Esteban hat seine Meinung gemacht. «Papi kocht gut», sagt der Achtjährige. «Aber Gratin kann er nicht. Pizza eigentlich auch nicht.» Michael Suter, 43, lacht laut heraus. Gerade hat er erzählt, wie er es in manchen Wochen schafft, neben drei Tranchen Handball pro Tag seinen Kindern mittags auch noch zu kochen.
Aber eben. Esteban vertraut nicht in allem bedingungslos auf Vaters Fähigkeiten. Beide sitzen zusammen mit Mutter Santi, 44, sowie Yuliana, 10, und Noralina, 5, auf der Veranda dieser grossen Wohnung in Welsikon ZH. Nur ein paar Kilometer nördlich von Winterthur – aber niemand würde hier in der Nähe eine Stadt vermuten.
Es ist eine ländliche Idylle. Vom Rasen geht der Blick über Riegelhäuser und weite Felder. Und das Knattern eines Traktors ist eigentlich wie der Gong zu einer Zen-Meditation.
Suter hat bewegte Tage hinter sich. Am Sonntag, 16. Juni, coachte er das Schweizer Handball-Nationalteam in Serbien an die EM-Endrunde 2020. Eine Niederlage mit einem Tor Differenz reichte für Gruppenplatz 2. Erstmals seit 2006 gibt es somit wieder einen ganz grossen Auftritt.
«Ich habe so viele Rückmeldungen erhalten! Endlich schlagen wir wieder einmal hohe Wellen», sagt Suter, einst selbst erfolgreicher Flügelspieler von Pfadi Winterthur und im Nationalteam. Über 6000 Zuschauer waren beim Quali-Spiel gegen Kroatien in Zug. Die Handballer sind wieder wer.
Wie hart die Arbeit dahinter ist, macht Suter gleich selbst vor. Nach einer kleinen Feier am Sonntagabend und dem Rückflug am Montagmorgen gehts direkt vom Flughafen Zürich nach Schaffhausen. Hier leitet er keine 24 Stunden nach der grössten Sternstunde seit über 13 Jahren ein Junioren-Training der Suisse Handball Academy, die er neben seinem Job als Nationalcoach leitet.
«Ich wollte die Jungen nicht sitzen lassen. Wissen Sie, ein Superstar wie Andy Schmid ist wichtig, aber der Nachwuchs ebenso.» Zwischen 2010 und 2016 qualifizierte er sich mit den Auswahlen der U19 und U21 bei zehn von zwölf Gelegenheiten für grosse Turniere. Und nun schafft er das auch mit dem A-Team. Was ist sein Geheimnis? «Es gibt keines. Vieles hat mit Wahrscheinlichkeiten zu tun. Was ist zu welchem Zeitpunkt erfolgreich? Das muss in Fleisch und Blut übergehen. Wie der unbedingte Siegeswille. Wir sagen uns immer: Wir werden auch bessere Gegner bezwingen, keine Frage.»
Die Schweizer haben Schmid, den jahrelang besten Handballer der Welt. Aber jetzt haben sie auch Rubin, Portner, Sidorowicz, Röthlisberger. Alle haben das gewisse Etwas auch von Suter eingeimpft bekommen.
Es ist ein sportlicher Haushalt bei den Suters. Auch Michaels Frau Santi war einst Profisportlerin. Die Genferin mit indonesischen Wurzeln zählt Mitte der Neunziger zu den 50 besten Badminton-Spielerinnen der Welt. «Wir lernten uns 1996 während der Olympischen Spiele von Atlanta kennen», sagt sie. «In einem Essenszelt sprach er mich an, als ich mit meiner Zimmerkollegin da war. Wir waren uns gleich sympathisch.» Es dauert zwei Jahre, bis die beiden ein Paar werden. «Damals gab es noch keine Handys. Wir schrieben uns Briefe», sagt Suter. Bis sie ein Rolling-Stones-Konzert in Frauenfeld ganz zusammenbringt.
Die Fähigkeiten haben sie auf ihre Kinder übertragen. Auf verschiedenen Ebenen. «Ich rede mit ihnen Französisch, er Züritüütsch, seine Eltern Berntüütsch, meine Eltern Indonesisch. Mir war wichtig, dass sie nicht ein Français fédéral sprechen», sagt Santi und lacht. Sportlich vererben sie und ihr Mann ebenfalls einiges. Yuliana spielt neben ihren Ballettstunden Badminton, Esteban darf ins Handball. Dazu versucht sich jedes der Kinder in einem Instrument. «Wenn wir was machen, dann mit Herz», sagt Santi.
Das braucht einiges an Familienorganisation. Und hat seinen Preis. «Ich komme nicht mehr so zu meinen Hobbys», sagt Suter. Er hat eine Plattensammlung von über 1600 Scheiben. Viel Jazz. Von Miles Davis bis John Coltrane, von Grant Green bis Jutta Hipp. Aber es dauert, bis er sich die Zeit dafür wieder einmal klaut. Und die wird in den nächsten Monaten sicher nicht mehr werden, wenn der Aufbau Richtung Europameisterschaft gemacht wird.
Und was ist, wenn der grosse Star Andy Schmid dereinst zurücktritt? Droht seiner Mannschaft dann erneut ein Dornröschenschlaf? «Nein, das glaube ich nicht», sagt Suter. «Alle wissen, dass wir auch ohne ihn ganz Grosses in uns haben. Andy ist ein Genie. Aber zusammen können wir alle überraschen.»