Komm schon. Ich geb dir Lehm, du gibst mir Holz.» Manuela Cuche (41) schaut ihren Sohn Noé (8) eindringlich übers Spielbrett an. Die vierköpfige Familie spielt das beliebte Spiel «Die Siedler von Catan». «Mach ja keine Deals mit Mama. Das kommt nicht gut!», sagt Didier Cuche grinsend. Manuela und Noé lachen. Bei Cuches ist es kein Geheimnis, dass Papa Didier in jungen Jahren nicht der beste Verlierer war. «Wie kann ich da von meinen Kindern erwarten, dass sie das besser wegstecken als ich», meint er schmunzelnd. Dabei weiss der ehemalige Skicrack auch: «Aus Niederlagen lernt man mehr als aus Siegen.»
Didier Cuche feiert seinen 50. Geburtstag
Aus Didier Cuche spricht die Erfahrung eines halben Jahrhunderts Leben. Am 16. August feiert er seinen 50. Geburtstag. 17 Jahre lang erlebt der Speed-Spezialist als Profi Erfolg wie Misserfolg. Gerade am Anfang seiner Karriere werfen ihn immer wieder Verletzungen zurück. 21 Rennen gewinnt er. Bei seinem Rücktritt 2012 zieren ein Titel, zwei Silber- und eine Bronzemedaille an Weltmeisterschaften, Olympia-Silber und sechs Siege in den Weltcup-Disziplinenwertungen Abfahrt, Super-G und Riesenslalom sein Palmarès. Aber auch lange Durststrecken mit dem Ruf des ewigen Zweiten und harte Kämpfe zurück an die Spitze. Er möchte keine dieser Phasen missen: «Jede Zeit im Leben hat ihre Höhen und Tiefen. Anders gesagt: Man kann nicht immer nur Sechser würfeln.»
So hält sich Didier Cuche nach der Skikarriere fit
Das Brettspiel bei Cuches wird vom Klingeln des Pöstlers unterbrochen. Noé eilt hinaus und kehrt mit einem Arm voller Pakete zurück. Eifrig öffnet er sie. Im ersten befinden sich Pfirsiche, im zweiten Aprikosen. Didier und Manuela, von Beruf Ärztin, legen Wert auf gesunde Ernährung. «Natürlich mit Ausnahmen.» Körperlich sei er «nicht mehr extrem fit – nur noch fit», meint Didier verschmitzt. Er ist nach wie vor viel in Bewegung, im Winter auf Skipiste oder Langlaufloipe, im Sommer auf dem Mountainbike, beim Wandern oder dem Golf. Ausdauer- und Fitnesstrainings gehören nicht mehr zum Programm. Spürt er die jahrelange Belastung, die sein Körper im Spitzensport erfahren hat? «Gar nicht. Einmal hatte ich einen Rückenwirbelbruch, den merke ich ab und zu beim Liegen oder Sitzen. Aber damit kann ich gut leben.»
Ob er rückblickend etwas anders machen würde? «Es bringt nichts, sich diese Frage zu stellen. In dem Moment, in dem ich Entscheidungen getroffen habe, waren sie richtig für mich. Wo mich ein anderer Entscheid hingeführt hätte, werde ich nie erfahren – und das ist gut so.» Als Didier Cuche sich mit 38 Jahren von seiner Karriere als Skirenn-Profi verabschiedet, ist das ein relativ spontaner Entschluss. «Manchmal schaue ich mit einer Art gesunder Wehmut zurück und frage mich, obs nicht noch ein, zwei Jahre mehr ertragen hätte», gesteht er. Aber auch das ist müssig. Und hätte vielleicht sogar dazu geführt, dass er seiner grossen Liebe nicht begegnet wäre.
