«Santé!» Trotz nasskaltem Wetter gönnen sich Gilles (66) und Raphaël Tschudi (36) bei einem Glas Roten (alkoholfreien für Gilles!) einen kurzen Moment der Zweisamkeit auf dem Balkon von Raphaëls Wohnung. Drinnen in der Stube, mitten in der Altstadt von Neuenburg, herrscht Trubel: Raphaëls Söhnchen Mathis, 1, hält seine beiden Grossmütter auf Trab, die ihn regelmässig hüten. Raphaëls Partnerin Virginie Perrinjaquet (32) muss heute arbeiten.
Eine Idylle, von der beide Tschudi-Männer wohl vor ein paar Jahren nicht zu träumen gewagt hätten. Raphaël ist elf, als sich seine Eltern trennen, er wächst mit seinen beiden Brüdern bei seiner Mutter Barbara Tschudi-Walser (62) auf – die ihrem Enkel mit Kitzeln am Bauch gerade ein begeistertes Glucksen entlockt. Der Kontakt zu Vater Gilles wird immer rarer.
Als Raphaël ein Teenager ist, bricht er ihn zwei Jahre lang fast gänzlich ab. «Der Job war mir oft wichtiger als die Familie», gesteht Gilles Tschudi. «Ich wollte genug Geld verdienen, dafür musste ich dranbleiben, sonst ist man als Schauspieler schnell weg vom Fenster.» Als Bösewicht in der Serie «Lüthi und Blanc» wird Gilles Tschudi schweizweit bekannt – obwohl er eigentlich gar nie vor die Kamera wollte. Raphaël sieht seinen Vater mehr am Bildschirm als im echten Leben. Den Wunsch, selbst ebenfalls Schauspieler zu werden, unterdrückt er: «Ich hatte Angst, so zu werden wie er. Alles der Karriere unterordnen, das wollte ich nicht.»
In Vaters Fussstapfen
Doch der Drang nach der Bühne ist grösser. Und führt schliesslich nicht nur zu einer Karriere in den Fussstapfen seines Vaters, sondern auch dazu, dass die beiden wieder zusammenfinden. Als Raphaël Tschudi sich an der Zürcher Hochschule der Künste einschreibt – die gleiche Schule, die auch Gilles besuchte –, ist der Rückhalt seines Vaters gross. Er unterstützt seinen Sohn, gibt ihm Tipps, hilft ihm auch beim Deutschlernen – Raphaël ist in Neuenburg mit französischer Muttersprache aufgewachsen, das Deutsch seiner Basler Eltern muss er erst wieder lernen. Dass seine eigene Karriere doch einige Parallelen zu der seines Vaters aufweist, dürfte allerdings Zufall sein. Eine seiner ersten Rollen ergattert Raphaël Tschudi in der Schweizer TV-Serie «Tag und Nacht». Im Kino verkörpert er 2021 in «Klammer – Chasing the Line» den jungen Bernhard Russi. Jahre zuvor ist auch Gilles Tschudi als einer der bekanntesten Schweizer auf der grossen Leinwand zu sehen: In «Grounding – Die letzten Tage der Swissair» spielt er den ehemaligen UBS-Chef Marcel Ospel.
Langsam wird es den beiden Herren doch ein bisschen zu kühl auf dem Balkon. Raphaël betritt das Wohnzimmer und setzt sich mit breitem Grinsen an den Tisch. Seine Mutter wirft ihm einen Seitenblick zu. «Was hast du vor?», fragt sie skeptisch. Raphaël: «Wir machen das jetzt mal wie im Stück: alle Handys auf den Tisch. Mit dem Bildschirm nach oben!»
«S perfäggte Gheimnis» heisst das Stück, in dem Gilles und Raphaël Tschudi noch bis Ende Jahr gemeinsam auf der Bühne des Theaters Fauteuil in Basel stehen. Es ist eine Adaption des italienischen Films «Perfetti sconosciuti», von dem es auch eine deutsche Variante («Das perfekte Geheimnis») mit Elyas M’Barek und Jessica Schwarz gibt. Die Handlung: Bei einem Znacht unter Freunden müssen während des ganzen Abends alle auf dem Handy eingehenden Nachrichten und Anrufe mit allen Anwesenden geteilt werden – was natürlich zu diversen Irrungen und Wirrungen führt.
Nichts zu verstecken
In dieser Runde, da ist man sich im Hause Tschudi einig, gäbe es diesbezüglich keine bösen Überraschungen. «Ich bin sozusagen ein offenes Buch, sowohl für meine Eltern als auch für meine Partnerin», meint Raphaël Tschudi. Letztere kennt sogar den Code für sein Mobiltelefon. «Warum nicht? Ich habe nichts zu verstecken.» Auch die Beziehung zu seinem Vater ist mittlerweile «eng und unkompliziert. Es gibt nichts, worüber ich nicht mit ihm reden würde.» Das Schauspieler-Duo verbringt auch einen guten Teil seiner Freizeit gemeinsam. Gilles lebt in der Nähe von Neuenburg auf einem alten Bauernhof. «Ich habe lange genug in Städten gewohnt, das brauche ich nicht mehr.» Die beiden treffen sich regelmässig, machen Ausflüge mit Mathis. «Und ich habe die Ehre, ihm im Garten zu helfen», sagt Raphaël lachend. Als grösstes Glück empfinde er es jedoch, mit seinem Sohn zusammen Theater zu spielen, sagt Gilles: «Wir verstehen uns ohne Worte. Unsere Energie ist einzigartig. Es ist ein Geschenk, dass wir das machen dürfen.»
In seiner Art zu spielen, sei er seinem Vater ähnlich, so Raphaël. Abseits der Bühne macht er allerdings einiges anders als dieser in jüngeren Jahren. «Egal, wo ich bin, ich setze mich nach der Vorstellung in den Zug und fahre nach Hause. Denn die Zeit, die ich mit meinem Sohn habe, ist beschränkt, und was ich verpasse, kann ich nicht mehr nachholen.»
Wenn jemand weiss, wovon er hier spricht, dann Raphaël. «Seine innige Beziehung zu Mathis zu sehen, ist wunderbar», sagt Gilles. «Raphaël ist ein grossartiger Vater, Partner und Familienmensch. Ich freue mich sehr für ihn, dass er sein Glück so leben kann.» Ob er seine frühere Abwesenheit bereut? «Das bringt nichts. Aber stünde ich heute nochmal am Anfang, würde ich wohl einiges anders machen.» Sagts, hebt sein Glas und prostet seinem Sohn zu: «Auf dich!»