Die Hügel färben sich langsam rot und gelb. Die ausgedehnten Buchenwälder des Jura-Südfusses verleihen der Stadt Solothurn eine herbstliche Kulisse. Und der als Unesco-Welterbe anerkannte Bettlachstock, der sich in dieses Farbenkleid hüllt, gilt als eine der schönsten Landschaften der Welt. Das steht in der Zeitung, die Louise Boner (78) durchblättert, während ihre Tochter, SRF-«Meteo»-Moderatorin Sandra Boner (47) in der Küche Espressi braut. Es ist ein Ritual des Mutter-Tochter-Gespanns. «Wir trinken fast jeden Morgen einen Kaffee zusammen. Mal bei Mami, mal bei mir.»
Die beiden Frauen wohnen nur wenige Gehminuten voneinander entfernt in der Barockstadt. «Beim Kafi informiert Mami mich jeweils über die Nachrichten und ich sie über ihre Termine, die ich im Überblick behalte.» Heute steht ein Zmittag mit Sandras Sohn Miles auf dem Programm. Aber erst mal greift Louise Boner ihrer Tochter beim Abstauben unter die Arme.
In Sandras Wohnung herrscht Chaos. Jede freie Fläche ist zugestellt. Geschirrsets, Lampen und Kunstgegenstände stapeln sich auf dem Esstisch und den Wänden entlang. Die SRF-Moderatorin teilt mit ihrem Lebenspartner, dem Architekten Matthieu Haudenschild, ihre Leidenschaft für Wohnaccessoires und Möbel aus Designerhand. Was die beiden im Laufe der Monate auf Flohmärkten und in Brockenstuben finden, verkaufen sie jeweils im Herbst an ihrer Design Börse in Solothurn. Ein bunter Haufen rarer Stücke, die nun darauf warten, von Sandra und Louise Boner auf Hochglanz poliert zu werden. Beide schnappen sich einen Staublappen.
Sandra Boner erinnert sich an ihre Teenagerzeit
So harmonisch läuft es zwischen Sandra Boner und ihrer Mutter schon immer. «Ich war ein sehr braves Kind», sagt die Moderatorin. Nicht einmal in der Pubertät habe sie eine Abnabelungsphase durchlebt. Nur einmal habe sie ihre Mutter enttäuscht, sagt Sandra. «Mami war Coiffeuse und verpasste mir stets die tollsten Frisuren. Als ich mir im Teenageralter zum ersten Mal heimlich anderswo die Haare schneiden liess, war das ein Schock für sie.» – «Ach», winkt die Mama ab, so schlimm sei das doch gar nicht gewesen. «Der Schnitt war ganz gut.»
Schon blättern die beiden Frauen in alten Fotoalben, die ihre Erinnerung untermauern. Sandra als kleines Mädchen mit Bob, Sandra als Teenager mit Dauerwelle, Sandra als junge Erwachsene beim Abschied von ihrem gelernten Beruf als Ergotherapeutin mit knallroten Haaren. Mit dieser roten Mähne präsentiert sie am 1. November 2002 ihre erste «Meteo»-Sendung. «Weisst du noch?», sie stupst ihre Mutter an, «dich habe ich als Erste benachrichtigt, als Thomas Bucheli mir die Zusage für die Stelle gab. Und dann wollte ich grad noch mal anrufen, um dir zu sagen, dass das noch geheim bleiben muss, aber dein Telefon war dauerbesetzt.» Erst eine halbe Stunde später erreicht Sandra ihre Mutter wieder. «Da wusste natürlich schon halb Solothurn Bescheid.»
«Ich habe in 20 Jahren wahrscheinlich keine einzige Sendung meiner Tochter verpasst»
Louise Boner
Mit ihrer Tochter hat auch Louise über Nacht an Berühmtheit gewonnen. «Ich war plötzlich das ‹Mami der Wetterfee›.» In dieser Funktion habe man sofort ein paar Pluspunkte bei den Leuten, verrät sie. Und als gutes Wetterfee-Mami habe sie in all den Jahren «wahrscheinlich keine einzige Sendung meiner Tochter verpasst».
Drei Schicksalsschläge schweissten Sandra und ihre Mutter zusammen
Sandra ist die Jüngste von drei Schwestern. Auch zu den älteren beiden, Marietta und Karin, pflegt Louise Boner ein inniges Verhältnis. Doch das Schicksal hat Sandra und ihre Mutter in besonderem Masse geprüft – und zusammen geschweisst. 1997 reisst der Krebs den Familienvater, einen Handwerker, der mit Asbest gearbeitet hatte, aus dem Leben. Sandra ist 23 und wohnt als einzige Tochter noch im Elternhaus. Sie versucht, die Lücke, die ihr Vater hinterlassen hat, zu füllen, beginnt, ihre Mama zu umsorgen, fast schon zu bemuttern. Mit 24 stellt Louise ihre Tochter quasi vor die Tür. «Ich wollte, dass sie ihr eigenes Leben geniessen kann» – «Das war auch gut so», meint Sandra.
«Ohne deinen Einfluss, Mami, hätte ich nicht so tolle Buben.»
Sandra Boner
Sie ist bereits mit Matthieu liiert. Die beiden wollen eine Familie gründen, doch der Kinderwunsch erfüllt sich nicht so leicht wie gedacht. Ihr erstes Baby verliert Sandra im sechsten Monat. Die Schwangerschaften mit ihren Söhnen Nelson (13) und Miles (11) sind von Komplikationen geprägt. Louise greift ihrer Tochter unter die Arme, wo sie kann. «Ohne deinen Einfluss, Mami, das können wir hier schon mal erwähnen, hätte ich nicht so tolle Buben.» Auch wenn die beiden beim Grosi regelmässig Werbefernsehen gucken dürfen, fügt Sandra mit amüsiertem Kopfschütteln an.
Als Sandra vor vier Jahren selbst einen Knoten in ihrer Brust ertastet und die Ärzte bei ihr einen bösartigen, schnell wachsenden Tumor diagnostizieren, ist Louise ihrer Tochter erneut eine grosse Stütze. «Wir gingen zusammen zum Perückenmacher, und als man mir die Haare abrasierte, hast du die ganze Zeit gesagt: Du siehst toll aus, das steht dir gut!», sagt Sandra. «Dabei kamen uns beiden die Tränen.»
«Wie Sandra das alles ertrug, ohne zu jammern, das hat mich sehr beeindruckt.
Louise Boner
Sie besiegt den Krebs mit 16 Chemotherapien, 36 Bestrahlungen und einer Operation. «Wie Sandra das alles ertrug, ohne zu jammern, mit ihrem unerschütterlichen Optimismus, das hat mich sehr beeindruckt. Sie war und ist immer ein Sonnenschein», sagt Louise. Sandra schaut ihr Mami an. «In mir drin tobten Stürme. Aber ich bin froh, dass man es von aussen nicht merkte.» Die Kaffeetassen sind längst leer, die Designerstücke abgestaubt, und sogar Feigen und Äpfel haben die beiden Frauen auf Sandras Dachgarten geerntet. Es ist Zeit, sich zu verabschieden. «Nie ohne einen Kuss und nie mit Groll im Herzen», sagt Sandra. «Auch das habe ich von meinem Mami gelernt.» Morgen ist ein neuer Tag, und auch morgen gibts wieder einen Kaffee.