Für die US-Präsidentschaftswahl quartierte sich Peter Düggeli, 50, in einem Hotel in der Nähe vom Weissen Haus in Washington ein. Dort funktionierte der Korrespondent des Schweizer Fernsehens ein Zimmer zu seinem Studio um. «Auf der Strasse hatte es Leute; so konnte ich hinuntergehen, um den Puls zu fühlen», sagt der Bündner.
Für Düggeli war es die zweite Wahl, über die er aus den USA berichtet. Seit 2015 lebt und arbeitet der studierte Historiker und einstige Englischlehrer in Washington, verfolgte schon 2016 die Wahl Donald Trumps, 74, zum US-Präsidenten mit. «Mein Vorteil war dieses Jahr, dass ich wusste, es kann hektisch werden und bei einer Live-Schaltung auch mal was nicht funktionieren.» Düggeli ging deshalb gelassener als vor vier Jahren an seine Aufgabe heran.
Intensiv vorbereitet hat er sich und die möglichen Szenarien dieser 59. Präsidentschaftswahlen im Kopf durchgespielt. Sowohl den Fall, dass Donald Trump Präsident bleibt. Als auch die Möglichkeit, dass mit Joe Biden, 77, ein neuer Mann die Macht übernimmt. Dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben würde, hat Düggeli erwartet. Dass Trump mit dem Gericht droht, darüber schüttelt der Korrespondent nur den Kopf. Die Stimmzettel wurden vor Tagen und Wochen ausgefüllt und eingeschickt und durften erst jetzt ausgezählt werden. «Das ist eine Riesenarbeit, jede Unterschrift auf den Wahlzetteln wird genau geprüft.»
Weder Donald noch Joe standen am Wochenende vor der Wahl in Düggelis Haus im Fokus. Sondern einzig und allein Juri. Peters Ältester feierte seinen zehnten Geburtstag. «Leider konnte er nur zwei Freunde zur Party einladen.» Die Corona-Pandemie krempelt auch das Leben des SRF-Korrespondenten und seiner Familie um. «Wir mussten uns in den vergangenen Monaten von vielen Freunden und Bekannten sozial distanzieren», sagt Peter Düggeli.
Übrig blieben nur gerade zwei Familien, mit denen die Schweizer in «Die-sie», wie die amerikanische Hauptstadt umgangssprachlich abgekürzt wird, regelmässig engen Kontakt pflegen. Düggelis leben im Stadtteil Northwest der amerikanischen Hauptstadt. «In unserem Viertel ist man extrem vorsichtig wegen Corona.» Einerseits, weil es im Land seit Ausbruch der Pandemie immer irgendwo einen Flächenbrand gegeben hat. Andererseits, weil man in der US-Hauptstadt grundsätzlich vorsichtiger ist. Nicht zuletzt will der Familienvater auch vermeiden, dass Ehefrau Jolanda, 36, sein Jüngster Henrik, 7, oder Juri krank werden – oder er selbst für längere Zeit ausfällt. «Wobei ich schon zugebe, dass wir im Sommer ein bisschen neidisch waren, als wegen fallender Corona-Zahlen die Schweiz aufatmete und ihre Massnahmen lockerte.»
Covid-19 und Charakter. Das waren die Themen des US-Wahlkampfs. «Vor allem Joe Biden setzte darauf», sagt Düggeli. Er ist überzeugt: «Die Pandemie hat Trump geschadet.» Die über 230'000 Toten, die die Pandemie bisher in den USA forderte, sei vielen Amerikanern sehr nahegegangen. Auch wenn für die Amerikaner klar sei, dass sie keinen Sonntagsschullehrer bräuchten, sondern einen Präsidenten, der das Land führen könne.
Fast gänzlich verschwunden aus den Schlagzeilen war ein Thema, das Peter Düggeli noch bei Trumps Wahl vor vier Jahren beschäftigte: die Einwanderung. «Über die Grenzmauer spricht keiner mehr.» Die Zahl der Immigranten ging von jährlich 75'000 bis 100'000 zur Zeit der Obama-Regierung auf 10'000 zurück. «Wer ins Land will, muss in Mexiko ausharren – eine humanitäre Katastrophe.» Noch immer würden rund 500 Kinder darauf warten, mit den von ihnen getrennten Eltern vereint zu werden. «In Amerikas Geschichte einzigartig, aber wegen der Pandemie aus den Schlagzeilen raus.»
Düggeli selbst wäre von Donald Trumps Politik betroffen, denn der Präsident will für ausländische Journalisten im Land nur noch Visa mit einer Gültigkeit von 240 Tagen erlauben. Peter Düggeli ist seit fünf Jahren in Washington, mit seinem Arbeitgeber ist abgemacht, dass er mindestens bis Juni 2021 bleibt. «Wenn wegen Corona kein Nachfolger einreisen darf, müssen wir schauen.»
Trumps markige Worte, wonach alles andere als sein Sieg Wahlmanipulation oder -verfälschung sei, schürten zuletzt Befürchtungen, dass es in den USA zum Bürgerkrieg kommen könnte. SRF-Mann Düggeli beruhigt: «Es ist am Tag der Wahl sehr ruhig gewesen in Washington. Im Vorfeld haben viele Geschäftsinhaber ihre Schaufenster verbarrikadiert. Offenbar war das aber für die Katze.»
Nach einem 23-Stunden-Arbeitstag sehnt sich Düggeli nach seinem Bett. «Drei Stunden konnte ich schlafen, anderthalb Stunden döste ich vor mich hin.» Die Wahl beschäftigt auch seine Familie. «Am Montag gabs eine E-Mail von der Schule. Die Kinder stünden unter Spannung wegen der Politik und der Intensität, mit der diese gerade durchschlage.» Seine Söhne Juri und Henrik besuchten bis letztes Jahr eine öffentliche amerikanische Schule, wechselten heuer an eine Waldorfschule.
Dort spielt Rassismus zwar keine Rolle, dennoch ist seine Familie damit täglich konfrontiert. Allein schon auf dem Weg zur Metro, wo Obdachlose anzutreffen seien. «Unsere Kinder fragten schon früh, warum gibt es Obdachlose, und warum sind es oft Schwarze?» Es ist fast schon zu einer Tradition geworden, dass Familie Düggeli an Weihnachten in ihrem Stadtviertel Geschenke an Obdachlose und Bedürftige verteilt. Das werden sie auch in wenigen Wochen wieder tun – am Fest der Liebe.