Wasiliki Goutziomitros, vor einem Jahr haben Sie am Muttertag folgenden Satz gepostet: «Nach über drei Jahren ist die anfängliche Panik, die Verantwortung für ein anderes Leben zu tragen, etwas verflogen.»
Es kommt so vieles auf einen zu, wenn man Mutter wird. Ich war extrem geflasht von dieser Verantwortung: Ist er richtig angezogen? Hat er genug gegessen? Bis hin zu: Wird ein guter Mensch aus ihm?
Was ist beim Erziehen die grösste Herausforderung?
Einen guten Mittelweg zu finden. Das Wichtigste ist, dem Menschli das Rüstzeug fürs Leben mitzugeben: Respekt vor anderen, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, dass von nichts nichts kommt. Viel mehr kann man wohl nicht machen, denn ein Stück weit spielt auch das Glück mit.
Sie schrieben auch: «Mein Studium der Sozialpsychologie hat mich gelehrt, dass nichts den Menschen so sehr prägt wie die Beziehung zu seiner Mutter.» Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Sohn Phaedon beschreiben?
Ich probiere, ein gutes emotionales Verhältnis zu ihm zu haben, damit er sich bei mir wohlfühlt. Ich will nicht seine Freundin, sondern sein Mami sein. Und ich versuche, ihm Grenzen aufzuzeigen, denn ich bin der festen Überzeugung, dass es der Erziehungsarbeit hilft, wenn man Nein sagt.
Wann sagen Sie Nein?
(Lacht.) Ich probiere, gewisse Regeln einzuhalten, nicht zu allem Nein, aber auch nicht zu allem Ja zu sagen. Wenn wir etwas abmachen oder einander etwas versprechen, will ich, dass ihm klar ist, dass dies gilt. Manchmal vergisst er, dass ich ihm ein Glace versprochen habe. Trotzdem gebe ich es ihm, damit er weiss: «Mami hat Wort gehalten.» Das Gleiche gilt für ihn. Wenn er mir verspricht, nur zwei Sachen im Fernsehen zu schauen, muss er auch Wort halten.
Verraten Sie uns, wie das gelingt!
(Lacht.) Tut es nicht, es gibt immer Puff! Ich bin aber relativ strikt, wohl weil ich Medienfrau bin und weiss, dass er den Medienkonsum für seine Entwicklung aktuell nicht braucht. Er darf fernsehen, aber in Massen.
Durch Ihren Beruf sind Sie viel mit negativen Nachrichten konfrontiert. Hat das Ihre Familienplanung beeinflusst?
Nein, ich finde, man darf sich diesbezüglich vom Elend dieser Welt nicht beeinflussen lassen. Was mich sicher verändert hat, sind die Erfahrungen, die ich als Reporterin gemacht habe. Mein Besuch in Südafrika oder Lesbos während der Flüchtlingskrise hat meinen Blick auf das eigene Kind, das ein warmes Bett hat, und auf die Familie, die gesund ist, natürlich verändert.
Sprechen Sie mit Ihrem Sohn darüber?
Ich erkläre ihm, dass es Kinder gibt, die nicht zwischen Wurst, Pommes frites oder Spinatchüechli wählen können. Dass es Kinder gibt, die nur ein Stück Brot haben und dieses teilen müssen. Das sage ich ihm, um zu zeigen, dass unser Leben hier nicht selbstverständlich ist.
Wie dachten Sie über das Muttersein, bevor Sie selbst Mama wurden?
Darüber hatte ich mir keine grossen Gedanken gemacht (lacht). Was ich aber merke: Unsere Gesellschaft stilisiert das Muttersein oder das Elternsein sehr hoch. Ich weiss nicht, ob dies Ausdruck davon ist, dass das Pendel wieder ins Konservative umschlägt. Klar, Eltern machen für ein Leben mit Kindern viele Kompromisse, und sie leisten einen Beitrag an unsere Gesellschaft, weil ihre Kinder übermorgen unsere AHV zahlen. Aber das bedeutet nicht, dass wir über jene, die keine Kinder haben, urteilen sollten. Ich bin der Meinung: «No rules but your rules.»
