Auf der Terrasse des «Du Nord» sitzt Rapperin Steff la Cheffe mit Freundinnen, drinnen trinken szenige Bernerinnen und Berner Milchkaffee oder tippen auf ihren Laptops. «Doch, doch, gemütlich hier», sagt SVP-Nationalrat und Verleger Roger Köppel, 54, in Anzug und Krawatte. «Aber die sucht man hier wohl vergeblich», sagt er und zieht eine frisch gedruckte «Weltwoche» aus der Tasche. Dann kommt auch schon SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen, 40, hereingestürmt. Ein kurzer Händedruck, los gehts.
Flavia Wasserfallen: Herr Köppel, wie geht es Ihnen?
Roger Köppel: Ich habe nur drei Stunden geschlafen, und gelegentlich packt mich das Heimweh. Aber sonst: hervorragend!
Bei unserer ersten Begegnung hielten Sie mich für die Frau von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, die ihm Akten ins Bundeshaus bringt. Sind Sie immer so klischeehaft unterwegs?
Das ist meine zürcherische Verblendung: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es in Bern noch andere Familien mit dem Namen Wasserfallen gibt.
Sie stecken im Wahlkampf und wollen weiterhin in Bundesbern politisieren. Warum eigentlich? Sie sind der Absenzenkönig schlechthin, haben in den letzten vier Jahren 1006 Abstimmungen geschwänzt.
Glauben Sie mir, ich kenne niemanden im Parlament, der mehr macht als ich. Ausserdem: Wenn ich nicht an Sitzungen teilnehme, koste ich den Steuerzahler kein Geld.
Das stimmt nicht! Im Nationalrat bekommen wir über die Hälfte der Entschädigungen sowieso – egal ob wir anwesend sind oder nicht.
Ich bin ein 100-prozentiger Milizpolitiker und komme nicht nach Bern, um Geld zu verdienen. Ich habe noch eine Firma, muss Arbeitsplätze sichern.
Sie haben die Operation Libero als «schon fast korrupt» bezeichnet, weil sie mit 1,5 Millionen eine Kampagne für ausgewählte Kandidierende macht. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran! Wie hoch ist Ihr Wahlbudget, und woher stammt das Geld?
Die Erfahrung hat gezeigt: Wenn bekannt würde, welche Personen die SVP finanziell unterstützen, gerieten die Spender unter Druck, nicht zuletzt durch die Medien. Darum soll die Herkunft der Unterstützungsgelder geheim bleiben. Das Wahlgeheimnis wird ja auch nicht hinterfragt.
Das Wahlgeheimnis muss gewahrt bleiben, das ist klar. Aber finden Sie nicht, die Demokratie würde gestärkt, wenn die Stimmbürgerin nachvollziehen kann, wer Sie mit Geld unterstützt?
Mich beunruhigt viel mehr, dass gewisse Parlamentarier ihr Amt als Cash-Maschine nutzen.
Die Auswüchse bei bezahlten Politiker-Mandaten kritisieren Sie zu Recht. Aber warum haben Sie nie etwas dagegen unternommen?
Ich unterstütze alle Massnahmen, die dazu führen, dass Parlamentarier ihre Interessenbindungen und die Bezüge aus Zusatzmandaten offenlegen müssen!
«Nur wer privilegiert ist, hat die Wahl. Darum braucht es einen Vaterschaftsurlaub»
Flavia Wasserfallen
Sie sind oft unterwegs. Wie teilen Ihre Frau und Sie Beruf, Politik, Familie und Haushaltsarbeit auf? Sie haben drei Kinder, bald folgt das vierte…
Meine Frau ist seit einigen Jahren Hausfrau und schaut zu den Kindern. Im Moment sehe ich die Familie nicht oft, was ich bedaure. Nach dem Wahlkampf muss ich das wieder einrenken.
Ihre Frau hat an einer Schweizer Uni studiert und einen Top-Job bei einer Bank aufgegeben. Finden Sie es richtig, wenn so gut ausgebildete Frauen im Arbeitsmarkt fehlen?
Wenn eine Frau nicht mehr arbeiten möchte, ist das okay. In der Schweiz hat jeder und jede die Wahl.
Nur wer privilegiert ist.
