An einem Dienstagmittag im Oktober sitzt Mirco Brühwiler, 38, etwas länger im Büro in Zürich Oerlikon. Er wartet auf seine Freundin und die Kinder und freut sich auf das gemeinsame Zmittag. Draussen hört er die Kinder vom benachbarten Hort vorbeigehen – wie so oft. Doch etwas stimmt nicht. «Sonst singen sie oder lachen. Aber da schrien sie panisch», erzählt er zwei Monate später zu Hause in St. Gallenkappel. Er eilt ans Fenster, sieht Kinder wegrennen. Eine Frau schreit: «Da hat einer ein Messer!» Ohne nachzudenken, rennt Brühwiler raus, ruft die 117 an und fragt einen Passanten nach dem Täter. In diesem Moment fährt seine Familie mit dem Auto vorbei. «Er zeigte mir, wir sollen sofort in die Tiefgarage verschwinden», erzählt Francesca Corvaglia, 37.
Mirco Brühwiler geht auf den Täter zu, der verwirrt am Boden kauert. «Ich sagte, dass ich lange Polizist war und dass ich ihn zu Boden führen werde.» Dann kniet er auf dessen Schulterblatt. «Er war nervös, hatte einen hohen Blutdruck und atmete schwer.» Der 23-jährige Mann habe auf Englisch etwas über Taiwan und China gemurmelt und gesagt, dass er kein guter Mensch sei. Brühwiler stellt nur eine Frage: «Was ist Ihr verdammtes Problem, dass Sie auf Kinder losgehen?» Er hält den Mann fest, bis die Polizei eintrifft.
Brühwiler war selber 13 Jahre lang Polizist, seit einem Jahr arbeitet er als Fachspezialist Vollzug beim Migrationsamt des Kantons Zürich.
«Danach bin ich einfach mit meiner Familie ins Restaurant gegangen», sagt er. «Beim Essen merkte ich aber schon, dass ich unter Strom stand.» Am Nachmittag wird er von der Polizei befragt. Seine Freundin liest die Nachrichten und realisiert erst dann richtig, was geschehen ist. Drei fünfjährige Buben seien verletzt – einen von ihnen mussten die Rettungskräfte mit schweren Verletzungen ins Spital bringen. «Am Abend habe ich Mirco gesagt, dass ich stolz bin. Dann habe ich ihm die Leviten gelesen», sagt sie. «Ob ihm bewusst sei, dass wir Kinder haben und er nicht wie früher mit seiner Polizeiausrüstung unterwegs sei!»
Held wider Willen
Mirco Brühwiler und Francesca Corvaglia sind seit fast drei Jahren ein Paar. Beide brachten je zwei Kinder in die Beziehung mit, gemeinsam haben sie den einjährigen Adriano. Doch die Familie steht vor einer grossen Herausforderung: Sie muss ihr Zuhause wegen Eigenbedarfs des Vermieters verlassen und sucht dringend eine neue Wohnung. «Uns macht das zu schaffen», sagt Brühwiler.
Er selbst sieht sich nicht als Held. «Ich habe nur getan, was richtig war. Die wahre Heldin ist die Hortleiterin. Sie hat den Täter von den Kindern weggezogen.» Noch heute ist das Motiv des Angreifers unklar.
Seit er Vater ist, hat sich Brühwilers Perspektive verändert. «Ich bin näher am Wasser gebaut», gibt er zu. «Aber der Instinkt zu helfen ist immer noch da. Klar wäre es schlimm gewesen, wenn mir etwas passiert wäre. Aber ich musste handeln – auch, um ein Vorbild für meine Kinder zu sein.»
Schokolade und Bier als Belohnung
Die drei verletzten Buben haben den Angriff überlebt. Von den Eltern hat Brühwiler Schokolade und Bier bekommen. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr hat sich bei ihm persönlich bedankt, und Beat Oppliger, Kommandant der Stadtpolizei, hat ihn und andere Helfer auf die Polizeiwache zu einem Apéro eingeladen.
Wann soll man eingreifen? Wann wirds gefährlich? Brühwiler hat darauf eine klare Antwort: «Jeder kann etwas tun – die Polizei anrufen oder eine Tat filmen, um Beweise zu sichern. Nur wegschauen geht gar nicht.»