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50 Pferde und ein Baby

So lebt Steve Guerdat zwischen Reitstall und Kinderzimmer

Jahrelang waren Pferde alles für Steve Guerdat, er fühlte sich als glücklichster Mensch der Welt. Dann wurde der Olympiasieger vor einem Jahr Vater – und kombiniert nun Sportler- und Familienleben auf seinem Gestüt in Elgg ZH.

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Steve Guerdat in Elgg mit seiner Ehefrau Fanny Skally und Tochter Ella

Fanny Skalli, Steve Guerdat und Ella geniessen an einem Turnier 2021 zwischendurch ein wenig Familienzeit.

ZVG

Dynamix De Belheme lässt sich mit einem Rüebli locken, damit sie fürs Foto aus der Box schaut. Die neunjährige Stute stupst Steve Guerdat an, seit vier Jahren lebt sie bei ihm in Elgg ZH. Der Jurassier hat sich viel Zeit genommen, um herauszufinden, was sie braucht, wie sie sich wohlfühlt. «Seit einem halben Jahr habe ich nun das Gefühl, dass wir uns verstehen. Sie entwickelt sich Tag für Tag, das macht Freude.» Pferde wie sie mag der 39-Jährige besonders – mit viel Charakter, vielleicht auch mal etwas schwieriger, auf jeden Fall eine Beziehung, in der Bewegung drin ist.

Steve Guerdat auf seinem Gestüt in Elgg.

Guerdat und Dynamix sind erst gerade von sieben Wochen Spanien zurückgekehrt

David Biedert

Eben ist Guerdat nach sieben Wochen in Spanien auf sein Gestüt zurückgekehrt, das er vor fünf Jahren übernommen hat. Ein paar ruhigere Tage haben er und seine Pferde nötig, bevor es zu den nächsten Turnieren quer durch Europa geht. 45 Wochen sind sie in einem normalen Jahr an Concours auf der ganzen Welt unterwegs, solche Auszeiten wie diese sind selten. Wer in diesen Tagen auf dem Hof fehlt: Guerdats Frau Fanny Skalli (29) und Tochter Ella, (sie feiert am 4. April ihren ersten Geburtstag). Sie nutzen die Turnierpause, um Skallis Familie in Südfrankreich zu besuchen.

50 Pferde leben auf dem Gestüt in Elgg, davon reitet Guerdat 12 bis 13 selber. Täglich trainiert er mit sieben bis acht von ihnen je gut eine Stunde. Bis das Paar für Ella ein Kindermädchen fand, bewegte er einen Teil seiner Pferde frühmorgens bis 9.30 Uhr und übernahm dann die Kinderbetreuung, damit seine Frau trainieren kann – diese ist ebenfalls Profi-Springreiterin. Am Nachmittag wechselten sie die Rollen wieder. Mit dem Kindermädchen bleibt insgesamt nun mehr Zeit als Familie, «und wir können zwischen dem Reiten immer wieder rasch zu Ella».

 

 Fanny Skally und Tochter Ella, Ehefrau von Steve Guerdat

Bevor Fanny Skalli in sein Leben trat, war Guerdat Single. Nun hat er mit ihr und Ella «die beste Frau und die beste Tochter der Welt».

ZVG

Die grosse Liebe und der Nachwuchs kamen für den 39-Jährigen völlig unverhofft. Sein Leben hat sich davor komplett um die Pferde und die Kar-riere gedreht, er hatte weder eine Beziehung noch den grossen Lebensplan. «Ich fühlte mich bereits als glücklichster Mensch der Welt», sagt er, «weil ich mit dem Sport und den Pferden meine Leidenschaft ausleben darf und das Glück habe, in der Schweiz zu leben – wer sich so noch beklagt, wird nie mit etwas zufrieden sein.»

Steve Guerdat auf seinem Gestüt in Elgg.

In diesem Teil des Gestüts stehen Guerdats acht Top-Pferde, unter anderen Victorio des Frotards (l.) und Dynamix De Belheme.

David Biedert

Die französische Springreiterin Skalli hatte er schon früher kennengelernt, sie hielten lose Kontakt. Als sie sich vor vier Jahren wieder trafen, ist schnell klar, dass da was Besonderes zwischen den beiden ist. «Und nun habe ich auch noch die beste Frau und die beste Tochter der Welt.» Bevor Ella zur Welt kam, habe er oft gehört, dass ein Baby das eigene Leben komplett auf den Kopf stelle. Als das Töchterchen dann da ist, empfindet er es nicht so – und macht sich Gedanken, weshalb das so ist. «Natürlich ist sie der Mittelpunkt von allem», sagt er. «Aber ich habe immer gesagt, dass die Pferde Teil meiner Familie sind. Priorität und Sorge galt immer zuerst ihnen, ich war nie der zentrale Punkt in meinem eigenen Leben, sondern kam immer erst nach den Pferden.» Die Fürsorge für ein anderes Wesen fühle sich natürlich an – und da seine Frau aus derselben Welt stamme und genauso ticke, ist es für alle harmonisch.

Sind alle Pferde versorgt, entspannt sich Guerdat abends gerne im Wohnzimmer beim Fernsehen. Das Haus des Gestüts ist geschmückt mit Fotos von sich und seiner Frau, ein paar wenige andere Bilder hängen, alle mit Bedeutung. Sein Lieblingsbild? Eine verzierte Holzplatte eines Freundes, auf der steht: «Bianca – 2006–2021.» Es ist eine Erinnerung an Albführen’s Bianca, Guerdats Herzenspferd, auf dem er seine ersten grossen Erfolge errungen hatte und die er schmerzlich vermisst.

Steve Guerdat auf seinem Gestüt in Elgg.

Seltener Moment: Guerdat entspannt in seinem Wohnzimmer bei einem Kaffee vor dem Fernseher. Seine Frau und seine Tochter weilen in Südfrankreich.

David Biedert

Auch ein weiteres Pferd, mit dem er eng verbunden ist, ist weit weg: Nino des Buissonnets, das ihn 2012 in London zum Olympiasieg trug. Nino ist -bereits seit 2016 in Rente, und gerne hätte Guerdat ihn bei sich auf dem Gestüt. Allerdings hat der 21-Jährige als Reaktion auf Mückenstiche ein Ekzem entwickelt, weshalb er seit einem Jahr in der Normandie lebt, wo ihn keine Mücken plagen. «Für mich wäre es besser, ihn hier zu haben, aber ihm geht es dort sehr gut.»

Es gibt Pferde, mit denen sich Guerdat besonders gut versteht – wie bei den Menschen. Der Unterschied ist jedoch, dass jedes Pferd von ihm gleich behandelt wird, ob jung, alt, erfolgreich oder nicht. «Sie können sich ja nicht aussuchen, dass sie hier sind, deshalb haben wir diese Verantwortung.» Er mag an Pferden, dass sie nicht böse oder fies sind, hatte in Tiere und die Natur stets mehr Vertrauen als in Menschen. Und doch hat Guerdat in den vergangenen Jahren zwei Zweibeiner gefunden, die ihm neben den Dutzenden Vierbeinern die Welt bedeuten.

Von Eva Breitenstein am 2. April 2022 - 08:28 Uhr