Fridolin Heer und Frau Hirmete Hasani, gibt es Zahlen, ob der Cannabiskonsum bei Schweizer Jugendlichen eher ab- oder zunimmt?
Die Zahlen sind insgesamt recht stabil. Es liegen unterschiedliche Studien vor. So untersucht etwa die HBSC-Studie das Gesundheitsverhalten von 14- bis 15-Jährigen in der Schweiz. Der Bericht von 2022 zeigt, dass der Cannabiskonsum bei dieser Altersgruppe seit 2010 leicht sinkt. Konkret gaben 7,5 Prozent der Jugendlichen an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal Cannabis konsumiert zu haben. Die Werte sind vermutlich etwas zu tief, weil einige Jugendliche auch in einer anonymen Umfrage den Konsum von illegalen Substanzen nicht angeben. In der z-proso-Studie wurde der Konsum von 20-Jährigen in der Stadt Zürich mit Haaruntersuchungen gemessen. Dort zeigte sich 2022, dass 57 Prozent im vergangenen Jahr mindestens einmal Cannabinoide konsumiert hatten.
Wie merken Eltern, dass ihr Teenager-Kind kifft?
Das ist nicht in jedem Fall ganz einfach. Es gibt Jugendliche, die den Cannabiskonsum effektiv vor den Eltern verbergen können. Grundsätzlich lohnt es sich, genauer hinzuschauen, wenn Eltern mehrere der folgenden Merkmale wahrnehmen: Schulische Leitungen werden schlechter, der Schlafrhythmus verändert sich, Jugendliche weichen neuerdings stark aus, Verlust von Interesse an Hobbys, Veränderungen oder Verlust von Freundschaften, starke Gefühlsschwankungen oder häufige Traurigkeit. Typisch für einen Cannabisrausch sind: Gerötete Augen, erhöhte Albernheit, gesteigertes Hungergefühl und «Fressattacken», teilweise gestörtes Zeitgefühl oder Gleichgewicht. Auch Schwindel, Übelkeit oder Panik können im Cannabisrausch auftreten.
Wie reagieren Eltern am besten, wenn sie erfahren, dass ihr Kind kifft?
Hilfreich ist, möglichst ruhig zu bleiben. Wenn das nicht gelingt, können Eltern sagen: «Ich rege mich jetzt auf, weil ich mir Sorgen mache. Wenn ich wieder ruhig bin, sprechen wir über alles.». Im Gespräch können Eltern versuchen herauszufinden, wie es um den Cannabiskonsum steht und was ihr Kind über Cannabis weiss. Ist es ein einmaliger Probierkonsum? Dauert der Konsum schon länger an? Wann konsumiert das Kind? Mit wem? Aus welchen Motiven? Kennt es die Risiken? Wenn Eltern panisch oder ärgerlich reagieren, besteht die Gefahr, dass Jugendliche sich nicht mitteilen. Bleiben Eltern ruhig, kommt es eher zum offenen Gespräch, in dem Eltern auch Risiken und ihre Sorgen ansprechen können. In unserer Broschüre «Alkohol, Cannabis und Nikotin» zeigen wir Eltern auf, wie sie reagieren können, wenn ihr Kind Suchtmittel konsumiert.
Wie gefährlich ist Kiffen für Jugendliche und macht es einen Unterschied, ob sie CBD oder THC-haltiges Gras rauchen?
Das Hirn von Jugendlichen befindet sich bis zum Alter von 25 Jahren stark in Entwicklung. Der Konsum von THC-haltigem, berauschendem Cannabis kann diese Entwicklung beeinträchtigen, insbesondere die Gedächtnisleistung, die Konzentration und die Verarbeitung von komplexen Informationen leiden. Cannabiskonsum steht zudem im Zusammenhang mit Depressionen und Psychosen. Kiffen kann bei Jugendlichen mit entsprechender Veranlagung Schizophrenie auslösen oder den Krankheitsverlauf verschlechtern. Seit einigen Jahren wird zudem auf dem Schwarzmarkt Gras verkauft, das mit synthetischen Cannabinoiden besprüht wurde. Dieses Gras ist von blossem Auge nicht von natürlichem THC-Hanf zu unterscheiden. Es kann zu gefährlichen Überdosierungen kommen – es gab auch schon Todesfälle. Wir raten Jugendlichen aus all diesen Gründen grundsätzlich vom Cannabiskonsum ab. CBD-Produkte sind nicht berauschend und legal käuflich. Sie sind mit deutlich weniger Risiken verbunden. Da sie aber in der Regel mit Tabak konsumiert werden, kommt es sehr rasch zur Abhängigkeit von Nikotin. Das ist auch bei den THC-haltigen Produkten so.
Wie erkläre ich Teenagern am einfachsten, was Kiffen mit ihrer Entwicklung macht?
Indem man ihnen die oben genannten Zusammenhänge aufzeigt. Auch kann man Jugendlichen sagen, dass das Kiffen zwar kurzfristig von Problemen ablenken kann. Diese Strategie führt aber auch dazu, dass man die Probleme nicht wirklich angeht und keine dauerhafte Lösung findet. Unterstützend für Eltern und Jugendliche sind auch Jugendwebseiten, wie beispielsweise «feel-ok.ch». Diese behandelt neben Suchtmitteln auch Themen wie Stress, psychische Gesundheit, Ernährung und Berufswahl. Jugendliche können sich dort selbst informieren und auch einen Selbsttest zu ihrem Cannabiskonsum machen.
