Er hängt vom Helikopter und springt auf fahrende Trucks, lässt sich von Autos anfahren und steckt für Stars Schläge ein: Oliver Keller (48) ist als Stuntman erfahren und geht keine unnötigen Risiken ein.
Doch vor ein paar Jahren in Puerto Rico, als er in «Behind Enemy Lines 3» den Schauspieler Joe Manganiello doubelte, lief etwas schief, und er kam unter die Räder eines Militär-Jeeps. Wie durch ein Wunder blieb er unverletzt. «Ich hatte wirklich einen Schutzengel», erinnert sich der Zürcher. «Als ich unter dem Fahrzeug lag und ans Fahrgestell hochschaute, wurde mir erstmals bewusst, dass ich nicht unsterblich bin. Ich hatte eine zweijährige Tochter im Hotelzimmer, die auf mich wartete. Ich musste mir Sorge tragen.»
Oliver Kellers Tochter tritt in seine Fussstapfen
Tochter Geneva ist inzwischen 17 Jahre alt und nach wie vor ein wichtiger Antrieb in Kellers Leben. Auch als er sich nach über 20 Jahren in Hollywood entschloss, zurück in die Schweiz zu ziehen. Es war zu Beginn der Coronapandemie. Alles stand plötzlich still. Oliver Keller machte eine Standortbestimmung: Er hatte in Los Angeles alles erreicht, arbeitete an Blockbustern («Immortals», «The Suicide Squad») und doubelte Stars wie Pierce Brosnan, Henry Cavill, Sacha Baron Cohen und Jim Carrey. War er noch happy, oder brauchte er eine neue Herausforderung? «Los Angeles ist auch nicht mehr das, was es war», erklärt er in seinem neuen Zuhause im Thurgau. «Die Hälfte meiner Freunde sind aus der Stadt gezogen, und auch in Atlanta, wo wir zuletzt wohnten, hatte die Kriminalität stark zugenommen. Die Lebensqualität ist gerade für einen Teenager besser in der Schweiz.»
Darum lebt Oliver Keller jetzt in der Schweiz
In Kreuzlingen fanden die beiden eine internationale Schule für Geneva und unweit davon in Bürglen TG ein 750 Quadratmeter grosses Studio. Darin steht heute der grösste Green Screen der Schweiz. Kellers Firma namens 1291 Productions bietet neben seinem Know-how als Stunt-Koordinator für Filme wie «Bon Schuur Ticino» und Serien wie «Tschugger» nämlich auch die technische Ausrüstung für Spezialeffekt-Shootings an.
«Es war am Anfang schon eine Umstellung, denn meine Schule in den USA hatte 1500 Schüler, hier sind es gerade mal 18 in meiner Klasse», erzählt Geneva in leicht englisch gefärbtem Schweizerdeutsch. «Aber in den USA gab es 2020 nur noch Onlineunterricht, und immer nur daheim rumsitzen war nicht lustig. Hier bin ich freier.» Auch Oliver Keller, der in Kloten aufgewachsen ist, musste sich zuerst daran gewöhnen, dass sein riesiger Ram-Pick-up-Truck zwei Parkplätze benötigt und man die Leute im Volg nicht mit «Hallo, wie gehts?» begrüsst. «Sie überlegen dann und wissen nicht, was antworten», sagt er schmunzelnd.
Genevas amerikanische Mutter, von der Oliver Keller seit vielen Jahren getrennt ist, machte den Umzug mit. Sie lebt nun in Kreuzlingen und unterrichtet als Kindergärtnerin an der internationalen Schule. «Es gefällt ihr super, und sie hat ihren Eltern schon gesagt, dass sie nicht mehr in die USA zurückziehen werde», so Keller, der froh ist, dass seine Tochter beide Elternteile in der Nähe hat und ihre Woche zwischen beiden aufteilen kann.
Geneva hat bereits erste Stunts gedreht
Mit einem Daddy als Stuntman und Präzisionsfahrer sass Geneva schon früh selber hinter dem Steuer: Im Gang vor ihrem Zimmer reihen sich die Trophäen aus ihrer Zeit als Kartfahrerin. Bald ist sie 18 Jahre alt und darf dann offiziell Monstertrucks fahren. Darauf freut sie sich. «Ich wollte selber fahren, mein Vater hat mich nie gepuscht.»
Das Familienhandwerk liegt ihr im Blut. Sie hat bereits Stunts in Michael Steiners Kinofilm «Early Birds», im «Tatort» und in der TV-Serie «Tschugger» übernommen. Im «Tatort» war sie an einen Stuhl gefesselt und musste mehrmals auf den Zementboden fallen. Eine andere Szene drehte sie, nur mit einer Spitalschürze bekleidet, im Schnee auf der Vespa. «Mich rufen sie, wenn es unangenehm wird», fasst sie lachend zusammen. «Es war wirklich kalt, aber es war okay. Eine Einstellung dauert ja nur etwa 30 Sekunden, und dann ist schon wieder jemand da mit einem warmen Mantel.»
In «Tschugger» wurde sie bei einem Kampf vermöbelt. Und zwar richtig. «Das war nicht so geil. Ich spielte eine Geisel mit einem Sack über dem Kopf. Der Schauspieler warf mich einfach auf den Boden. Ich war darauf nicht vorbereitet. Es gab blaue Flecken und blutende Knie, aber die Szene sah cool aus.»
Da fehle es in der Schweiz einfach noch an der gewissen Professionalität, so Oliver Keller, der auch weiterhin an US-Produktionen («The Rookie») arbeitet: «Bei Proben gibt man nie Vollgas, und man sagt vorher, was man macht.» Dass die Schweizer Filmwelt anders funktioniert, könne manchmal frustrierend sein, aber seine Kenntnisse, die er aus Hollywood mitbringt und gern weitergibt, werden hier auch geschätzt: Als Roger Federer mit Hollywood-Star Anne Hathaway in der Schweiz einen Werbespot für Schweiz Tourismus drehte, wandte man sich verzweifelt an Keller, weil in ihrem Vertrag ein Anrecht auf einen privaten Aufenthaltswohnwagen am Set vermerkt war. «So was kennt man in der Schweiz gar nicht», erklärt er. «Ich habe dann in kurzer Zeit so einen zusammengebaut.»
Eigentlich will Geneva zur Polizei
Momentan ist Oliver Keller, der inzwischen auch als Motivationsspeaker gebucht wird, an den Vorbereitungen für den nächsten Schweizer «Tatort», der im Juni gedreht wird. Viel darf er nicht verraten, aber es wird nicht nur Fights geben. Nebst Geneva wird auch Ladina Nef mit dabei sein. Die junge Appenzellerin ist bei ihm fest angestellt und lernt das Stunt- und Spezialeffekte-Handwerk von Grund auf.
Eine Vollzeitkarriere als Stuntfrau schwebt hingegen Oliver Kellers Tochter Geneva nicht vor: Sie interessiert sich für Kinderpsychologie und Kriminologie und will in zwei Jahren in die Polizeischule. «Ich möchte auch jung Mutter werden», verrät sie ihre Pläne. Einen Freund hat sie bereits: Er ist ein U20-Eishockeyspieler aus Lettland, den sie in der Schule kennengelernt hat. «Geneva ist eine gute junge Frau, und er ist ein respektvoller junger Mann, der seine Sportkarriere ernst nimmt. Er hat keine Zeit für Seich», ist ihr Vater dankbar. Geneva lacht und boxt ihren Dad liebevoll in den Oberarm.