Dania Schiftan, schon kleine Babys spielen mit ihren Geschlechtern. Wie sollen Eltern darauf reagieren?
Schön ist doch, wenn sich Eltern darüber freuen können. Babys und Kinder entdecken die Welt, da gehört der Körper dazu. In diesem Alter ist das Spielen mit dem eigenen Körper noch nicht sexualisiert. Damit Kinder aber ein gutes, gesundes und angstfreies Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Sexualität aufbauen können, ist es wichtig, dass wir ihnen von Anfang an genug Raum und Platz geben, um sich selber zu erkundigen.
Im Alter von rund zwei Jahren erkennen Kinder, dass Mädchen und Jungs nackt anders aussehen. Wie reagieren wir am besten auf die Frage nach dem Warum?
Es ist völlig normal, dass Kinder in etwa genau diesem Alter Unterschiede erkennen und sich ganz neugierig auf Entdeckungstour machen. Hier können wir sie einfach begleiten und sie bestärken, ihnen mitteilen, dass ihre Beobachtungen völlig richtig und spannend sind. Wir können sagen, dass Mamas und Papas und Jungs und Mädchen tatsächlich anders aussehen. Wir können Kinder fragen, was sie genau sehen und wie das ist, was es mit ihnen macht. Auch in diesem Alter sind die Beobachtungen noch nicht sexualisiert. Kinder entdecken alles vom Blumen auf der Wiese bis eben die eigenen und andere Körper. Am besten fahren wir, wenn wir auch beim Thema Körper und Geschlechter so offen sind wie bei den Blümchen auf den Wiesen.
Wie erklären wir einem kleinen Kind am besten, wie Babys in Mamas Bauch gekommen sind?
Heutzutage gibt es ja ganz viele Möglichkeiten. Babys entstehen im Reagenzglas, werden von Leihmüttern ausgetragen oder sie werden ganz klassisch beim Sex gezeugt. Hier darf man sich ruhig im Vorfeld Gedanken machen und sich überlegen, was man dem Kind alles erzählen mag. Solange die Sprache kindergerecht ist, dürfen wir Kindern ohne Bedenken alles erklären. Ein guter Anfang kann sein, dass wir darüber reden, wie das eigene Kind in Mamas Bauch gekommen ist. Man darf ruhig sagen, wenn es der klassische Weg war, dass Mama und Papa geschmust haben und Papa dabei seinen Penis in den Körper von Mama eingeführt hat, was dazu führte, dass ein Samen von Papa mit dem Ei von Mama verschmolzen ist und dabei ein Baby entstanden ist.
Wie reagieren wir, wenn das knapp dreijährige Kind mit aufs WC kommt und Fragen zum Tamponwechsel und zum Blut hat?
In erster Linie ist es auch hier wichtig, das Kind zu begleiten, zu enttabuisieren, es hinschauen zu lassen und Raum für Fragen zu schaffen. Proaktiv können wir dem Kind erzählen, dass Mamas einmal im Monat bluten, dass das nicht weh tut und völlig normal ist. Der Tampon sei dazu da, das Blut aufzufangen und dass es sein kann, dass Mama während des Blutens etwas mehr Ruhe und Pause braucht. Bevor wir aber das Kind während der Mens mit aufs WC lassen ist es wichtig, uns selber zu fragen, ob das für uns okay ist. Ob wir damit einverstanden sind, das Kind hinschauen zu lassen. Wenn dem nicht so ist, dürfen wir absolut auf Privatsphäre bestehen. Das ist vernünftiger als das Kind mitzunehmen, es aber anzuhalten, sich ja umzudrehen und nicht hinzuschauen. Ein solches Verhalten könnte zu Unsicherheiten und einem verkrampften Verhältnis führen.
Kann es sein, dass wir das Kind mit dem Blut oder dem Erklären von Sexualität in dem jungen Alter traumatisieren?
