Manchmal wacht man auf und hat ein paar Kinderfüsse im Gesicht. Alle Eltern kennen diesen Moment. Auch Roger Federer, 37, und seine Ehefrau Mirka, 41. «Es gibt jene Morgen, an denen wir alle zu sechst in einem Bett aufwachen», sagt der Tennisstar und vierfache Vater. «Auch wenn ich besser schlafen würde, lägen alle in ihrem eigenen Bett, geben mir diese Momente ein schönes Gefühl der Zufriedenheit.»
Nähe, Geborgenheit und Zusammenhalt scheinen in der Familie Federer einen hohen Stellenwert zu geniessen. Was er von seinen Kindern gelernt hat? «Geduld – und wieder mehr zu kuscheln», sagt Federer kürzlich in einem «Vogue»-Interview. Seit Roger und Mirka Eltern sind, touren sie gemeinsam mit ihren Kindern von Court zu Court rund um den Globus. Wenn die Zwillingsmädchen Charlene Riva und Myla Rose am 23. Juli ihren zehnten Geburtstag feiern, ist es genau eine Dekade.
Ein herausforderndes Lebensmodell, an das sich der Tennisstar in den ersten zwei Jahren richtig gewöhnen musste. An die Jahre 2009 und 2010 erinnere er sich nur verschwommen, sagte er einst in einem Interview. Auf den Kampf zurück an die Weltranglistenspitze folgte nahtlos das Windelnwechseln. Wenige Tage nach dem Wimbledon-Sieg, der ihn wieder zur Weltnummer 1 machte, kamen Charlene Riva und Myla Rose zur Welt. Schon wenige Wochen danach stand Federer an den US Open im Einsatz. Zum Reisestress gesellte sich mit zwei Säuglingen zu Hause auch der Schlafmangel. Er müsse schauen, dass er «ab und zu richtig ausschlafen» könne, sagte er damals.
Trotzdem behielt die Familie ihren um die Tour getakteten Lebensrhythmus auch nach der Geburt der Zwillingsbuben Leo und Lennart vor fünf Jahren bei. Federer ist mittlerweile ein alter Profi in Vereinbarkeitsfragen.
Seinen Familienalltag bringt er genauso spielerisch mit seinem Beruf unter einen Hut wie die Bälle übers Netz. Wenn die Kleinen etwa während des Turniers in Indian Wells in der Nachbarschaft ihrer Mietswohnung selbst gemachte Limonade verkaufen (und damit 70 Dollar für Papis Stiftung sammeln), holt Federer persönlich die frischen Zitronen dafür im Supermarkt.
Und wenn er von einem Match nach Hause kommt, holt es ihn – egal ob Sieg oder Niederlage auf den Boden zurück, wenn die erste Frage seiner Buben nicht dem Spielresultat gilt. «Hey, spielst du Lego mit uns?», rufen sie jeweils, wenn er nach Hause kommt. Er lasse sich gern darauf ein, am Boden zu sitzen und in Plastik-Klötzchen zu wühlen, sagt Federer. «Allerdings sitze ich dann manchmal da und lasse den Match Revue passieren im Kopf, obwohl ich bemüht bin, die volle Aufmerksamkeit zu geben.»
Bei Roger Federer ticken mittlerweile zwei innere Uhren gleichzeitig: eine für seinen sportlichen Zeitplan und eine für die Familie. Während er trainiert, weiss er immer, was zu Hause gerade läuft. Spielt er am Abend, wünscht er seinen Kindern 45 Minuten vor Aufschlag per FaceTime eine gute Nacht.
Die Bettzeit wird unterwegs rigoros eingehalten, da gibts auch bei den Reiseprofis kein Pardon. Nur so lässt sich ein Jetlag vermeiden. Allerdings, sagt der Maestro, seien er und Mirka, was Fernsehen und feines Essen angehe, unterwegs etwas weniger streng als daheim in der Schweiz.
Die Organisation rund um die Reiserei übernimmt Mama Mirka. Das Gepäck der Familie umfasst mehr als 20 Koffer, welche sie in tagelanger Arbeit mithilfe von Checklisten füllt. Wenn Lehrer, Nannys und die Grosseltern mitreisen, sind es meist noch mehr. Aber das Paar scheut keinen Aufwand. Nichts ist Roger und Mirka wichtiger als das Zusammensein als Familie.
