Es klingt irgendwie zu schön, um wahr zu sein: Wer mit Geschwistern aufwächst, läuft später im Leben weniger Gefahr, an einer psychischen Krankheit zu erkranken. Was Forscher schon lange vermuteten, soll sich jetzt tatsächlich bewahrheitet haben. Das zumindest hat die Studie «Gesunde Entwicklung dank älterer Geschwister» vom deutschen Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie ergeben.
Ein Team aus Forscherinnen und Forschern hat 373 Mutter-Kind-Paare von der Schwangerschaft bis zum zehnten Lebensjahr begleitet. In einem ersten Schritt untersuchte das Team den Stress-Level der Mütter zu verschiedenen Zeitpunkten.
Ebenfalls Teil der Untersuchung war, wie es den Müttern zur Zeit ihrer Schwangerschaft gegangen ist. Standen sie unter Druck? Wie ging es ihnen gesundheitlich, wie psychisch? In einem weiteren Schritt fokussierte sich das Forschungsteam auf die Frage, ob Kinder seltener verhaltensauffällig wurden, wenn sie Geschwister haben.
Das Ergebnis: Kinder, die mit mindestens einem Geschwister aufwachsen, zeigen tatsächlich seltener Verhaltensstörungen.
Nicht, dass wir wahnsinnig erstaunt darüber wären, dass Geschwisterkinder viel von ihren Brüdern und Schwestern profitieren. Woran aber liegt es wirklich, dass Kinder aus kinderreicheren Familien weniger anfällig für psychische Leiden sind?
Laut der Wissenschaftler kommt es vor allem für jüngere Kinder seltener zu Verhaltensproblemen, weil diese viel von ihren grossen Geschwistern profitieren. Die Älteren helfen den Jüngeren automatisch dabei, sich zu sozialen und vor allem auch emphatischen Wesen zu entwickeln.
Ausserdem: Der mütterliche Stress wird dadurch zwar nicht beseitigt, aber mit Geschwistern bekommen Kinder wichtige Kompetenzen beigebracht und lernen ganz automatisch und natürlich im Alltag, mit Problemen umzugehen. Genau diese Softskills sind es, die später im Erwachsenenleben ungemein helfen.
Die Forscher betonen, dass es sich unter Geschwister wunderbar streiten lässt. Themen wie Rivalität, Eifersucht, Nähe und Versöhnung finden im Familienleben in den heimischen und vertrauten vier Wänden statt, So lernen Kinder, trotz Konflikten miteinander auszukommen.
Auch lernen sie ganz natürlich, dass man Auseinandersetzungen ruhig austragen darf und ihnen nicht aus dem Weg gehen muss. Sie lernen zu verhandeln, zu kommunizieren und vor allem auch verlorene Kämpfe wegzustecken. Und selbst wenn es oft im Alltag knallt, sind Geschwister meist die ersten und engsten Verbündeten im Leben. Egal, wie sehr sie sich zoffen, im Normalfall siegt am Ende die Geschwister-Liebe. Dadurch entsteht emotionaler Rückhalt und die psychische Belastung wird aufgefangen.
Was für Geschwister und Eltern mit mehr als einem Kind sehr sehr toll klingt, könnte nun Einzelkinder und deren Väter und Mütter verunsichern. Eine Schlussfolgerung könnte sein, dass Einzelkinder also gefährdet sind, als Erwachsene psychische Krankheiten zu entwickeln. So simpel ist es aber nicht, zum Glück!
Tatsache ist: Auch ohne Geschwister entwickeln Kinder soziale Kompetenzen und werden nicht automatisch verhaltensauffällig. Grundsätzlich ist es aber wichtig, dass Kinder früh sozialisiert werden und mehrere Bezugspersonen haben. Wer dann auch noch oft auf dem Spielplatz Zeit verbringt und darauf achtet, dass sein Einzelkind auch mit anderen Kindern in seinem Alter in Kontakt kommt, braucht sich also absolut keine Sorgen zu machen.