Ich komme auch nicht aus einer privilegierten Familie. Aber ich habe immer viel gearbeitet. Meine Frau bekommt Unterstützung von zahlreichen Familienmitgliedern. Als gebürtige Vietnamesin gibt sie bei uns zu Hause den Ton an. Ich schlafe mittlerweile im Keller (lacht).
«Als gebürtige Vietnamesin gibt meine Frau bei uns zu Hause den Ton an»
Roger Köppel
Wir haben ja auch über den Vaterschaftsurlaub gesprochen in der letzten Session. Für mich sind vier Wochen das Minimum.
Ich bin dagegen. Ein Vaterschaftsurlaub würde bedeuten: weniger Arbeit für gleich viel Lohn – das kostet den Staat Unmengen von Geld…
…das gut investiert ist! Nun zur Abwechslung immer zwei Begriffe. Sie müssen sich entscheiden, entweder – oder. «Weltwoche» oder Familie?
(Überlegt) «Weltwoche.»
Juso oder BDP?
Juso.
Tettamanti oder Blocher?
(Überlegt lange.) Blocher.
Velo oder E-Trottinett?
Velo.
Carola Rackete oder Greta Thunberg?
Greta Thunberg.
Prämienverbilligungen erhöhen oder Unternehmenssteuern senken?
Unternehmenssteuern senken.
Warum? 95 Prozent der Unternehmen zahlen fast keine Steuern.
In der Schweiz zahlt ein ganz kleiner Teil der Wohlhabenden 50 Prozent der Steuern.
Dennoch werden die Reichen immer reicher.
Wir dürfen nicht vergessen: Uns geht es nur so gut, weil wir in der Schweiz eine hohe Dichte an Unternehmen haben. Diese dürfen wir nicht mit immer mehr Steuern belasten.
In einer kürzlich erschienenen Biografie über Sie erzählen ehemalige Lehrer und Mitschüler, der junge Köppel sei hilfsbereit und sozial gewesen. Verstehen Sie, dass diese Leute mit dem heutigen SVP-Köppel Mühe haben?
Ich stamme aus einem künstlerisch-sozialen Umfeld, studierte Philosophie und heuerte 1988 als Journalist bei der NZZ an – das
ist kein typischer Weg für einen SVP-Politiker. Natürlich sind die Linken enttäuscht, wenn sie merken, dass ich gar keiner von ihnen bin. Aber wissen Sie was? Von diesen ehemaligen Mitschülern hat mir bisher keiner ins Gesicht gesagt: Du, Roger, ich finde es fragwürdig, was du machst.
Berufliche Weggefährten wie der ehemalige «Tages-Anzeiger»-Chefredaktor Res Strehle haben sich von Ihnen abgewendet, weil Sie sie öffentlich diffamiert haben. Erstaunt Sie das?
Was heisst diffamiert? Die «Weltwoche» hat nur aufgedeckt, dass sich Res Strehle in jüngeren Jahren mit terroristischen Gruppen der Linksextremen solidarisierte.
Mich würde zum Schluss noch interessieren: Wie wird sich Ihr Leben verändern, wenn Sie nicht mehr Mandatsträger für die SVP sind?
Ich dachte, ich dürfe noch darlegen, was ich als Ständerat erreichen möchte.
Nun – ich führe das Interview. Wie sähe Ihr Leben aus?
Ich bin nicht Politiker geworden, weil ich mich ein Leben lang danach gesehnt hätte. Aber der Bundesrat und das Parlament dürfen die Schweiz nicht fallen lassen – darum geht es mir! Ich wäre ein Feigling, wenn ich nur darüber schriebe. Ich mache meine Arbeit gerne und hoffe, dass ich die Schweiz weiterbringen kann.
Wie?
Zum Beispiel, indem ich für eine Linke wie Sie eine Herausforderung bin. Sie lernen in der Diskussion mit mir, Ihre Argumente zu schärfen. Umgekehrt gilt das natürlich auch: Ich hoffe, ich kann meine Argumente verbessern – dank Ihrem Widerspruch.
Das andere Kreuzverhör: In der SI-Wahlstafette interviewt eine Partei die nächste. Diese darf in der folgenden Woche die Fragen an eine weitere Partei stellen. Nächste Woche: SVP kontra BDP Roger Köppel interviewt Rosmarie Quadranti.