«Didier ist ein sehr liebevoller, lustiger Vater»
Manuela Cuche
Im März 2014 lernen sich der Neuenburger und die Bündnerin Manuela am Rande des Weltcupfinals in Lenzerheide kennen, wo beide beruflich im Einsatz sind. Im Jahr darauf folgen das Jawort und die Geburt von Noé. Im September 2018 dann erblickt Amélie, das Licht der Welt. «Didier ist ein sehr liebevoller, lustiger Vater», sagt Manuela. Er bastelt viel mit den Kindern und liest ihnen Geschichten vor. «Ich finde, ich bin an einem guten Punkt im Leben», sagt Didier Cuche.
Schneesport ist noch immer präsent in Didier Cuches Leben
Auch wenn es hin und wieder kleine Diskussionen gibt – zum Beispiel um die Frage, ob nun der Vater oder der Sohn das Fleisch fürs Mittagessen würzen darf –, merkt man: Manuela und Didier sind als Eltern sehr präsent. So liegen niemals Handys auf dem Tisch, weder beim Spielen noch beim Vorlesen oder gemeinsamen Kochen. Wenn Didier arbeitet, tut er dies in seinem Homeoffice im oberen Stock. «Hin und wieder habe ich schon das Gefühl, ich verbringe dort zu viel Zeit», meint er selbstkritisch. Cuche ist Präsident des Giron Jurassien, des Dachverbands der jurassischen Schneesport-Vereine, und im Stiftungsrat von Passion Schneesport, einem Nachwuchs-Förderprogramm von Swiss-Ski. Dazu kommen Partnerschaften mit Marken wie Audi oder Head sowie Vorträge und Referate. «Ich bin nicht unterbeschäftigt», sagt Cuche. Und: «Mein Herz schlägt immer noch für den Schneesport.» Wenn er heute Skirennen schaue, und sehe, wie Talente sich aufregen, rufe er ihnen innerlich zu: «Reg dich nicht zu sehr auf. Die Zeit als Profi ist so kurz. Geniess sie!»
Diese Werte will Didier Cuche seinen Kindern weitergeben
Ob Noé und Amélie in die Fussstapfen ihres Vaters treten, sollen sie dereinst selbst entscheiden. Unabhängig davon möchte Didier Cuche seinen Kindern einiges von dem, was er im Sport gelernt hat, weitergeben. «Das Wichtigste ist Respekt für alle Menschen. Vor allem auch Gegnern gegenüber. Das ist nicht immer einfach.» Dinge wie Anstand oder Dankbarkeit versuchen Manuela und Didier ihren Kindern vorzuleben. Ein grosses Plus bekommen Noé und Amélie gratis fürs Leben mit: Sie wachsen dreisprachig auf. Familiensprache ist Deutsch. Romand Didier spricht mit seinen Kindern Französisch, Manuela, die aus dem Bergell kommt, Italienisch. Die Kinder parlieren mühelos alle drei Sprachen durcheinander. Und singen ihrem Papi dann «Happy Birthday» sogar viersprachig. «Das ist nämlich das Einzige, das wir auch auf Englisch können», flachst Noé.
Die Frage danach, ob er Papa mit 50 für alt hält, beantwortet der gewiefte Bub diplomatisch: «So mittelalt.» Er ergänzt: «Manchmal, wenn er mit uns rumtobt und Trampolin springt, ist er wie ein Kind. Und manchmal ist er ein bisschen älter. Wenn er morgens lange schläft zum Beispiel. Oder wenn er Sachen vergisst.» Didier zieht die Augenbrauen hoch. Die Familie sitzt nach dem Zmittag wieder am Spieltisch. «Man vergisst Dinge auch mal extra», meint er mit einem Seitenblick zu seinem Sohn, zieht eine Spielkarte, hält sie vors Gesicht und greift seufzend zur Lesebrille. «Zum Beispiel, dass man nicht mehr die Sehkraft eines 20-Jährigen hat.» Halb so schlimm. Didier gewinnt die Runde trotzdem. Und freut sich. Gewinnen ist halt auch mit 50 noch lässiger als Verlieren.