Wie der Blitz kommt Nevio um die Ecke gekrabbelt, als er Papas Stimme hört, ein Strahlen im Gesicht. Patrick Küng geht auf alle viere runter und krabbelt seinem Sohn entgegen. Seit acht Monaten ist er in dieser neuen Rolle seines Lebens, fast gleichzeitig startete der Abfahrtsweltmeister von 2015 auch ins Berufsleben. Und zudem haben er und seine Freundin Bianca Andreatta im vergangenen Jahr eine Eigentumswohnung in Unterterzen SG gekauft.
Ganz schön viel Neues für Küng. «Wir haben uns sehr gut eingelebt», sagt der 36-Jährige. Entspannt steht er auf der weitläufigen Terrasse, von der aus man einen wunderbaren Blick auf den Walensee hat. In den ersten Wochen nach Nevios Geburt Ende Januar blieb Küng zu Hause, seine neue Stelle trat er erst Anfang März an. Dann kam mit Corona das Homeoffice. «So hatten wir viel Zeit, um uns zu dritt kennenzulernen», sagt Bianca Andreatta, 32. «Patrick ist ein toller Vater, packt mit an. Ich bin froh, dass er ist, wie er ist.»
Schon mit zwei Monaten ist Nevio zum ersten Mal auf Skitouren dabei, auf den wegen Corona geschlossenen Pisten der Flumserberge. Schlafend in der Trage, bergauf auf Mamas Brust, bergab bei Papa. «Ich habe Patrick noch nie so langsam Ski fahren sehen», sagt sie lachend.
«Patrick ist ein toller Vater, packt mit an. Ich bin froh, dass er ist, wie er ist»
Bianca Andreatta
Das Baby ist früh schon im Element. Nevio bedeutet der Neue, passend zum neuen Lebensabschnitt des Paares. Neve heisst auf Italienisch aber auch Schnee, und im Schnee haben sich die beiden kennengelernt, vor viereinhalb Jahren auf der Lenzerheide GR. Sie betrieb mit ihrem Bruder Sergio sechs Jahre lang die «Motta Hütte» im dortigen Skigebiet, er genoss mit Freunden das Frühlingsskifahren nach der Rennsaison. Im Après-Ski funkte es zwischen den Feierfreudigen. Und so passt es auch, dass das Paar Ende des kommenden Winters eine Hochzeit in einer Skihütte plant. Mehr wollen sie nicht verraten, denn Einladungen sind noch keine verschickt; sie wollen den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie abwarten.
Verlobt sind sie seit Mai. Der Antrag: ganz klassisch bei Andreattas Eltern zu Hause in Ponte Brolla im Tessin. Dort führten sie das bekannte Restaurant Da Enzo, das nun der Bruder übernommen hat. Am Vorabend trinkt Patrick Küng mit Biancas Vater eine Flasche Wein und hält ganz traditionell um ihre Hand an – «er ist schliesslich Italiener». Am nächsten Tag spazieren sie gemeinsam mit Nevio Biancas Lieblingsrunde hoch auf den Berg zu einer Kapelle mit Blick bis nach Ascona. Und dort geht er dann auf die Knie. Den Verlobungsring – ein leuchtender Diamant mit weissgoldener Krone und roségoldenem Ring – hat Küng selber designt. Und da Muttertag ist, knallen abends doppelt die Korken.
«Nevio hat Temperament, er schlägt halt dem Mami nach»
Patrick Küng
Im Januar 2019 entscheidet Patrick Küng, seine Karriere als Skirennfahrer zu beenden. Erst hilft er seiner Freundin auf der Hütte aus, das ist streng, aber «ein lässiger Frühling, wir haben auch viel gefeiert». Ein Jahr lang gibt sich der gelernte Polymechaniker, um herauszufinden, was er in seiner zweiten Karriere gerne tun würde. «Diese Zeit habe ich gebraucht.» Klar war, dass er in die Wirtschaft will, um eine ganz neue Herausforderung zu haben. Nun ist er beim Schweizer Seilbahnbauer Bartholet AG aus Flums SG für den Verkauf Schweiz zuständig.
Küng, der in Obstalden wenige Kilometer daneben aufgewachsen ist, kennt die Gründer- und Besitzerfamilie schon lange. Sie hat ihn während der Skikarriere bereits unterstützt. In Sachen Seilbahnen hat Küng weltweit alles gesehen, «er wird von den Kunden als sehr kompetent aufgenommen», ist sein Chef Roland Bartholet zufrieden. «Er ist sehr kommunikativ und hat Freude an Menschen und dem Geschäftsfeld.» Das Unternehmen hat 350 Arbeitsplätze in der Schweiz, realisiert aber 80 Prozent seiner Projekte im Ausland. Küng soll helfen, vermehrt den Schweizer Markt zu erobern, Ziel ist, dass auch die Schweizer Bergbahnbetreiber auf Einheimisches setzen.
Küng weiss um sein gutes Beziehungsnetz, er hat sich in den letzten Jahren seiner Karriere selbst vermarktet. Aber damit ist der Schritt in die Zweitkarriere noch nicht gemacht. «Deshalb bin ich Roland Bartholet dankbar, dass er mir die Chance gegeben hat, in die Business-Welt einzusteigen.» Nach dem Durchatmen nach dem Spitzensport ist nun die Energie spürbar, mit der der Lauberhorn-Sieger von 2014 beruflich am Start ist.
Auch Bianca Andreatta arbeitet seit Mai wieder. Für sie ist die Region Walensee eine neue Welt. Sie wuchs im Tessin auf, schloss in Zürich die Hotelfachschule ab, arbeitete danach in Singapur und der Lenzerheide, machte kürzlich eine Weiterbildung in Interior Design. Nun ist sie Teil des Hotels Neu-Schönstatt. Dort begleitet sie mit den Architekten den Umbau, ab der Eröffnung im Mai ist sie dann Hoteldirektorin – die perfekte Verschmelzung ihrer Berufe. Durch die Arbeit
hat sie in der Region Anschluss gefunden, ausserdem ist sie froh, dass Patricks Eltern in der Nähe wohnen. «Ich bin ein totaler Familienmensch», sagt sie. Ein bisschen fehlt ihr die «Motta Hütte»: «Ich war mit richtig viel Herzblut dabei. Aber mit der Familie ist es so perfekt.» Auch Küng vermisst gewisse Aspekte seines Skifahrerdaseins: «Mit dem Team unbeschwert unterwegs zu sein, das Fröhliche, auch mal Quatsch zu machen.»
Action haben die Küngs mit ihrem Nevio allerdings genug. «Er hat Temperament», sagt Küng, der schon immer grosse Freude an Kindern hatte, «schlägt halt dem Mami nach.» Diese findet allerdings, dass sich ihr Temperament seit dem Kind eher beruhigt, jenes ihres Verlobten jedoch eher gesteigert habe. Sie versuchen, die Elternschaft unkompliziert, gelassen – und mit ganz viel Liebe anzugehen.