Müssten Mütter und Väter nicht mehr Wertschätzung erfahren?
In gewissen Bereichen, zum Beispiel wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, brauchts mehr Anerkennung. Aber dafür müsste sich unsere Gesellschaftsstruktur noch weiter ändern. So wie es mir freigestellt ist, ob ich Mutter sein will oder nicht, sollte es mir auch freigestellt sein, ob ich arbeiten gehen will oder nicht.
Eine Mutter, die arbeitet, wird genauso kritisiert wie eine, die Hausfrau sein will.
Man wird ständig beurteilt. Ich arbeite am Wochenende, dazu will ich keine Kommentare hören. Das ist meine Entscheidung. Für mich war es das Richtige, einen Mittelweg zu finden. Ich arbeite 60 Prozent und habe Zeit für meinen Sohn. Aber das geht nur, weil ich eine Struktur habe, die mich bei der Kinderbetreuung unterstützt. Jede Woche arbeite ich in anderen Schichten, da nützt mir eine Krippe nichts. Dass ich arbeite, hat auch Vorbildfunktion für mein Kind. Er weiss: Mütter arbeiten. Meine Mutter und meine Grossmutter haben immer gearbeitet – als Altenpflegerin und auf dem Bauernhof, sie waren dynamische, starke Frauen. Das hat mich geprägt.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie als Mutter bei der Arbeit mehr beweisen müssen?
Meine Kompetenz wurde nie infrage gestellt. Als ich Mutter wurde, war ich bereits im «Tagesschau»-Team. Bei uns arbeiten viele Mütter, die Chefin der «Tagesschau» hat drei Kinder, viele Männer haben ihre Papi-Tage.
Spüren Sie nie den Druck, wegen eines kranken Kindes nicht fehlen zu dürfen?
Ich habe das Problem nicht, weil ich super Eltern habe, die mein Kind betreuen, wann immer es nötig ist. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Für sie ist das selbstverständlich, sie stammen aus Griechenland, dort ist das der Normalfall.
Ihr Mann George ist ebenfalls Grieche. Wie teilen Sie die Rollen auf?
Er arbeitet 100 Prozent, schaut aber an den Wochenenden und an den Abenden zum Kind. Es gibt also nichts, das er daheim nicht macht. Und jetzt bei der zweiten Schwangerschaft kommt uns der Vaterschaftsurlaub zugute, was cool ist.
Ihr Sohn ist vier, im Sommer kommt Ihr zweites Kind. Wie einfach war der Entscheid, nochmals von vorne zu beginnen?
Gewisse Dinge kann man nicht planen. Es wird sicher nochmals streng – oder vielleicht auch nicht, wer weiss? Ich habe mir vorgenommen, mich nicht nur aufs Baby, sondern auch auf den Grossen zu konzentrieren, und hoffe, es gelingt.
Sind Sie jetzt gelassener?
Definitiv. Aber wie die Gesellschaft nicht nur in Sachen Anerkennung mit Müttern umgeht, sondern ganz konkret, stört mich. Wenn jemand sieht, dass man einen Babybauch hat, gibts einen Kommentar. Oder Leute fassen einem sogar an den Bauch! Als Schwangere wird man total Intimes gefragt: zur Geburt, zum Stillen, zur Zeugung. Das finde ich echt unmöglich!
Was haben Sie gelernt, seit Sie Mutter sind?
Loszulassen. Ich bin nicht die Einzige, die mein Kind «richtig» anziehen kann, das können andere auch. Fakt ist, dass einem viele Dinge auch einfach nicht gelingen. Und auch Eltern kommen an den Anschlag, weil das Kind dieses oder jenes nicht essen oder nicht schlafen will. Manchmal kann das einen zur Weissglut treiben.