Die Sechstklässlerin Lena schüttelt energisch ihren Lockenkopf. «Nein, das Bild hängt zu hoch.» Die Museumstechniker reagieren prompt und senken das Werk «Komposition mit den Früchten» um weitere fünf Zentimeter auf 1,50 Meter. «Perfekt», nickt die Zwölfjährige zufrieden.
Im Zentrum Paul Klee in Bern findet der letzte Arbeitsprozess zu einem Pionierprojekt statt: Zum ersten Mal zeigt das Museum eine von Kindern kuratierte Ausstellung. «Wir haben uns die letzten zehn Monate jeden Mittwochnachmittag hier getroffen. Jetzt sehen wir das Resultat, das fägt», sagt Lyonel, 12, dessen Mutter ihn für das einzigartige Kunstprojekt angemeldet hat. Insgesamt haben dreizehn Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren die 160 Werke des berühmten Künstlers der Moderne ausgewählt, zusammengestellt, betitelt und arrangiert.
«Paul Klee war überzeugt, dass im Blick der Kinder auf Kunst grosses Potenzial liegt», sagt Martin Waldmeier, 37, künstlerischer Leiter der Ausstellung mit dem Titel «Leuchtendes Geheimnis». Klees eigener Sohn Felix gab dem 1879 in Münchenbuchsee BE geborenen Künstler mit deutschen Wurzeln immer wieder entscheidende Anregungen.
Dies brachte Waldmeier auf die Idee, die mit 4000 Werken bedeutendste Klee-Sammlung der Welt mit Kinderaugen entdecken zu lassen – und so einen neuen Blick auf den Künstler zu erhalten. «Wichtig war uns, dass wir ihnen so viel Freiheit und Gestaltungsraum wie möglich bieten.»
Und so kam bei Projektbeginn erst mal der Schock. Denn entgegen den Erwartungen, dass sich die Kinder beim zentralen Bild der Ausstellung für ein witziges Werk oder eine Karikatur von Klee entscheiden würden, wählten sie das Bild «Glas-Fassade».
Ein Werk, das Klee 1940 kurz vor seinem Tod schwer krank in seinem Berner Atelier gemalt hatte – ein Bild voller Trauer und Melancholie, das vermutlich Kirchenfenster zeigt. «Ich dachte nur: Was machen wir jetzt? Eine Ausstellung zum Tod?»
Doch dann folgte die spannende Entdeckung: «Das Bild hat ein Geheimnis auf der Rückseite», sagt Lyonel stolz. Ein zweites, unfertiges Werk, das Klee mit rosa Farbe übermalt hatte, die aber im Lauf der Zeit abblätterte. Nicht mal Kurator Waldmeier wusste davon.
Und so recherchierten alle zusammen die Hintergründe dieses Bilds – und stiessen auf eine wahre Geschichte aus dem Leben Paul Klees: seine Freundschaft zu Karla Grosch, einer Tanzlehrerin am Bauhaus in Dresden und Freundin von Sohn Felix. «Der erste Schock entpuppte sich also als Glückstreffer», so Waldmeier.
Kinder dürfe man nicht unterschätzen. «In der Geschichte geht es neben Freundschaft und Liebe auch um Abschied und Trauer, was sie total gut einordnen konnten.» Die weiteren Werke hat die Gruppe spielerisch und intuitiv ausgewählt. «Diese Direktheit ist ganz im Sinn von Klee», sagt Waldmeier.
Besonders Spass hätten sie gehabt, Gedichte aus den Werktiteln von Klee abzuleiten – so seltsam die teilweise seien. «Auch hier haben mich die Kinder überrascht, weil sie Absurdes wunderbar annehmen und sich ihre eigenen Gedanken dazu machen.»
Mehr Diskussionen gab es bei einer Plattform in der Mitte der Ausstellung. «Wir wollten einen Ort zum Chillen, von wo aus man die Ausstellung von oben sieht», sagt Valentin, 11. Mit Getränkeautomat, Küche und TV. Nun stehen hier farbige Würfel, die die Kinder sogleich zu einer Burg zusammenbauen. «Ist auch ganz okay», sagt Ben, 12.
Auch dass Tiere an der Ausstellung, die bis 4. September zu sehen ist, draussen bleiben müssen, würden sie verkraften. «Dafür sieht man Klees Kater Bimbo auf einem Foto.»