Beim Hausbesuch tun Valerie und Violetta,12, dem Schweizer-Illustrierte-Team einen Gefallen: Sie ziehen sich unterschiedlich an. Valerie trägt einen hellblauen Pulli, Violetta einen weissen. Mama Lisa Arnemann, 36, erklärt weitere «Unterscheidungshilfen»: Die sechs Minuten ältere Valerie hat ein etwas breiteres Gesicht als ihre Zwillingsschwester. Und sie trägt im Gegensatz zu Violetta ein winziges Muttermal an der Schläfe. Welches denn auch für das einzige Schönheitsfehlerchen im Kinofilm «Lucy ist jetzt Gangster» verantwortlich ist: Als Regisseur Till Endemann den Leberfleck entdeckt, lässt er ihn Violetta fortan anschminken – welche aber in einer anderen Szene bereits einmal ohne vor der Kamera gestanden ist.
In dem deutschen Kinderfilm geht es um die immer liebe und fröhliche Lucy, welche einen Banküberfall plant, um das Glacegeschäft ihrer Eltern zu retten. («Die Glaces waren Requisiten aus Frischkäse. Wir haben während des Drehs kein einziges gegessen!») Die Komödie mit Esther Schweins und Kostja Ullmann wurde am Zurich Film Festival zum besten Kinderfilm gekürt.
So funktioniert Kinder-Jobsharing
Dass für die Rolle der Lucy eineiige Zwillinge gesucht wurden, hat mit dem Jugendschutzgesetz zu tun: Kinder dürfen maximal drei Stunden pro Tag drehen. Zwei Mädchen, die sich eine Rolle teilen, bedeuteten also viel gesparte Zeit. Und: Die eine machte Hausaufgaben, während die andere am Dreh war.
Zwei Monate lang wohnten Valerie und Violetta während des Drehs mit ihrer Mutter in einem Appartement in Deutschland – und bekamen nach ihrer Rückkehr Konkurrenz aus den eigenen vier Wänden: Die beiden jüngeren Schwestern Rosi, 10, und Olivia, 9, durften ebenfalls mit Schauspielunterricht beginnen, weil sie so lange auf ihre Mama verzichten mussten. Die Jüngste spielte bereits im Musical «Oh läck du mir!» mit Susanne Kunz und Viola Tami mit.
Geboren wurden Valerie und Violetta in München, ihre Eltern sind Deutsche, weshalb sie akzentfrei Hochdeutsch sprechen und für die Rolle überhaupt infrage kamen. Als die Zwillinge Babys waren, zog die Familie in die Schweiz. Heute gehen Valerie und Violetta in die erste Klasse der Talent-Sek in Wollerau SZ. Diese lässt ihnen genügend Zeit für den Schauspielunterricht, den sie bei der Schweizer Mimin Isabella Schmid in Zürich besuchen. Durch deren Bell Academia sind sie auch zum Casting für «Lucy ist jetzt Gangster» gekommen.
Mutter erkennt, welches Kind gerade im Film zu sehen ist
Darin, dass sie dereinst Schauspielerinnen werden wollen, sind sich die beiden einig. Auch sonst leben sie ihr Leben oft im Gleichschritt: dieselben Lieblingsfächer (Deutsch, Englisch), dieselben Hobbys (Lesen, Musik). Als Besucherin ertappt man sich dabei, dass man beide gemeinsam anspricht – und erhält öfter gleichzeitig mit den gleichen Worten Antwort in der Wir-Form. Kleine Unterschiede gibt es trotzdem. Valerie ist seit zwei Jahren Vegetarierin, Violetta hat bis vor etwa drei Monaten noch Fleisch gegessen, bevor sie «es auch mal ausprobieren wollte».
Valerie hat eine hellere Stimme als ihre Schwester. Ein Fakt, der nicht auffällt, wenn mans nicht weiss. Die Familie aber merkt, welches der Mädchen gerade in einer Filmszene zu sehen ist. «Für mich sind da immer zwei verschiedene Kinder auf der Leinwand», sagt Lisa Arnemann. Die grösste Herausforderung beim Spielen sei gewesen, zwischen der lieben Lucy und der bösen «Lucyfer» zu wechseln. Welche der beiden Rollen hat ihnen mehr zugesagt? «Die liebe», sagt Valerie. «Die böse», sagt Violetta. Beide grinsen. Manchmal sind eben auch Zwillinge nicht ganz synchron.