Hälge, Lisette und Groda müssen ganz sicher mit. Da sind sich Malin, 12, die Zwillinge Lars und Anja, 9, sowie die Eltern Simone Niggli-Luder und ihr Mann Matthias einig. Die Kinder packen den tanzenden Elch, das Kuh-Schmusetuch und den Plüsch-Frosch in den Koffer. Nicht ganz so einfach ist es bei den grösseren Sachen. «Wenn Papi den Drucker mitnimmt, will ich dafür meine Reitsachen», sagt Malin. Ihre Gitarre ist der Joker, je nach Platz im neuen VW-Bus. Simones Klavier – vor einem Jahr hat sie angefangen zu spielen – bleibt sicher daheim. «Dafür muss Mami unbedingt die Kaffeemaschine mitnehmen», sagt Anja und verdreht die Augen. «Und das Knöpflisieb. Klischee hin oder her», sagt Simone Niggli-Luder und lacht.
In ein paar Tagen geht es los: Die 23-fache OL-Weltmeisterin zieht mit der Familie für ein Jahr nach Schweden. Aktuell gelten keine Einreisebeschränkungen im Land, das auf einen Corona-Lockdown verzichtete. Der dreitägigen Autoreise steht also nichts im Weg. Von Münsingen BE gehts nach Kiel, von dort mit der Fähre nach Göteborg und weiter ins 15000-Einwohner-Städtchen Hallsberg, das im Bezirk Örebro und rund 200 Kilometer westlich von Stockholm liegt.
Mit dem Land im hohen Norden fühlt sich Niggli-Luder schon lange verbunden. Früher rannte sie in Trainingslagern und Wettkämpfen durch die dortigen Wälder und kommentierte OL-Rennen fürs schwedische TV. Auch heute, mit 42 und sieben Jahre nach dem Rücktritt aus dem Nationalteam, spielt der OL in ihrem Leben noch immer eine grosse Rolle.
Simone Niggli-Luder ist so fit wie zu den besten Zeiten. Am Mehrtages-Rennen La Chasse Neutrass Anfang Juli dominiert sie die nationale Konkurrenz – darunter immerhin WM-Medaillengewinnerinnen der letzten Jahre. Und das, obwohl sie zwar noch täglich, aber nicht mehr nach Plan trainiert und weder Zeit für Mentaltraining noch Regeneration hat. Jeden Tag zu laufen, erträgt ihr Körper wegen muskulärer Probleme nicht mehr. Stattdessen setzt sie auf Velo und Aquajogging. «Sprints mache ich nur noch bei den Rennen, auch wenn mir danach alles wehtut.» Sie ist und bleibt ein Wettkampftyp.
Auch die Kinder sind vom OL begeistert. Oft nimmt die Familie gemeinsam an Wettkämpfen teil. Welches Land würde also besser zu Niggli-Luders passen als das Mutterland des Orientierungslaufs? Konkret wurde der Traum der längeren Auszeit im Sommer 2019. Damals ist absehbar, dass Simones Vertrag als Assistenztrainerin des Schweizer OL-Nationalteams aus finanziellen Gründen nicht verlängert wird. Und das Wichtigste: Die Kinder, alle noch im Primarschulalter, sind sofort einverstanden, das Abenteuer zu wagen. «Da dachten wir: Wenn nicht jetzt, wann dann?»
«Beim endgültigen Abschied werden sicher noch Tränen fliessen»
Simone Niggli-Luder
Vor der Reise gabs viel zu planen. Job-Möglichkeiten für das Ehepaar Niggli-Luder? Schnell gefunden. Sie wird in einem 40-Prozent-Pensum als OL-Coach in einem Sportgymnasium tätig sein. Ehemann Matthias, 47, der internationale OL-Anlässe organisiert, arbeitet so oder so im Homeoffice. Eine Bleibe für die Meersäuli Bobby, Mikkel, Jari und Charlie? Schon schwieriger. Sie gehen nun «ein Jahr in die Ferien zu einer anderen Familie», erzählt Tochter Anja. Die Haussuche in Schweden? Das schwierigste Unterfangen. Auch wenn ihnen viele Freunde aus Hallsberg und Umgebung behilflich sind. Erst vor einem Monat ist alles geregelt, der Vertrag fürs möblierte und unweit von einem Waldrand gelegene Heim in Hallsberg unterschrieben. In den preisgekrönten Ökobau der Familie Niggli-Luder in Münsingen BE zieht eine befreundete Studentin ein.
Nun naht der Abschied. Die letzten Tage in der Schweiz sind voller «letzte Male». Die Kinder, die nach den Sommerferien eine schwedische Schule besuchen werden, bekommen noch die letzten Sprachlektionen – die Gutenachtgeschichten auf Schwedisch verstehen sie bereits. Und alle zusammen arbeiten sie noch ihre Bucket-List ab: noch ein letztes Mal baden in der Aare, ein letztes Mal ins Lieblingsrestaurant, in die Trampolinhalle und in den Seilpark.
Mit jedem Häkchen auf dem Zettel wird der Abschied wirklicher. Zur Vorfreude und Aufbruchstimmung gesellt sich auch etwas Wehmut. «Es werden sicher noch Tränen fliessen», sagt Niggli-Luder. Doch noch herrscht Packstress: Lars hat gerade die neue Wildtierkamera im Garten an sich selber ausprobiert. Resultat: 3000 Bilder. Nun darf er sie nicht vergessen – für den Fall, dass Plüsch-Elch Hälge in Hallsberg lebendige Gesellschaft bekommt.