Diese Zahlen erschüttern die Schweiz: In den letzten fünf Jahren haben etwa 65'000 von 100'000 Lehrerinnen und Lehrern in der Deutschschweiz in ihrem Berufsalltag psychische oder physische Gewalt erlebt. Das sind mehr als zwei von drei Lehrpersonen.
Über die Studie, welche die Zahlen zu dieser Hochrechnung liefert, hat heute der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer (LCH) informiert. Wir fassen die wichtigsten Eckpunkte zusammen.
Lehrpersonen in der Schweiz sind täglicher mit Bedrohungen, Beschimpfungen und Beleidigungen konfrontiert. Dies zeigt die Umfrage, an welcher sich mehr als 5400 Lehrerinnen und Lehrer beteiligt haben. Hochgerechnet auf die rund 100'000 Lehrpersonen in der Schweiz ergibt sich die Zahl 65'000 – so viele Lehrpersonen haben in den vergangenen fünf Jahren persönlich Gewalt erlebt.
«An Schweizer Schulen herrschen keine amerikanischen Verhältnisse»
Dagmar Rösler, LCH-Präsidentin
Im Berufsalltag seien Lehrerinnen und Lehrer in der Deutschschweiz vor allem psychischer Gewalt ausgesetzt. Zu körperlichen Übergriffen kommt es selten. «An Schweizer Schulen herrschen keine amerikanischen Verhältnisse», sagt LCH-Präsidentin Dagmar Rösler während der Medienkonferenz. Dennoch sei jeder dieser Fälle von Aggressivität einer zu viel.
Lehrerinnen und Lehrpersonen erleben psychische Gewalt in erster Linie durch die Erziehungsberechtigten. In 38 Prozent der Fälle sind diese für die Übergriffe verantwortlich.
Beschimpft werden Lehrpersonen vor allem, wenn es um Noten oder zukunftsweisende Entscheide geht, erklärt die Studienleiterin Martina Brägger an der Medienkonferenz.
Druck und Respektlosigkeit erleben die Lehrpersonen jedoch auch durch Schülerinnen und Schüler. In 34 Prozent der erfassten Fälle sind die TäterInnen Schülerinnen oder Schüler aus der eigenen Klasse. Viele dieser Fälle können zeitnah durch Gespräche mit den betroffenen Personen und den Erziehungsberechtigten geklärt werden, so dass es selten zur Eskalation kommt.
Zu körperlicher Gewalt kommt es vor allem in Klassen mit jüngeren Kindern. Lehrpersonen werden durch Kinder gebissen, geschlagen oder mit Gegenständen beworfen. Solche Vorfälle seien auf den Sekundarstufen sehr selten, so die Studienleiterin.
Die Umfrage zeigt, dass Lehrpersonen auch durch die Schulleitung oder Kolleginnen und Kollegen Gewalt erfahren. Diese Konflikte haben häufig gravierendere Auswirkungen bis hin zu längeren Krankschreibungen oder sogar einem Berufsausstieg.
Ungefähr 15 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer in der Deutschschweiz fühlten sich in den vergangenen fünf Jahren durch Kolleginnen oder Kollegen unter Druck gesetzt oder gemobbt. 11 Prozent der Befragten gaben an, Gewalt durch die Schulleitung erlebt zu haben.
Für Dagmar Rösler steht fest: «Jede Lehrerin, jeder Lehrer, hat es verdient, mit Respekt behandelt zu werden.» Der LCH-Verband hat deswegen eine Liste von sechs Forderungen vorgestellt, um dem massiven Problem der Gewalt gegen Lehrpersonen entgegenzuwirken.
- Unabhängige Ombudsstelle: Ein niederschwelliges Beratungs- und Mediationsangebot soll allen Beteiligten zur Verfügung stehen oder, falls bereits bestehend, bekannt gemacht werden.
- Interventions- und Krisenkonzept: Jede Schule braucht einen Massnahmenkatalog mit verschiedenen Eskalationsstufen. Daran können sich Gewalt-Betroffene orientieren, um Hilfe zu erhalten.
- Betroffene sollen Unterstützung innerhalb der Schule erfahren: Dazu gehört es, dass die Schulleitungen und Behörden Gewalterfahrungen anerkennen und diese nicht bagatellisieren. Sowie, dass Unterstützung unbürokratisch zur Verfügung gestellt wird.
- Dialog aller Beteiligten zur Gestaltung eines gewaltfreien Schulklimas: Schulleitungen etablieren eine gewaltfreie Schulkultur durch Aus- und Weiterbildungen und fachkundige Beratung. Eltern, Schülerinnen und Schüler werden einbezogen.
- Aus- und Weiterbildung zum Thema: Lehrpersonen werden in der Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen und in Weiterbildungen auf den Umgang mit Gewaltsituationen vorbereitet.
- Statistische Erfassung und Evaluation: Statistiken zu Gewalt gegen Lehrpersonen werden künftig regelmässig geführt und veröffentlicht. Die Qualität der Umsetzung der Massnahmen wird ausgewertet.