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  4. Gjon Karrica - Lugati: Hausbesuch beim kosovarischen Sänger im Aargau
Hausbesuch vor dem ersten Schweiz-Konzert

Im Kosovo ist Lugati ein Star – im Aargau ein liebevoller Papi

Mit auffälligen Kostümen und provokanter Musik sorgt Gjon Karrica in seiner kosovarischen Heimat regelmässig für Aufsehen. Nun will der im Aargau wohnhafte Sänger auch die Schweiz erobern.

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Lugati kosovarischer Superstar Gjon Karrica

Im albanischen Raum ein Musikstar, im Aargau der Nachbar von nebenan. Diese Trennung geniesst Gjon Karrica.

Joseph Khakshouri

«Ich bin daheim», tönts dumpf aus dem Flur. «Wieso hast du wieder getrödelt? Stell deinen Rucksack ab, wasch dir die Hände, und setzt dich an den Tisch», entgegnet Gjon Karrica (39) seinem siebenjährigen Sohn, der kurz vor halb eins zu Hause eingetroffen ist. «Gemeinsam zu essen, ist mir wichtig. Das wird in unserer Heimat, dem Kosovo, als Bestandteil der Kultur zelebriert.» Gekocht hat er selbst. Seine Frau Kllaudia (34) hat eine starke Sehschwäche. Eigentlich gelte die Regel, dass es um Punkt zwölf Uhr Mittag- und um sechs Uhr Abendessen gibt, so Karrica. «Das ist eine von vielen Tugenden, die ich mir hier in der Schweiz angeeignet habe.» Er lacht. Seiner «zweiten Heimat» kann er ohnehin viel abgewinnen. Und schätzt eines ganz besonders: «Hier gibt es Regeln dafür, wie man Regeln zu befolgen hat, das sorgt für Ordnung. Gleichzeitig hat man den Freiraum, sich komplett auszuleben.»

Lugati kosovarischer Superstar Gjon Karrica

Aufgetischt wird bei den Karricas oftmals Essen aus der Heimat. Sarma, Kohlrouladen mit Reis und Hack, mag die Familie besonders.

Joseph Khakshouri

Sein eigenes Ding hat der zweifache Familienvater schon immer durchgezogen. Mit Erfolg. Im albanischen Sprachraum ist er seit Jahren ein gefeierter Sänger. Seine Videos zählen Millionen Aufrufe, und auf Social Media folgen ihm mehrere hunderttausend Menschen. Den Höhepunkt seiner Karriere erreicht er vergangenes Jahr, als er sich in der kosovarischen Ausgabe von «Big Brother» zum Publikumsliebling mausert. Ein epileptischer Anfall zwingt ihn allerdings zum Ausstieg. Das nagt bis heute an ihm. «Ich bin sicher, dass ich gewonnen hätte. Wenn ich etwas mache, dann mit Herzblut – bis zum Ende. Das hat mich das Leben gelehrt.»

Ein Konzert als Dank

Jetzt will der Musiker auch die Schweiz erobern und steht für sein erstes Konzert am 20. April im Zürcher Plaza auf der Bühne. «Dieses Land hat mir so viel gegeben. Ich möchte auf diese Art und Weise den Mitmenschen, die mich und so viele andere herzlich aufnehmen, etwas zurückgeben.»

Bekannt ist Lugati, wie er sich als Künstler nennt, vor allem durch seine expliziten Darbietungen und extravaganten Outfits. Im konservativ veranlagten Kosovo hat das in der Vergangenheit x-fach für Aufsehen gesorgt und ihm nebst viel Ruhm auch negative Reaktionen beschert. Doch die sind ihm egal. «Für mich ist es bloss ein Zeichen, dass meine Arbeit gesehen wird. Ich will mit meinen Werken bewusst in den Köpfen verankerte Bilder aufbrechen.» Dafür ist ihm kein Aufwand zu gross. Viele Videos dreht er in Mailand, während Songs in der Schweiz aufgenommen werden. Aus Qualitätsgründen, wie er sagt. In der Heimat sei die Konkurrenz gross, und man müsse sich stets selbst übertreffen.

Mit roten Lackhosen, im knallgelben Tweety-Pullover oder mit frivolen Lederaccessoires spielt er gern auch mit Gendernormen. So verschafft er unter anderem der LGBTIQ+-Community Beachtung. Ihm ist wichtig, mit seiner Arbeit «etwas Sinnvolles» zu tun. So will er auch einen Grossteil des Gewinns aus seinem bevorstehenden Auftritt an SOS-Kinderdorf Kosovo spenden. «Ich möchte, dass die nächsten Generationen auf der ganzen Welt so unbeschwert aufwachsen können wie meine Kinder. Ich konnte das nicht.»

Lugati kosovarischer Superstar Gjon Karrica

«Ich bin froh, dass meine Kinder so privilegiert aufwachsen dürfen»: Seine Freizeit verbringt Gjon Karrica oft mit seinem siebenjährigen Sohn.

Joseph Khakshouri

Wenn das Augenlicht verschwindet

Als sich in den 90er-Jahren die politische Situation in seiner Heimat anspannt, die Wirtschaftslage kippt und die Existenzängste grösser werden, entscheiden sich Gjon Karricas Eltern, in die Schweiz zu flüchten. Vorerst ohne ihn. Er wird von seiner Grossmutter aufgezogen. Erst mit zwölf Jahren darf er als Familiennachzug zu seinen Eltern. Nach einem schwierigen Start absolviert er die Realschule und macht daraufhin eine Lehre im Detailhandel.

Das Glück scheint perfekt, als er kurz darauf Kllaudia kennen- und lieben lernt. Mittlerweile sind sie seit 15 Jahren verheiratet. Unbeschwert bleibt ihr Leben nicht. Vor zehn Jahren bemerkt sie erstmals einen markanten Sehverlust. Es stellt sich heraus, dass ihre Lichtsinneszellen in der Netzhaut des Auges beschädigt sind. Kllaudia erblindet fast vollständig. «Das hat unsere Ehe auf die Probe gestellt. Ich musste neu lernen, im Leben zurechtzukommen. Doch wir haben uns Treue bis ans Ende unserer Tage geschworen. Gjon ist eine grosse Stütze für mich», sagt sie.

Lugati kosovarischer Superstar Gjon Karrica

Als Spitex-Pfleger besucht er meist ältere Menschen. «Ich geniesse es, wenn sie Geschichten aus vergangenen Tagen erzählen.»

Joseph Khakshouri

Sie geben nicht auf, erkämpfen sich als Paar ihren Alltag zurück – mit Kindern. Vor acht Monaten komplettiert die Geburt der Tochter das Familienglück. Auch beruflich hat sich Gjon neu gefunden. «Nachdem ich meine Frau so lange gepflegt und unterstützt habe, ist mir bewusst geworden, dass ich in einen sozialen Beruf möchte.» Lugati findet bei der Spitex eine Stelle. «Jetzt könnte ich nicht glücklicher sein, führe ein schrilles, aber zugleich bodenständiges Leben mitten unter tollen Menschen – was kann man sich mehr wünschen?» Da kann ihn selbst der Junior mit seiner Trödelei vor dem Mittagessen nicht aus der Ruhe bringen.

Toni Rajic von Schweizer Illustrierte
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Von Toni Rajic am 14. April 2024 - 12:00 Uhr