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Eine Paar- und Familienberaterin erklärt

Was passiert mit einem Paar, wenn man Eltern wird?

Dass Babys die Beziehung ihrer Eltern auf die Probe stellen, ist kein Geheimnis. Warum aber ist das so und was können Paare machen, um trotz Kindern die Paarbeziehung aufrecht zu erhalten? Ein Gespräch mit der Paar- und Familienberaterin Anna von Senger.

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Eltern mit einem Baby

Wenn aus einem Paar eine Familie wird, muss man sich komplett neu orientieren und finden.

Getty Images

Liebe Frau von Senger, man sagt, dass ein Baby eine Belastungsprobe für die Beziehung ist. Stimmen Sie dem zu und wenn ja, warum und wenn nicht, warum nicht?

Ich stimme dem 100 Prozent zu, denn mit der Geburt eines Babys verändert sich fast alles. Die Lebensgewohnheiten, die beruflichen Ziele, die finanziellen Verhältnisse, Art und Umfang der Hausarbeiten, die Wohnungseinrichtung, keine Freizeit und Ferien mehr, das soziale Umfeld. Am massivsten ist es aber auf der Paarebene: neue Rollen als Mutter oder Vater, weniger Gespräche und Austausch untereinander, weniger Zärtlichkeit oder gar keine Sexualität. Eine solch brachiale Veränderung aller Lebensdimensionen nennt sich normalerweise eine Krise – wäre da nicht das süsse Baby.

Viele Paare denken, dass sie mit einem Kind ihre Beziehung retten können: richtig oder falsch?

Falsch. Eine Beziehung, die gerettet werden muss, hat per Definition bereits Schwierigkeiten. Dass diese sich in einer Krise, wie ich sie oben nenne, zu wahren Herausforderungen verdichten, liegt auf der Hand.

Was passiert mit einem Paar, wenn es ein Kind bekommt?

Aus zwei mach drei, aus einem Paar werden Eltern. Vor allem am Anfang wird aus der Paarbeziehung eine reine Elternbeziehung, in deren Rollen sich das Paar zuerst einleben muss. Der Fokus wird auf die Bedürfnisse des Kindes gelegt, die es nicht selbst stillen kann. Dadurch geht – nebst all den anderen Veränderungen – die Paarzeit komplett verloren. Die Herausforderung besteht darin, gemeinsam in diesen Bereichen neue Arrangements zu finden und neben der Elternbeziehung die Paarbeziehung zu integrieren und beide zu pflegen.

Viele Eltern klagen darüber, dass mit einem Baby das Beziehungs- und Sexleben auf der Strecke bleibt. 

All diese Veränderungen führen zu Stress. So hat ein Paar weniger gemeinsame Zeit, dadurch verschlechtert sich die Kommunikation. Es entfremdet sich und die Unzufriedenheit wächst, zum Teil werden problematische Persönlichkeitszüge freigelegt. Untersuchungen haben ergeben, dass ca. 50 Prozent aller Eltern nach vier Familienjahren unglücklicher sind als zuvor – im Vergleich zu 14 Prozent bei kinderlosen Paaren.

Was sollten Paare wissen, bevor sie sich für ein Baby entscheiden?

Dass es eine der grössten Herausforderungen auf allen Ebenen sein wird, aber gleichzeitig eine der grössten Bereicherungen! Zudem bleibt ein Baby nicht für immer eines, sondern entwickelt sich weiter.

Anna von Senger

Anna von Senger ist diplomierte Paar- und Familienberaterin IKP.

ZVG

Wie schafft man es als Paar, ein Liebespaar zu bleiben, wenn Kinder kommen?

Eine Liebesbeziehung ist wie eine Zimmerpflanze. Wenn wir sie sich selbst überlassen, also nicht pflegen und hegen, geht sie ein. Um ein Liebespaar zu bleiben, muss es ganz bewusst Zeit und Raum für die Beziehung schaffen, um die Liebe zu kultivieren. Das bedeutet zum Beispiel ein Gefäss für die Kommunikation oder Austausch von Zärtlichkeit und Sex zu schaffen. Liebe braucht Zeit. Paare, die relativ lange vor dem Kind zusammen waren, haben eine bessere Chance, diese Herausforderung zu bestehen, weil es diese Paarebene gefestigt hatte.

Und was können Paare tun, die sich im ganzen Alltagstrouble mit Kindern verloren haben, sich grundsätzlich aber noch lieben?

Sie sprechen von Paaren, die sich bereits entfremdet haben. Die Pflanze ist halb verdörrt, sie braucht vermehrt Pflege, also Wasser und Dünger in Form von Raum und Zeit. Das Paar muss emotional wie körperlich wieder in Verbindung kommen. Für das Emotionale dienen innige Zwiegespräche, für das Körperliche sind Zärtlichkeiten und Sex zuständig.

Wie schaffen Paare den Weg zurück in die Sexualität?

Stress, Müdigkeit, hormonelle Umstellungen, körperliche Unsicherheiten, aber auch die Vereinbarkeit der Sexualität mit der neuen Mutter- oder Vaterrolle (Madonna-Hure-Komplex, Sigmund Freud) – die Gründe für die Sex-Flaute können vielfältig sein. Diese Bedürfnisse (oder eben die Unlust) an- und auszusprechen ist der erste Schritt, um gegenseitiges Verständnis und emotionale Verbindung zu fördern.

Als zweiten Schritt empfehlen sich konkrete, regelmässige Sex-Dates, sei es nur für den Austausch von Zärtlichkeiten. So lächerlich dies für ein zusammenlebendes Paar klingen mag, so prickelnd und erfrischend kann es wirken. Man erinnere sich nur an die Anfangszeiten, in denen Dates für Sex «normal» war.

Kann man sagen, welche Zeit für Paare die grösste Prüfung ist? Ist es das erste Babyjahr, die Kleinkindphase oder doch die Pubertät?

Jede der genannten Phasen ist auf ihre Art die grösste Prüfung: Das erste Babyjahr aufgrund der existenziellen Veränderungen, die Kleinkindphase wegen der grossen körperlichen Belastung und schliesslich die Pubertät, weil wir mit der Identitätssuche der Kinder auch unsere eigene Identität überprüfen müssen. Mit Kindern werden wir so oder so immer wieder von neuem an unsere eigenen Grenzen gebracht, was uns erfreulicherweise mitwachsen lässt.

Maja Zivadinovic
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Von Maja Zivadinovic am 14. Juni 2024 - 07:00 Uhr