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Schriftstellerin und Schweizer Buchpreis-Gewinnerin Zora del Buono

Literarische Erinnerungen an die Familie

Erst schrieb sie über ihre Grossmutter, jetzt über ihren Vater. «Seinetwegen» bescherte Zora del Buono den Schweizer Buchpreis 2024. Ob es gut getan hat, über den Mann zu schreiben, «den ich nie vermisste, weil ich ihn nicht kannte» ? Zora del Buono ist sich nicht sicher.

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<p>Voller Zuneigung: Zora del Buono mit ihrer in Italien auf­gelesenen Strassen­hündin. «Natalias Fell harmoniert mit meinen Haaren.»</p>

Voller Zuneigung: Zora del Buono mit ihrer in Italien aufgelesenen Strassenhündin. «Natalias Fell harmoniert mit meinen Haaren.»

Geri Born

Es gibt im Leben ein Davor und ein Danach. Doch was den Verkehrsunfall ihres Vaters betrifft, gibt es für Zora del Buono (62) lange Zeit nur ein Danach: Sie ist gerade einmal acht Monate alt, als der Arzt Manfredi del Buono 1963 auf einer Landstrasse in der Ostschweiz ums Leben kommt. Zora selbst hat keine Erinnerung an den Vater. Ein altes Schwarz-Weiss-Foto zeigt ihn, wie er seine kleine Tochter zärtlich im Arm hält und liebevoll anschaut. «Man erzählte mir zwar immer viel von ‹diesem tollen Mann›, aber ich spürte dabei nichts – und ich hatte deswegen ein schlechtes Gewissen», sagt sie.

<p>Ohne Erinnerung: Zora del Buono als Baby mit ihrem Vater. Sie ist acht ­Monate alt, als der italienische Arzt bei einem Autounfall ums Leben kommt.</p>

Ohne Erinnerung: Zora del Buono als Baby mit ihrem Vater. Sie ist acht Monate alt, als der italienische Arzt bei einem Autounfall ums Leben kommt.

ZVG

Seit Kurzem gibts für del Buono doch noch ein Davor. Sie recherchierte, stiess unter anderem auf alte Filmaufnahmen von ihrem Vater und fand sogar seinen Hochzeitsanzug. Dinge, die sie berührten, weil der Vater plötzlich so lebendig wurde. Im Juli 2024 erschien mit «Seinetwegen» ein autofiktionaler Roman der Schriftstellerin, in dem sie das Familiendrama aufarbeitet. Das «herzzerreissende und sehr bewegende Buch», wie Literaturpäpstin Elke Heidenreich im «Spiegel» lobte, brachte del Buono den Schweizer Buchpreis ein. «Mit überraschender Leichtigkeit verflicht del Buono in dem dicht komponierten Recherche-Roman Statistiken, Gerichtsdokumente und Szenen aus ihrem Leben. Es ist ein leiser, unprätentiöser Text voll existenzieller Wucht», begründete die Jury ihre Wahl.

<p>Total versunken: Seit fünf Jahren nimmt die Schriftstellerin Klavier­unterricht. «Ich spiele viel, aber übe zu wenig.»</p>

Total versunken: Seit fünf Jahren nimmt die Schriftstellerin Klavierunterricht. «Ich spiele viel, aber übe zu wenig.»

Geri Born

Ob es guttut, weiss sie noch nicht

Über das Buch sei so viel geredet worden, dass es für sie schwer auszuhalten gewesen sei, sagt Zora del Buono heute. Viele Leute würden von ihr wissen wollen, obs ihr jetzt besser gehe, nachdem sie alles niedergeschrieben habe. Vorher sei es ihr prima gegangen, antwortet sie dann jeweils. «Rührt man in alten Sachen, weiss man nie, was mit einem passiert. Du weisst nicht, obs dir guttut oder nicht. Und bei mir selbst bin ich mir noch nicht ganz sicher.»

