Entspannt treten John (60) und Jenny Jürgens (57) in die Pedale des Tretbootes, geniessen den warmen Herbsttag auf dem Zürichsee. Und die Erinnerung. Hier am Nautic Center Lago beim Zürcher Sechseläutenplatz lag das Boot ihres Vaters vor Anker. «Wir schipperten so oft miteinander auf den See raus und übernachteten auch immer wieder mal auf dem Boot. Das war aufregend», erzählt Jenny. Sie war zehn, als die Familie nach Zürich zog, verbrachte ihre ganze Teenager-Zeit hier. Ihrem Bruder John ist ein Gefährt noch stärker in Erinnerung als das Boot von Papa Udo (†80): «Mein Töffli. Ich fuhr damit jeweils zum Hallenstadion an Konzerte. Einmal sogar mit meiner Mama hinten drauf», erzählt er lachend. (Von der Mutter der beiden, Panja Jürgens, liess Udo sich scheiden, als die Kinder bereits erwachsen waren.)
John lebt heute in seiner Geburtsstadt München, Jenny in Spanien. Zürich rufe aber immer noch Heimatgefühle in ihnen hervor, sagen beide. Die sind wichtig, wie ihr Vater bereits 1982 sang: «Ein bisschen Heimat ist eine Menge wert.» Den gemeinsamen Trip in die Stadt ihrer Teenager-Jahre unternehmen die Geschwister allerdings nicht nur der Erinnerungen wegen. Im Gepäck haben sie eine Hommage an ihren Vater, die sie dessen Schweizer Fans vorstellen möchten: «Udo90» ist eine Sammlung von 90 Liedern der Musiklegende, ausgesucht von Jenny und John aus Udos über 500 weltweit erschienen Singles. Sie kommt pünktlich zu dessen 90. Geburtstag heraus, gut drei Monate vor seinem zehnten Todestag. Und es gibt noch einen ganz speziellen 91. Song: «Als ich fortging» entdeckte ein Archivar im Musikarchiv der Plattenfirma auf einem Demoband. Udo schrieb ihn bereits in den 80er-Jahren, veröffentlichte ihn aber nie.
Udo Jürgens war ein präsenter Vater
Das Kuratieren der Lieder sei intensiv und anstrengend gewesen, erzählt John Jürgens. «Über Monate täglich die Stimme meines verstorbenen Vaters zu hören, war zwar schön, aber manchmal hat es mich auch total überfordert.» Viele der Kassetten, die John alle digitalisiert hat, seien in Udos Handschrift mit Ort und Datum versehen gewesen. «Ich hab ihn dann jeweils vor mir gesehen, im Haus von Freunden in Kitzbühel oder am Flügel in Zürich.»
Die Trauer sei zehn Jahre später nicht mehr so intensiv wie direkt nach Udos Tod, sagt Jenny. «Aber sie überkommt einen trotzdem immer wieder mal. Gerade dann, wenn man mit schönen Erinnerungen konfrontiert ist.» Natürlich sei Udo Jürgens kein Nine-to-five-Vater gewesen, so Jenny. «Er war sehr präsent. Die Zeit, die wir zusammen verbrachten – und das war gar nicht so wenig, wie man vielleicht denken mag –, war geprägt von echtem Interesse an uns und unserem Leben.» Dies auch, als die Kinder längst erwachsen waren. John, der europaweit als DJ John Munich tätig ist, erzählt: «Manchmal tauchte er plötzlich in einem Klub auf, in dem ich auflegte, und stand da in der Menschenmenge.» Und auch Jenny sah beim Blick von der Theaterbühne ins Publikum öfter mal unangekündigt das Gesicht ihres Vaters.
«Die Wahrheit ist: Mir ist nichts anderes eingefallen», sagt Jenny Jürgens, wenn man sie auf ihre Berufswahl, die Schauspielerei, anspricht. Beide Jürgens-Kinder spielten in beliebten deutschen Serien wie «Marienhof» (John), «Rote Rosen» oder «Lena – Liebe meines Lebens» (Jenny) mit. Den Menschen mit etwas Freude zu bereiten, sei immer sein Wunsch gewesen, so John. Dass dieses «Etwas» nicht die Musik ist, war Jenny früh klar: «Papas Fussstapfen waren viel zu gross. Diesen Vergleich hätte ich mir nicht antun wollen.» Dass beide einen Beruf wählten, bei dem sie in der Öffentlichkeit stehen, sei immer wieder mal Diskussionsthema mit ihrem Vater gewesen. «Nicht dass sich dadurch wahnsinnig viel geändert hätte», meint John pragmatisch. An die klickenden Kameras, die seit frühester Kindheit auf sie gerichtet sind, haben John und Jenny keine besonders guten Erinnerungen. «Als Kind ist das nicht so toll», erzählt Jenny. «Jetzt, im Erwachsenenalter, können wir das selbst steuern, da ists etwas anderes.»
Auch wenn sie sich gegen eine Musikkarriere wie die ihres Vaters entschieden haben – dass ihnen ihre Herkunft immer den Zusatz «Sohn von …» und «Tochter von …» beschert, ist nicht immer einfach für John und Jenny Jürgens. Auch wenn sie stolz sind auf das Vermächtnis ihres Vaters: über 105 Millionen verkaufte Tonträger, 50 Studioalben, 19 Livealben und 25 Konzerttourneen machen Udo Jürgens zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Künstler der Geschichte. «Für die Selbstfindung und die eigene Karriere war der Nachname allerdings nicht immer hilfreich», gesteht Jenny. Sogar heute komme es vor, dass er lediglich als «Sohn von Udo Jürgens» vorgestellt werde, «sogar ohne meinen Namen zu nennen», erzählt John. Umso wichtiger war es ihm immer, seinen drei Kindern zu vermitteln, dass sie ihren eigenen Wert haben. «Sie würden niemals damit angeben, dass sie Udo Jürgens’ Enkel sind.»
Täglich sind Fans am Grab von Udo Jürgens
Nach dem Pedalo-Ausflug schlendern John und Jenny Jürgens noch eine Weile dem See entlang. Dass sie dies grösstenteils unerkannt tun können, geniessen sie. Auch wenn es sie selten stört, wenn sie von Fans ihres Vaters angesprochen werden. Das passiert manchmal, wenn sie sein Grab in Wien besuchen. «Es ist verrückt, dass immer noch täglich Leute dorthin pilgern», sagt Jenny. Das zeige nicht nur den Stellenwert, den Udo Jürgens in der Musikwelt hat, «sondern auch die nachhaltige Liebe seiner Fans. Und seine Liebe zu ihnen.» Ihrem Vater sei stets bewusst gewesen, wem er seinen Erfolg verdanke. Jenny: «Er hat immer alle gleich behandelt, vom Millionär bis zum Taxifahrer.» Eine Haltung, die er seinen Kindern mitgegeben hat. «Wir hoffen, den Menschen mit dem neuen Album eine Freude machen zu können. Es gibt nicht viel, was nach dem Tod bleibt – ausser Musik und Liebe.»