Erst einmal reiste Federer alleine an ein Grand-Slam-Turnier. In Paris trat er heuer ohne Unterstützung seiner Zwillings-Bande an. Am Spielfeldrand, wo normalerweise Charlene und Myla ihre Schlümpfe-Comics lesen und Leo und Lennart ihre süssen Stupsnasen über die Bande strecken, sass Anfang Juni kein Kind.
Für Federer eine völlig neue Situation: «Das gabs glaubs noch gar nie, dass ich alleine an einem Grand Slam bin – es ist eine Premiere», beantwortet er die Frage der Journalisten nach seiner Familie. Mirka sei mit den Kindern in der Schweiz geblieben. «Wir entschieden, dass sie jetzt einmal länger daheimbleiben sollen. Für ihren Rhythmus ist das besser.»
Was ist geschehen? Befürchtet Roger, dass die Kindheit seiner Zwillinge doch zu sehr beeinträchtigt wird durch seinen Beruf? Schliesslich betont er immer, wie wichtig es ihm sei, dass Charlene, Myla, Leo und Lenny trotz Geld ( Jahreseinkommen laut «Forbes»: 65 Millionen Euro), Ruhm und Reiserei so normal wie möglich aufwachsen dürfen. Er besucht mit ihnen Spielplätze ohne Bodyguards, damit sie Kontakt zu anderen Kindern knüpfen können. Und sagt ihnen nicht, wie berühmt er wirklich ist.
Vielleicht begreifen sie es langsam selber. Am 23. Juli werden Charlene und Myla zehn Jahre alt. Teenager. Sie sind längst nicht mehr die kleinen Mädchen, die glauben, dass alle Papas von Kameras verfolgt und nach Autogrammen gefragt werden. Oder Verkehrsstaus verursachen, nur weil sie ein wenig shoppen wollen, wie ihr Papi kürzlich in London. Bald werden die Mädchen erfassen, welch privilegiertes Leben sie führen. Und dass ihr Alltag mit dem eines Kindes in einem durchschnittlichen Schweizer Haushalt wenig zu tun hat.
«Beim Reisen lernt man, geduldig zu sein, zu planen und Abläufe zu optimieren – das ist gut für die Kinder»
Roger Federer
Der Rhythmus der vier Federer-Kinder wurde bislang vom Sport bestimmt. Allein in den letzten Monaten absolvierten sie eine halbe Weltreise. «Wir waren in New York, Chicago, Tokio, Schanghai. Dann gings so weiter: Ende Saison in Dubai, Australien, dann noch Indian Wells und Miami», zählte Federer im «Blick» auf. Dann gings nach Wimbledon, das genau in den Sommerferien liegt. So waren die Kinder beim längsten Grand-Slam-Final der Geschichte wieder mit dabei. «Beim Reisen lernt man, geduldig zu sein, zu planen und Abläufe zu optimieren – das ist gut für die Kinder», ist Federer überzeugt. Doch all die Vorteile seines Lebensmodells mögen vielleicht nicht mehr lange wettmachen, was den Kindern fehlt. «Sie wünschten sich manchmal, dass sie in der normalen Schule wären», gibt der Tennisprofi zu.
Ihm ist das Schweizer Schulsystem schlicht zu rigide. Er kritisiert, dass Eltern sehr wenig Flexibilität zur eigenen Zeiteinteilung haben, sobald ihre Kinder in einer öffentlichen Schule eingeschrieben sind. Allerdings ist für den King auch klar: «Wenn es den Kleinen nicht gut gehen würde auf der Tour oder ich merke, sie sind unglücklich, oder wenn Mirka ihre eigene Situation oder die der Kinder nicht mehr passen würde, wäre das ein Grund aufzuhören.»
Die Zeichen häufen sich, dass Federers bald sesshaft werden wollen. In Kempraten, einem Ortsteil der Stadt Rapperswil-Jona, hat die Familie ein herrschaftliches Anwesen direkt am See geplant, mit eigenen Schul-Räumlichkeiten und Tennisplatz.
Nicht, dass dann das Reisen aufhört. Roger Federer träumt von einem Roadtrip durch Italien oder Frankreich. Er will die Toskana erkunden oder an die Bretagne brettern. Er stelle sich dann jeweils ein Auto mit nur noch einem einzigen Koffer drin vor, sagt Federer. Aber für mehrwöchige Trips fehlt der Familie momentan die Zeit. «Ich werde warten müssen, bis ich in Rente gehe.»