Was genau ist CMV?
Christian Haslinger, Prof. Dr. med. univ, Leitender Arzt, Klink für Geburtshilfe vom USZ Zürich: CMV ist ein zirkulierendes Virus, das häufig zu Infektionen führt. Für gesunde Menschen, die nicht gerade transplantiert wurden oder unter einer Immunschwäche leiden, macht das Virus typischerweise keine Probleme. Anders kann das bei Schwangeren aussehen, die sich um den Zeitpunkt der Konzeption oder im ersten Schwangerschaftsdrittel anstecken. Überträgt sich die Infektion zu diesem frühen Zeitpunkt auf das Ungeborene, kann es zu relevanten Folgen mit bleibender Schädigung beim Kind kommen. Aber Achtung: Nicht in jedem Fall wird das Virus auf das Ungeborene übertragen und auch im Falle einer Übertragung bleibt es für eine Mehrheit der Babies ohne Folgen.
Wie merkt eine Schwangere, dass sie sich angesteckt hat?
Das ist die Krux an der Sache, oft merkt es die Frau gar nicht. Möglicherweise hat sie gar keine Beschwerden oder nur leichte, grippeähnliche Symptome. Jedenfalls sicher nichts, was sie dazu veranlassen würde, den Arzt aufzusuchen. Das Problem ist auch, dass viele Frauen über CMV gar nicht Bescheid wissen.
Viele Gynäkolog:innen klären nicht über CMV auf. Warum ist das so?
Wir sind im Prozess und in der Forschung rund zum Thema noch nicht da, wo wir gerne wären. Wir sind uns einig, dass die Aufklärung zu CMV und vor allem zu einer Prävention der Übertragung in der Schwangerschaft deutlich verbessert werden müssen. Aber es gibt noch keine einheitliche Meinung darüber, wie Gynäkolog:innen mit dem Thema umgehen sollen, etwa im Sinne eines Screenings. Wir im USZ schulen die Ärzt:innen und auch externe Gynäkolog:innen bei Fortbildungsveranstaltungen intensiv zum Thema. Auch ist es uns wichtig, gerade Frauen, die mindestens zum zweiten Mal schwanger sind, über CMV zu informieren, da Zweitschwangere oder ganz generell Mehrgebärende gefährdeter sind.
Warum?
Frauen, die schon ein Kleinkind daheim haben, haben eine grössere Gefahr, sich anzustecken. In der Spielgruppe oder in der Kita kursiert CMV relativ häufig. Kleinkindern macht das Virus nichts, sie sind aber relativ lange infektiös, scheiden das Virus also lange in Körperflüssigkeiten aus, und können deswegen ihre Mütter leicht anstecken. Die gute Neuigkeit ist aber: Mit etwas Wissen und Vorsicht lässt sich eine Übertragung gut vermeiden.
Wie?
Nach dem Windeln wechseln sollen sich Schwangere unbedingt die Hände waschen und/oder desinfizieren. Ausserdem ist es wichtig, weder Becher, noch Besteck mit dem Kleinkind zu teilen. Und wenn man als Mutter in Kontakt mit Tränenflüssigkeit, Urin oder kindlichem Speichel kommt, soll man sich die Hände gründlich waschen. An den Händen ist das Virus noch nicht problematisch, aber sobald die Mütter Körperflüssigkeiten aufnehmen, kann es zur Ansteckung kommen. Beispielsweise soll die Mutter vermeiden, das weinende Kind beim Trösten auf die Backe zu küssen.
Übrigens gilt dies auch für die Partner der Mütter – auch diese können sich anstecken, und selber durch Küssen oder Geschlechtsverkehr das Virus auf die Partnerin übertragen. Also auch die Partner der Schwangeren sollten präventive Massnahmen befolgen.
Gibt es Tests, die man präventiv machen kann?
Im Sinne der Prävention nicht, aber im Sinne einer Risikoeinschätzung. in der Frühschwangerschaft kann sich eine Frau testen lassen. Im Blut lässt sich erkennen, ob die Frau schon einmal CMV hatte. Ist das der Fall, ist die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass sie noch einmal erkrankt.
Bei den Studien geht es hauptsächlich um erstmalig aufgetretene CMV-Infektionen in der Schwangerschaft. Eine Garantie gibt es aber nicht: CMV hat verschiedene Stämme. Eine Schwangere kann sich also einfach mit einem anderen Stamm infizieren. Theoretisch ist auch möglich, dass sich ihre CMV-Infektion reaktiviert. In etwa so ähnlich wie bei Herpes. Deshalb gibt es auch noch keine einheitliche Empfehlung für ein generelles Screening.
Was sind die schlimmsten Folgen, die es haben kann, wenn sich ein Kind im Mutterleib ansteckt?
