Liebe Frau von Salis, ganz direkt: Wieso ist es so, dass Väter in den ersten paar Lebensjahren, meist zweite Wahl sind?
Ich würde das nicht per se so unterschreiben. Aber klar ist es so, dass es nunmal Mütter sind, die Kinder austragen und stillen. Schon während der Schwangerschaft lernen Ungeborene ihre Mütter kennen. Sie sind vertraut mit dem Duft, der Stimme, dem Rythmus. Bei Vätern ist es so, dass die Beziehung und das Kennenlernen erst nach der Geburt richtig anfängt.
Das heisst also, dass es von Anfang an quasi normal ist, dass kleine Kinder Mütter vorziehen?
Ich glaube, man kann das anders sehen. Die Rolle der Väter ist genau so wichtig wie wie die der Mütter. Nach der Geburt brauchts den Papa für die Umsorgung von Mutter und Kind. Damit sich die Mutter ganz dem Baby widmen kann, braucht sie selber Fürsorge. Und dann sind da noch die anderen Dinge wie Geld, Wohnung, Essen. Das sollte alles nicht unterschätzt werden.
In meinem Umfeld mache ich die Erfahrung, dass Kleinkinder aber effektiv meist zur Mutter wollen, wenn sie die Wahl zwischen Mutter und Vater haben.
Ja, das ist sicher oft der Fall. Man muss aber auch hier differenzieren. Viele Kinder wollen tatsächlich vor allem dann in den mütterlichen Schoss, wenn sie müde oder kränklich sind. Ganz allgemein ist das Runterfahren öfters eher Mama-Sache. Man weiss aber, dass Väter oft eher für die aktiveren Beschäftigungen gefragt sind. Wenn es darum geht auf Spielplätzen rumzutollen oder zu klettern, schätzen Kinder im Allgemeinen ihre Väter sehr.
Um beim zu Bett bringen zu bleiben: Es tut Vätern weh, wenn sie abgewiesen werden und das Kind allabendlich lieber mit Mama schlafen gehen will. Wie können Sie mit diesem Gefühl umgehen?
In erster Linie ist es so, dass Kinder nicht für elterliche Liebesbedürfnisse verantwortlich sind. Wenn sie uns sagen, dass sie uns lieben und kuscheln wollen, ist das zwar sehr schön, aber ganz sicher kein Must. Es sind die Eltern, die für die Bedürfnisse ihrer Kinder verantwortlich sind. Ist man sich dem bewusst, kann das hilfreich sein. Ich rate Vätern auch gerne, sich als essentiellen dritten Part zu sehen. Männer sind so unglaublich wichtige Stützen, dessen dürfen sie sich ruhig bewusst sein.
Dennoch kann es sein, dass die Situation belastend für ein Elternpaar sein kann.
Sicherlich. Ab einem gewissen Alter aber darf man dem Kind ruhig zutrauen, auch mal ohne Mama auszukommen. Hier machen wir die Erfahrung, dass Väter und Kinder bestens klar kommen, wenn die Mutter abends einfach mal ausgeht und die Väter und die Kinder machen lässt. Oft kommt das viel besser als das Elternpaar im Vorfeld denkt. Was auch immer gut ist, ist wenn die Eltern sich immer wieder mal über ihre Vorstellungen und Wünsche austauschen. Im Alltag ist es nicht immer einfach, die Zeit dafür zu finden. Aber es lohnt sich, regelmässig zu schauen, wo man steht, was gut ist und wo man etwas verändern möchte.
Ich beobachte oft, dass Väter «gefragter» sind, wenn die Kinder grösser werden. Ist das richtig?
In der Tat ist es oft so, dass Kinder so im Alter zwischen 3 und 5 Jahren ihre Väter noch mehr zu schätzen lernen. Das ist die Zeit, in der sie sich für die Gesellschaft und Umwelt öffnen und viel entdecken und erleben wollen. Vielleicht interessieren sie sich da für Dinge wie Zug, Tram, Flugzeuge und Bagger. Oft sind es dann die Papas, die Stunden damit verbringen, mit Kindern die Fortbewegungsmittel zu entdecken. Väter kriegen es oft etwas später als Mütter zu spüren, aber wenn daheim alles einigermassen normal läuft und das Kind und seine Bedürfnisse abgeholt wird, kann man davon ausgehen, dass Kinder nicht nur ihre Mütter, sondern absolut auch ihre Väter heiss und innig lieben.