Orell, 12, schneidet die Zwiebeln, Elia, 21, rührt den Spätzliteig, Zwillingsbruder Ruben deckt den Tisch. Der Ämtli- und Menüplan in der Küche von Familie Bergkraut/Schweikert sieht vor, dass jeder pro Woche einmal kocht oder das Essen bestimmt. «Das klappt schon, aber mit der Zeit verläuft sichs jeweils», sagt Ruth Schweikert, 54, Mutter von fünf Söhnen und Erfolgsautorin («Erdnüsse. Totschlagen», «Ohio»).
«Wenn etwas nicht erledigt wird, fluche ich zwar viel, aber mache es dann selbst.» Dabei schwebe ihr als Selbstbild nicht die perfekte Hausfrau vor. Ehemann Eric Bergkraut, 61, ist strikter: «Ich besitze die Sturheit, dass alle Familienmitglieder dreimal pro Woche um 19 Uhr beim Abendessen sein müssen, sonst machts keinen Sinn, dass wir zusammen wohnen», so der Filmemacher, der gerade den ersten Roman «Paradies möcht ich nicht» publiziert hat.
Das Leben in einer Kleinfamilie ist nicht mehr so wie früher. Die Mutter steht nicht mehr als Einzige am Herd. Die Erziehung verläuft nicht mehr autoritär. Und die Kinder ziehen nicht mehr, kaum sind sie volljährig, von zu Hause aus. «Dass der Nachwuchs länger daheimbleibt und sich einiges gar gekehrt hat, ist ein gesellschaftliches Phänomen», so Schweikert. Und genau davon handelt «Wir Eltern», die Komödie von ihr und Bergkraut, die am 10. Oktober in die Kinos kommt.
«Wir wollen uns nicht als super Powerpaar darstellen, haben aber das Schiffli bisher nicht schlecht gesteuert.»
Eric Bergkraut
Es ist das erste Mal in ihrer 25-jährigen Beziehung, dass das Künstlerpaar zusammengearbeitet hat. Innert wenigen Monaten entstand das Drehbuch, in nur 15 Tagen drehten sie den Film in ihrer Eigentumswohnung im Hürlimann Areal. «Manchmal wünschte ich sie auf den Mond, sie mich auf den Mars», sagt er. «Wir wollen uns nicht als super Powerpaar darstellen, haben aber das Schiffli bisher nicht schlecht gesteuert.» Am Filmfestival in Locarno feierte «Wir Eltern» bereits Premiere. «Unsere Familie dient in dieser Fiktion als Beispiel, aber nicht als Vorbild», sagt Bergkraut. «Es kommen Themen vor, die uns beschäftigt haben – nur zugespitzter und grotesker.»
Ruben, Elia und Orell spielen im Film die drei Söhne, Eric Bergkraut den Vater – nach 30 Jahren Inaktivität als Schauspieler. Schweikert führte trotz Schauspielausbildung lieber Regie. «Bei den Dreharbeiten begegneten wir einander auf einer anderen Augenhöhe, auf der professionellen, nicht auf der erzieherischen», sagt Ruben. Wie seine Brüder nennt auch er die Eltern beim Vornamen – «wohl aus Emanzipation». Für Orell, der seit sechs Jahren im Theater Purpur dabei ist und bald im Jungschauspielhaus, war der Film «eine Erfahrung und ein Experiment mit der Familie». Besonders nach Schweikerts Brustkrebs-Diagnose im Februar 2016 – davon erzählt ihr Buch «Tage wie Hunde» – war die gemeinsame Zeit wertvoll.
«Im Haushalt machen Eric und ich beide alles, aber ich von allem mehr.»
Ruth Schweikert
Ruben putzt sein ehemaliges Zimmer. Anders als seine Figur im Film ist der Germanistik-Student und angehende Schriftsteller vor einem Monat «freiwillig», wie er sagt, von zu Hause in eine WG gezogen. Sein Fazit: «Es ist bezaubernd.» Zwillingsbruder Elia wohnt weiterhin daheim und büffelt autodidaktisch für seine Matura. Wie einst seine Mutter brach er die Schule ab. «Wir haben sehr gute Eltern, die uns kein Dogma aufsetzen. Ruth und Eric sind nicht einfach die Chefs», sagt Elia. «Sie ermöglichen, dass wir uns selbstständig entwickeln können.»
Und genau darin liegt gemäss den Eltern auch die grösste Herausforderung. «Wir müssen aushalten können, dass sie eigene Wege gehen, andere Ansichten haben», sagt Bergkraut. Ihnen eigene Entscheidungen zumuten und wenn sie scheitern, das Vertrauen behalten, das sei manchmal schwierig, ergänzt Schweikert. «Auch Durststrecken gehören dazu.» Ihre ältesten Söhne aus einer früheren Beziehung haben bereits eigene Familien gegründet und sie zur «Nonna» und zum «Grosi» von vier Enkeln gemacht.
Im Arbeitszimmer malt Orell – in der Sek gehört er zur Projektklasse selbstbestimmtes, freies Lernen – ein Schild zum Klimaschutz. Sein Vater bereitet daneben die Filmwerbung vor. Hinter ihnen wartet ein Sack voll einzelner Socken auf passende Partner. «Meine fast tägliche Meditation», so Ruth Schweikert. «Im Haushalt machen Eric und ich beide alles, aber ich von allem mehr.» – «In diesem Fall verzichte ich auf den Anwalt, Ruth hat recht, leider. Aber a priori teilen wir uns die Aufgaben daheim und das Geldverdienen», sagt er. Dies sei weder ideologisch untermauert, noch seien sie als Familie perfekt. «Wir stehen einfach zu unserer Realität, was mir persönlich mehr Weltvertrauen gibt als die vermeintliche heile Welt.»
Die Spätzli sind fertig. Auf Vaters Rufen versammeln sich alle am Esstisch. Ein Projekt wie «Wir Eltern» könne man als Familie nur realisieren, wenn man sich gegenseitig sehr vertraut, sind sie sich einig. Dass ihr Familienfilm aus ihren vier Wänden nun hinaus in die weite Welt geht, «ist wie ein kleines Wunder».