Da dürfen wir eher unbesorgt sein. Kinder merken sehr schnell, ob wir selber mit einem Thema entspannt sind. Gehen wir ganz natürlich mit der Menstruation um, vermitteln wir Kinder, dass das Blut völlig normal und in Ordnung ist. Solange wir offen, ehrlich und frei mit dem Thema Körper umgehen, können wir fast nichts falsch machen
Gibt es ein Alter, in dem Kinder so richtig aufgeklärt werden sollten?
Nein, das kann man so nicht sagen, finde ich. Kinder sind verschieden. Meiner Meinung nach ist es das Beste, wenn das Thema Aufklärung schon von ganz klein auf ganz selbstverständlich mitgenommen wird, siehe meine Antworten oben. Was sicher immer gut ist, ist wenn wir den Kindern quasi immer schon einen Schritt voraus sind. Man weiss zum Beispiel, dass Selbstbefriedigung im Alter von ca. 6, 7 Jahren ein Thema wird. Manchmal sogar noch früher. Idealerweise haben wir Eltern schon mal im Vorfeld darüber gesprochen und uns überlegt, wie wir damit umgehen, wenn uns auffällt, dass sich das Kind gerne und oft selber berührt.
Wie reagieren wir, wenn das Kind in diesem Alter ständig mit seinem Geschlecht spielt, auch dann, wenn wir als Familie zum Beispiel einen Film schauen?
Das Wichtigste ist, das Kind ja nicht zu sagen, dass es was Schmutziges oder Verbotenes macht. Ein guter Ansatz ist, zu verbalisieren, dass es richtig ist, dass sich das selber berühren schön und wohlig anfühlt. Dass das aber etwas ist, dass das Kind jederzeit sehr gerne in seinem Zimmer für sich machen darf. Es soll die Zeit mit sich selber geniessen.
Ab wann ist es quasi nicht mehr in Ordnung, ungestört ins Bad zu platzen, wenn Kinder duschen?
Auch hier bin ich der Meinung, dass der stetige Austausch hilft. Am besten man hat eine Kommunikationsebene geschaffen, die es erlaubt, dass sich das Kind mitteilen darf. Eine gute Buchempfehlung zu dieser und zu ganz vielen anderen Fragen ist «Ist das okay?» von Agota Lavoyer. Dieses kann man gut zur Hilfe nehmen, um sich mit dem eigenen Kind auszutauschen.
Wie können wir Kinder aufklären, die schüchtern sind oder Mühe haben, über Themen wie Sexualität zu reden?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um mit Kinder in Kontakt zu treten. Ein Beispiel: Warum nicht mal verschiedene Aufklärungsbücher in die Stube legen und einfach mal abwarten. Wenn wir sie eine Zeit später an einem anderen Ort finden, wissen wir, dass das Kind reingeschaut hat. Da können wir selber mal zum Buch greifen und das Kind dazu einladen, mal mit uns reinzuschauen.
Früher haben Väter Söhne und Mütter Töchter aufgeklärt. Ist das heute immer noch ratsam?
Jein. Ich verstehe einen Jungen, der ev. mit einem Penis-Problem lieber zu Papa als zu Mama will und umgekehrt. Am allerschönsten ist es wohl, wenn beide Elternteile von Anfang an sehr offen mit der Aufklärung und der Sexualität umgehen. Ich rate Vätern auch gerne mal, selber ein Aufklärungsbuch über die Menstruation zu lesen. Ein unverkrampfter Umgang ist wohl die Basis für alle Möglichkeiten. So können Kinder ganz frei entscheiden, mit welcher Frage sie zu wem wollen.
Zur Person
Dania Schiftan ist selbstständige Sexual- und Psychotherapeutin. Neben der Praxistätigkeit ist sie Autorin und Podcasterin und gibt regelmässig Kurse, Vorträge und Workshops. Sie ist Autorin des Buches «Coming soon - Orgasmus ist Übungssache», «Keep it coming - Guter Sex ist Übungssache» und der Graphic Novel «Let's talk about Sex», die im Piper-Verlag auf den Markt gekommen sind. Ganz neu erscheint nun Schiftans Buch «Das Comeback deiner Lust - So entfachst du das Feuer in dir», ebenfalls im Piper-Verlag.