Macht es Sinn, Kindern das Kiffen zu verbieten?
Mit einem simplen Verbot erreicht man bei Teenagern meist nicht viel. Dennoch ist die Meinung der Eltern für Jugendliche wichtig. Wir empfehlen Eltern, frühzeitig mit ihren Kindern über Suchtmittel zu sprechen und klar eine ablehnende Haltung zu vertreten. Dabei ist es wichtig, diese Haltung auch zu begründen und über die Risiken zu sprechen. Dazu und auch zum Thema ‘Regeln abmachen und durchsetzen’, finden Eltern in unserer Broschüre Impulse.
Wie reagieren wir am besten, wenn wir merken, dass uns das Kind anlügt?
Angelogen zu werden, fühlt sich nicht gut an. Das kann man Jugendliche wissen lassen. Gleichzeitig lohnt es sich auch, sich zu fragen, warum das Kind lügt. Oftmals steckt hinter der Lüge der Versuch, den Eltern Sorgen zu ersparen oder ihnen gefallen zu wollen. Auch die Angst vor heftigen Reaktionen kann zu Lügen führen. Wichtig ist darum auch hier, möglichst ruhig zu bleiben, oder das Gespräch zu vertagen, wenn man sich zu sehr aufregt. Eltern können zum Beispiel sagen: «Ich habe das Gefühl, dass du mich anlügst. Das macht mich jetzt grad wütend/traurig/hilflos. Mir ist wichtig, dass wir offen miteinander sprechen können und dass du mit Problemen zu mir kommen kannst. Jetzt gerade rege ich mich zu sehr auf. Ich komme auf dich zu, wenn ich wieder gelassener bin.»
Wann ist ein guter Zeitpunkt, das Gespräch zu suchen?
Die Pubertät ist für Eltern und Jugendliche anspruchsvoll: Die schrittweise Ablösung vom Elternhaus steht an, wichtige Laufbahnentscheide werden gefällt und gleichzeitig befindet sich der Körper im Umbau und die Hormone übernehmen das Kommando. Teenager sind darum häufig verunsichert und reagieren sehr empfindlich auf Kritik und Ermahnungen. Sie wünschen sich aber Anteilnahme und Interesse von Eltern. Das Gespräch zu suchen, ist darum wichtig und richtig. Dabei lohnt es sich, ruhige Momente abzuwarten. Wenn Eltern sich wütend, ängstlich oder enttäuscht fühlen, sollten sie das Gespräch vertagen – aber nicht zu lange hinausschieben.
Wie viel Kiffen ist normales Ausprobieren und ab wann wird es gefährlich?
Kiffen ist für Jugendliche immer mit Gefahren verbunden. Wie hoch die Risiken sind, hängt nebst der Menge, auch vom Zeitpunkt, den Konsummotiven, den Inhaltsstoffen und der individuellen Veranlagung ab. Wer kifft, um Problemen und Sorgen zu entfliehen, ist gefährdeter als Personen, die kiffen, um mit Freunden einen lustigen Abend zu verbringen. Kiffen schon vor oder während dem Unterricht oder der Arbeit führt viel eher zu Problemen, als wenn erst in der Freizeit konsumiert wird. Wer wöchentlich oder häufiger kifft, bekommt eher Schwierigkeiten, als jemand der nur bei seltenen Gelegenheiten Cannabis konsumiert. Wer Gras aus verlässlicher Quelle oder getestete Produkte konsumiert, minimiert die Risiken ebenfalls. Da bei entsprechender Veranlagung bereits einmaliges Ausprobieren Psychosen auslösen kann und mögliche Spätfolgen nicht voraussehbar sind, raten wir Jugendlichen ganz grundsätzlich vom Konsum ab – auch vom Probierkonsum.
Sollen Eltern Kinder sagen, ob sie früher selber gekifft haben?
Das müssen Eltern für sich selbst entscheiden. Empfehlenswert ist, den eigenen Konsum nicht retrospektiv zu verharmlosen oder zu glorifizieren. Die meisten Erwachsenen, die früher gekifft haben, kennen jemanden, der (auch) wegen dem Kiffen Probleme bekam. Eltern, die früher gekifft haben, müssen sich zudem vor Augen halten, dass der THC-Gehalt in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Und dass es neu auch Produkte mit gefährlichem synthetischen Cannabinoid gibt. Kiffen war vor 20 Jahren deutlich weniger riskant als heute.
Was tun, wenn das Kind vor lauter Kiffen ganz passiv wird und seine schulischen Leistungen leiden?
Nicht selten ist in solchen Fällen der Cannabiskonsum nicht die alleinige Ursache. Kiffen ist häufig ein Hinweis darauf, dass weitere Probleme vorhanden sind. Der Cannabiskonsum kann diese noch zusätzlich verstärken. Wir empfehlen Eltern, sich Hilfe zu holen. Das ist ein Zeichen von Stärke. Unterstützung finden Eltern zum Beispiel bei Suchtpräventionsstellen, Familienberatungsstellen oder dem Elternnotruf. Adressen und auch Online-Beratung zu Fragen rund um Suchtmittelkonsum findet man hier. Adressen und Gesprächstipps rund um das Thema psychische Gesundheit gibt unter diesem Link.