papi Fabien, sondern Jeremy von seinen Fans angesprochen. «Sie fragen mich, wie ich einen bestimmten Trick gelernt habe», erzählt der Bub stolz.
Seine Videos, die er auf Social Media hochlädt, sind auch erklärend. Er zeigt seinen Followern, wie sie ihre Bindung am besten einstellen, ihr Snowboard wachsen oder welches Bein vorne stehen sollte. Und natürlich, wie man die Sprünge und Tricks übt. Zudem dreht Jeremy Werbevideos oder shootet für Kataloge. «Das macht mir mehr Spass. Wettkämpfe bestreite ich keine», berichtet er und unterscheidet sich hier von seinem Vater. Jeremy besucht eine internationale Schule im Nachbardorf. «Er redet eigentlich nur mit mir Deutsch», sagt Fabien Rohrer. «Meine Freunde leben im Ausland. Die haben alle Kinder. Wenn wir uns treffen, reden wir Englisch. Mir war wichtig, dass Jeremy nicht ausgeschlossen wird.» Seine Zukunft soll Jeremy aber selbst gestalten. «Er kann die internationale Matura machen, weltweit studieren. Er kann etwas mit Immobilien machen wie ich. Ein ewiger Student soll er aber nicht bleiben, er soll seine Brötchen selbst verdienen.»
Fabien Rohrer zahlt seinem Sohn Hausarbeitsgeld
Das tut der Zwölfjährige bereits jetzt. Mehrere 100 Franken gibt es schon mal für ein einziges Shooting. Fabien sorgt dafür, dass Jeremy auf dem Boden bleibt. «Es ist ein heikles Thema», meint er nachdenklich. «Wir haben Social Media kritisch angeschaut. Haben gesprochen über den Druck oder die Idee, jemand anderes sein zu wollen. Ich beobachte und erwarte ein normales Verhalten.»
Für Rohrer ist wichtig, dass Jeremy genügend Zeit hat zum Spielen. Dass er aber auch lernt, für sein Geld zu arbeiten. Sackgeld bekommt Jeremy daher nicht. Er hilft mit, die Häuser aus Papas Firma zu putzen. «Er reinigt die Treppenhäuser. Dann stellt er mir eine Rechnung», sagt Fabien lachend. 30 Franken bekommt Jeremy pro Stunde. «Er wird überbezahlt.»
Mit den Immobilien hat Fabien Rohrer nach dem Ende seiner Snowboard-Karriere angefangen und sich ein finanzielles Polster geschaffen. Ihm gehören diverse Mehrfamilienhäuser, die er selbst verwaltet. Dafür arbeitet er diszipliniert. Jeden Tag steht er um 5.30 Uhr auf, macht eine halbe Stunde Yoga und meditiert. «Wichtig ist, dass man einfach mal aufsteht und macht. Das schaffen viele nicht.»
Fabien Rohrer moderiert neu am TV
Einfach mal machen: So lautet auch das Motto seines neuen Projekts. Ab dem 19. April ist Fabien Rohrer Gastgeber der Sendung «To Be Wild» bei 3+. Dabei wird nicht nur geredet; es gibt auch eine gehörige Portion Action. Gäste aus Sport, Unterhaltung oder Politik begeben sich mit Rohrer in Grenzsituationen. «Mit Comedian Charles Nguela etwa ging ich sportklettern. Er war komplett am Limit.» Rohrer grinst. «Genau in dieser Situation hat er sich extrem geöffnet.» Auch Skifahrer Ramon Zenhäusern oder Politikerin Flavia Wasserfallen stellen sich Rohrer. Er selbst hatte die Sendung vorgeschlagen. «Als der Anruf kam und es hiess, okay, wir machen es, dachte ich schon zuerst ‹Scheisse›. Jetzt kann ich nicht mehr zurück.»
Im kommenden Jahr wird Fabien Rohrer 50. Von Midlife-Crisis will er nichts wissen. «Das Alter vergesse ich meist. Ich lebe einfach.» Er deutet auf seinen Balkon. «Wenn ich am Morgen dort draussen sitze und in die Berge blicke, kommt ein Gefühl von Dankbarkeit auf, dass ich all das wilde Zeugs gesund überlebt habe. Ich entscheide. Sonst niemand.» Auch keine Partnerin.
Fabien Rohrer ist nicht auf der Suche nach einer Partnerin
Für eine Frau gibt es aktuell keinen Platz im Leben der Rohrers. «Der Raum dafür fehlt. Ich bin nicht der, der mit der Freundin abends auf der Couch Rotwein trinkt. Mit mir kann man auch nicht ausschlafen. Ich reise viel herum, stehe in der Öffentlichkeit oder bin auf dem Berg. Das macht nicht jede mit.» Seine Freiheit ist ihm wichtiger: «Das Leben ist eine Sanduhr, und keiner weiss, wie viel Sand er noch hat. Ich will nicht leben, als hätte ich noch 100 Jahre. Wenn ich morgen sterbe, gehe ich dort oben mal fragen, wer für alles verantwortlich ist. Und bedanke mich, dass ich das alles erleben durfte. Mein Glück kommt aus einer Herzenssache – dem Snowboarden.»