Das Danach fühlt sich für del Buono viel extremer an. Es hat auch damit zu tun, dass sich Wildfremde melden, um ihr die eigene Familiengeschichte zu erzählen. Dabei gehe es oft um das Totschweigen des Geschehenen, die Tatsache, dass das Auto bis heute «eine heilige Kuh» darstelle, bis hin zur Erwartung des Umfelds, «dass die vom Verlust eines Angehörigen Betroffenen mit ihrer Trauer schnell fertig sein sollen».

Ihren Vater hat Zora del Buono nie betrauert. «Ich kann nicht um jemanden trauern, den ich gar nicht vermisse. Ich vermisste meinen Vater nicht, weil ich ihn nicht kannte. Meine Not war der Schmerz meiner Mutter.» Heute sei sie traurig darüber, «dass Vater mit 33 sterben musste, dass er und Mama ihre Liebe nicht lange leben konnten».

Jetzt hat sie Lust auf ein Reisebuch

Als Nächstes plant sie ein Reisebuch, dafür will sie mit ihren Strassenhunden Natalia und Mica losziehen. «Darauf habe ich jetzt richtig Lust.» Mica ist wegen eines doppelten Kreuzbandrisses noch bei Zoras Freunden untergebracht. Sie selbst ist solo. «Das ist total okay so.» Im Beziehungsleben sei sie nicht gut; sie sei da nicht glücklich und gehe verloren. Del Buono lebte mit Frauen zusammen – und sie liebte auch Männer. «Entweder will ich zu viel oder der oder die andere will zu viel.» Sie findet beides grässlich. Ihre Freiheit ist ihr wichtiger als Geborgenheit. «Obwohl mir manchmal die Geborgenheit fehlt.»

<p>Absolut fokussiert: Sie habe «jetzt richtig Lust, ein Reisebuch zu machen».Dafür will sie auch wieder selbst zur Kamera greifen.</p>

Absolut fokussiert: Sie habe «jetzt richtig Lust, ein Reisebuch zu machen».Dafür will sie auch wieder selbst zur Kamera greifen.

Geri Born

Die Schriftstellerin wuchs in Zürich und in der süditalienischen Hafenstadt Bari auf, von wo ihr Vater stammte. Als Studentin zog sie nach Berlin, studierte an der Universität der Künste Architektur, schloss ihr Diplom an der ETH Zürich ab. Fünf Jahre arbeitete sie als Bauleiterin in Berlin, bevor sie für ein Nachdiplomstudium in Szenografie in der süddeutschen Provinzstadt Rosenheim landete. Zum Schreiben kam sie durch «Mare – Die Zeitschrift der Meere». Mit einem Freund aus Jugendtagen gründete sie das Magazin 1997 in Hamburg.
Erinnern und Nichterinnern verfolgen Zora irgendwie. Ihre Mutter Marie-Louise (90) leidet an Demenz, lebt im Pflegeheim. «Mama kennt mich nicht mehr.» Dass mit der Mutter etwas nicht stimmt, bemerkte sie vor zehn Jahren. Eine Ärztin gab ihr nach der Diagnose den Rat mit auf den Weg, die Mutter in professionelle Hände zu geben, bevor sie anfange, ihre Mama zu hassen. «Ich lege diesen Satz heute jedem ans Herz, der mit der Pflege Angehöriger überfordert ist.» Eine Zeit lang kümmerte sich Zora noch selbst um ihre Mama.

Schöne Kindheitserinnerungen

Denkt Zora heute an Besuche als Kind bei den Grosseltern in der süditalienischen Stadt Bari zurück, kitzelt ihr der Duft von Mandarinen, Orangen und Zitronen die Nase. So, als ob sie direkt im Garten des Palazzo von Nonna stehen würde. «Sie stand mir nahe, allein schon, weil wir denselben Namen hatten. Ich war die kleine Zora.» Mit dem Roman «Die Marschallin» setzte sie der Grossmutter ein literarisches Denkmal. In «Seinetwegen» erinnert sie an den Vater. Es gibt da noch eine Person, über die sie schreiben möchte: «Tante Anni. Ein Fräulein! Auf diese Anrede legte sie grossen Wert, weil es sie stets daran erinnerte, dass sie unabhängig war.»

Von René Haenig vor 21 Stunden