Schwere neurologische Behinderungen, die lebenslange Pflege fordern. Es kann aber auch passieren, dass die Babys taub zur Welt kommen oder im Laufe der Zeit ertauben. Auch Sehstörungen kommen vor. Wir reden hier aber klar von den schlimmsten Konsequenzen. In vielen Fällen kommen die Kinder gesund zur Welt oder haben nur leichte Schäden. Es kann auch vorkommen, dass Kinder vermeintlich gesund zur Welt kommen und erst im Kleinkindalter eine Taubheit entwickeln. Da ist es wichtig, dass Kinderärzte ein Bewusstsein für das Thema CMV haben, wobei man gerade bei diesen Fällen mittlerweile deutlich mehr machen kann als früher, etwa mit Cochlea-Implantaten.
Gibt es Behandlungen, die schlimme Folgen verhindern können?
Da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Es gibt ein Medikament, das das Risiko für schwere Schäden auf etwa einen Drittel reduziert. Die Kehrseite der Medaille ist aber, dass es sein kann, dass das Medikament bei der Schwangeren zu vorübergehenden Nierenschädigungen führen kann, wenngleich zum Glück selten und bislang stets reversibel. Daneben gibt es noch eine Behandlung mit Immunglobulinen, wobei hier, wie generell bei der Betreuung von Schwangeren mit CMV, die Beratung durch eine spezialisierte Fachperson wichtig ist.
Wie findet man raus, ob sich das Ungeborene überhaupt angesteckt hat?
Das funktioniert nur mittels Fruchtwasserentnahme frühestens ab 18, besser aber ab der 21. Schwangerschaftswoche. Das Wissen alleine, ob im Fruchtwasser CMV nachweisbar ist oder nicht, reicht aber nicht, um zu wissen, ob das Kind Schäden davon trägt. Der Nachweis von CMV im Fruchtwasser heisst, dass das Kind mit CMV infiziert wurde (Fruchtwasser ist fetaler Urin). Man weiss aber nicht, ob auch Schäden gesetzt sind oder diese später auftreten werden. Bei fehlendem CMV-Nachweis im Fruchtwasser kann immerhin Entwarnung geben werden, was für viele Frauen eine grosse Erleichterung für die zweite Schwangerschaftshälfte darstellt. Eine kindliche Schädigung kann möglicherweise im Ultraschall erkannt werden, etwa ob die Gehirnstrukturen des Babys auffällig sind oder sein Kopf bedeutend kleiner ist als er sollte. Weitere Hinweise kann dann ein fetales MRI geben, wobei dies erst im letzten Schwangerschaftsdrittel sinnvoll ist. Wir schicken dann die Mutter in die Röhre, wo wir das kindliche Hirn ganz genau untersuchen können. Sind der Ultraschall und das MRI auffällig und haben wir auch CMV im Fruchtwasser nachgewiesen, gibt es ein hohes Risiko, dass das Kind bemerkbare Schäden davon getragen hat. Wie die aber ganz genau aussehen, wissen wir frühstens, wenn die Babys auf der Welt sind. Aber eben, auch da kann es sein, dass die Babys am Anfang gesund aussehen und sich die Beeinträchtigungen erst im Lauf der Zeit zeigen.
Wann dürfen Schwangere mit mehr Aufklärung und fundierten Informationen rechnen?
Neben der vermehrten Aufklärungsarbeit bei Patientinnen und Fachpersonen müssen wir an weitere Möglichkeiten denken, etwa einen Flyer zu entwerfen, den wir gerne in den gynäkologischen Praxen auflegen wollen. Wichtig wird dabei auch die Zusammenarbeit mit den Kinderärzten sein. Denn wenn wir die Schwangeren, welche ihr zweites oder drittes Kind erwarten, zum ersten Mal in der aktuellen Schwangerschaft in unserer Sprechstunde sehen, kann es oftmals schon zu spät sein. Beim Untersuch wenige Wochen nach einer Geburt wollen viele Frauen noch nichts von einer weiteren, späteren Schwangerschaft hören oder vergessen bei allem Schlafmangel, Stillproblemen etc. verständlicherweise Empfehlungen, welche erst nach einigen Jahren konkret werden. Aber Kinderärzte könnten bei der 1-Jahres-Untersuchung die Frauen dafür sensibilisieren, im Falle einer angestrebten weiteren Schwangerschaft die präventiven Hygiene-Massnahmen einzuhalten. An dieser Thematik arbeiten wir gerade gemeinsam mit Kollegen vom Kinderspital Zürich. Ich selber hoffe auch, dass wir bald eine gesamtheitliche Handhabung zu dem so wichtigen Thema finden, an die sich dann gesamtschweizerisch alle Gynäkolog:innen halten können, etwa bei der Frage ob wir gezielt nach CMV suchen sollen oder nicht. Es gibt gute Gründe dafür, aber auch sehr gute Gründe dagegen. Bis dahin ist es aber wichtig, dass Schwangere keine Panik entwickeln. Wie gesagt: Mit dem richtigen Verhalten lässt sich präventiv eine Ansteckung bewiesenermassen sehr gut vermeiden. Ist es dennoch zu einer Infektion gekommen, stehen die Chancen ebenfalls gut, dass das Baby völlig gesund wird und bleibt.