Ich stelle mir die Szene etwa so vor: Die werdende Mutter liegt stöhnend in den Presswehen. «Man sieht schon das Köpfchen. Nur noch einmal pressen!», ruft die Hebamme. Ein letztes Aufbäumen und das Neugeborene erblickt das Blitzlicht der Welt. Denn kaum ist der erste Atemzug getan, knippst der stolze Papa schon wild drauf los.
Eine Szene, die sich immer häufiger in den Gebärsälen rund um den Globus abspielt und oft schon zum fixen Setting einer Geburt gehört. Und nicht nur das: Bei der Geburt wird auch gefilmt und live getickert. Für mich unvorstellbar!
Dem Trend folgen auch viele Stars. Berühmtes Beispiel aus der Schweiz: Christa Rigozzi, 36, und ihr Mann, Giovanni Marchese, 41. Kurz nach dem Kaiserschnitt ihrer Zwillinge Alissa und Zoe, 2, lächeln die perfekt geschminkte Moderatorin und der frischgebackene Papa strahlend in die Kamera.
«Ein Foto sollte nicht das Erste sein, was man macht», sagt Bernd Gerresheim, Chefarzt der Geburtshilfe am Basler Bethesda-Spital, zum «Beobachter». Er kämpft damit gegen Windmühlen.
Ich habe selbst drei Kinder auf sogenannt natürlichem Weg zur Welt gebracht. Die beiden Grossen 2001 und 2005. Da war das Smartphone noch kein Thema. Unser Nesthäkchen 2011. Zu diesem Zeitpunkt breitete sich dieser Trend immer mehr aus. Doch während der Eröffnungsphase zum Handy greifen und chatten? Mich während der Geburt filmen lassen und danach erschöpft in die Kamera lächeln? Niemals!
«Mein Blick war während der Geburt vollständig nach innen gerichtet. Ich horchte quasi in meinen Körper hinein.»
Denn eine Geburt ist kein Spaziergang. Sie ist eine Grenzerfahrung. Da kommen gewaltige Kräfte zum Zug und man lernt sich und seinen Körper von einer völlig neuen Seite kennen. Eine Geburt bedeutet auch Arbeit. Zur Arbeitstruppe gehören die Gebärende als Hauptakteurin, das Ungeborene in einer wichtigen Nebenrolle, Hebamme und Ärztin oder Arzt.
Die Arbeit der Gebärenden liegt vor allem darin loszulassen und ihrem Körper zu folgen. Der tut nämlich Erstaunliches und erfordert, ja verdient, dabei die ungeteilte Aufmerksamkeit der Frau. Denn wie soll man sich mit dem Smartphone in der Hand auf diesen gewaltigen Prozess einlassen? Geht vielleicht noch zum Jux in der Eröffnungsphase, aber danach - keine Chance!
Ich hätte in diesen Stunden genauso gut blind sein können. Die Augen brauchte ich nicht (sie waren auch die meiste Zeit geschlossen). Mein Blick war vollständig nach innen gerichtet. Ich horchte quasi in meinen Körper hinein.
Den Blick zuerst auf die Kamera und nicht auf das Baby gerichtet? Und darauf verzichten, dieses Wunder wirklich zu erfahren? Niemals!
Mit Unterstützung der Hebamme gab ich mich den verschiedenen Etappen einer Geburt hin: Dem Ausharren während der ewig langen Eröffnungsphase. Ein Gefühl, als ob das Innerste in Zeitlupe nach aussen gekehrt wird. Den heftigen Wellen während der Presswehen, wo das Leben nur noch aus Mitsurfen und Ausruhen besteht.
Ich war nie so intensiv im Jetzt wie in diesen Momenten. Und dem gigantischen Urschrei, mit dem ich das Kind jeweils in die Welt hinausschickte. Endgültig aus mir heraus. Die erste Form von bewusstem Loslassen.
Mich dabei filmen und fotografieren lassen? In diesem raren Augenblick höchster Intimität tatsächlich abwesend sein? Den Blick zuerst auf die Kamera und nicht auf das Baby gerichtet? Und darauf verzichten, dieses Wunder wirklich zu erfahren? Niemals!