Der Herbst gefällt ihm. «Wenn es früh dunkel wird und neblig. Kalt, der Heuschnupfen ist weg, bald kommt der Schnee. Da fühle ich mich wohl.» Daniel Albrecht (41) philosophiert gern. Wenn er von seinen Visionen spricht, sitzt ihm der Schalk im Nacken. Er sitzt entspannt auf dem Sessel, nippt an seinem Espresso. «Es geht mir gut.»
Das Leben des ehemaligen Skirennfahrers ist ein Auf und Ab. Gold bei den Alpinen Skiweltmeisterschaften 2007 in der Kombination. Vier Weltcupsiege, er ist ganz oben angekommen. Doch dann, beim Abschlusstraining zur Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel 2009, fliegt er über den Zielsprung, stürzt schwer. Schädel-Hirn-Trauma. Alles aus. Die tragischen Bilder gehen um die Welt. Drei Wochen liegt der Walliser im Koma. Er kämpft sich zurück – ins Leben und auf die Rennpisten. Doch er kann an seine grossen Erfolge nicht mehr anknüpfen.
Danach ist alles anders
«Das Skifahren wird immer meine Leidenschaft bleiben», sagt er heute. «Dieses Gefühl, wenn man am frühen Morgen auf die Piste kann bei Sonnenaufgang, die frische Luft, der Schnee.» Heute sei das Skifahren nicht mehr so interessant wie damals. Er lacht. «Ich habe keine perfekt präparierten Ski mehr und auch keine freien Pisten.» Im Kopf wisse er zwar noch genau, wie sich ein Rennen anfühle – doch er könne es nicht mehr umsetzen. Das sei auch nach seinem Unfall so gewesen. «Ich war immer allem hinterher.»
Vor dem Unfall habe der Körper reagiert, «bevor ich überhaupt über ein Problem nachdenken konnte. Das war danach anders.» Er hätte mehr Zeit gebraucht, «ich hätte es wieder hinbekommen. Wenn ich es auf meinem Weg hätte versuchen können.» Das System, davon ist er überzeugt, hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es folgten eine Kniescheibenluxation und der Verlust seines Kaderstatus bei Swiss-Ski. Im Oktober 2013 trat er zurück – mit nur 30 Jahren.
Sport bedeutet ihm noch immer viel. Fast jeden Morgen steht Albrecht früh auf, um ein Konditions- und Krafttraining zu absolvieren. «Nur so viel, wie ich brauche, um mich wohlzufühlen.» Es sei ihm wichtig, auf seinen Körper zu hören. «Wenn ich etwas tue, was mir keinen Spass macht, bin ich schnell müde.» Eine Folge des Sturzes.
Sehr viel Platz räumt der Walliser seinen Visionen ein. Er träumt von einem «Campus B», einem Lern- und Lebensort, wo Kinder, Erwachsene, Betagte zusammenleben, sich gegenseitig helfen. Die Kinder lernen von Mentoren oder Gleichaltrigen. Sie entdecken in ihrem eigenen Tempo ihre Fähigkeiten und lernen, wie sie sich entfalten können. Jeder soll dort agieren, wo seine Stärken liegen. «Ich kann einem Kind Mathematik auch über das Skifahren beibringen», ist er überzeugt. Darauf gebracht hat ihn seine achtjährige Tochter Maria. «Ich wollte, dass sie ihre Individualität leben darf, dass Maria selbstbestimmt erkunden darf, wo ihre Interessen liegen und wie sie lernen möchte. Ich wollte sie nicht Teil eines fixen Systems werden lassen.»
Schwierigkeiten mit dem System
Das Wort System fällt oft. Albrecht hadert damit. Schule, Ausbildung, Arbeiten, Ruhestand. «Kinder wissen ganz genau, was sie wollen, was sie brauchen und wofür sie brennen. Doch sie verlieren diese Eigenschaften auf ihrem Weg.» Ihm ist auch bewusst: «Allein mit Visionen kann ich im System nicht überleben. Ich muss auch Geld verdienen.» Wieder lacht er. «Wie mir das mit dem Campus gelingen wird – da fehlt mir noch die zündende Idee.»
Von seinen Eltern hat er als Erbvorbezug ein Restaurant erhalten, das er verpachtet hat. Er hält regelmässig Vorträge, ist als Berater und Ideengeber für Firmen tätig und führt zwei eigene Unternehmen. Zudem baut er aktuell ein Mehrfamilienhaus in seinem Heimatort Fiesch. Vier Wohnungen entstehen dort nach der Mondhaus-Philosophie. Das Raumklima ist dabei auf die Gesundheit und das Wohlfühlen der Menschen ausgerichtet. «Die Bauweise ist komplett natürlich, es gibt keine chemischen Verbindungen oder Isolationen. Wir verwenden unbehandeltes einheimisches Holz, und dank Fotovoltaik sind die Unterhaltskosten gering.» Albrecht will die Wohnungen im Sommer verkaufen.
Mehr Zeit für die Familie
Seine Skibekleidungsmarke Albright hat er an Ochsner Sport abgetreten. «Das ermöglichte mir, einige Jahre nur Vater zu sein. Ich konnte die ersten Jahre mit meiner Tochter wirklich geniessen.» Die Zeit mit Maria ist ihm wichtig, Mittwoch ist Papitag. Zusammen mit Ehefrau Kerstin bewältigt er die Erziehung. «Wir teilen uns alle Aufgaben gleichberechtigt und unkompliziert je nach Fähigkeiten und Energiereserven. Wir haben die Abmachung: Wenn einer nicht mehr kann, übernimmt der andere.» Sie sind Freunde, Eltern, Geschäftspartner und wohnen zusammen. «Ein Liebespaar sind wir aber schon länger nicht mehr.» Für die beiden stimme es so.
Jahre nach seinem Rücktritt wagt Daniel Albrecht nun den Schritt zu-rück ins Rampenlicht. Er ist Teilnehmer der neuen SRF-Show «Champion der Champions». Sieben Schweizer Sportlegenden, darunter Patty Schnyder, Donghua Li oder Franco Marvulli, treffen sich dabei in einer Villa in Andalusien, messen sich in sportlichen Wettkämpfen und erzählen von ihren Karrieren. «Es waren die besten Ferien seit Langem», meint Daniel Albrecht.
«Die Gespräche waren wahnsinnig interessant, tief und gingen auch weiter, wenn die Kamera nicht mehr lief.» Jede Sportlerin, jeder Sportler habe sein eigenes Schicksal erlebt. «Es gab viele Tränen, mir kommen auch jetzt fast die Tränen, wenn ich daran denke.» Albrecht plant für die TV-Gspänli einen Skitag in Zermatt, schon drei hätten zugesagt. Er freut sich, mit den Legenden seine Leidenschaft zu teilen. Da macht es nichts, wenn die Ski nicht ganz so perfekt präpariert sind.