Nicht nur für kleine Kinderseelen, auch für Eltern ist es hart, wenn sich ihr Sprössling so gar nicht zurecht findet nach dem Eintritt in den Kindergarten. Bald ist ein Monat vergangen, seit mit dem Schulstart für viele Schweizer Kinder ein ganz neuer und aufregender Abschnitt angefangen hat.
Was aber, wenn das Kindergarten-Kind sich auch nach den ersten paar Wochen so gar nicht zurecht findet und jeden Morgen dicke Tränen zum Abschied weint? Wir haben bei Anja Meier, Mediensprecherin von Pro Juventute, nachgefragt.
Liebe Frau Meier, was tun, wenn das Kind auch nach drei Wochen Kindergarten jeden Morgen Krise hat und nicht gehen will?
Anja Meier: Manche Kinder meistern den Kindergarteneinstieg schnell. Andere brauchen wiederum länger, um sich einzugewöhnen – das ist vollkommen normal. Die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten und sich anzupassen, erfordert Zeit und Energie. Irgendwann muss diese Anspannung raus, und das geschieht oft im geschützten familiären Rahmen. In solchen Situationen ist es wichtig, das Kind ernst zu nehmen und nach den Gründen zu fragen. Gemeinsam können Strategien und Tricks ausgedacht werden, damit sich das Kind gestärkt fühlt und der Kindergartenalltag erleichtert wird.
Wie reagiert man als Eltern richtig, wenn das Kind im Kindergarten ganz grosse Mühe hat, sich zu trennen?
Wir empfehlen, verständnisvoll zu reagieren und auf die Gefühle des Kindes einzugehen. Das Kind soll wissen, dass Mama und Papa nach dem Kindergarten wieder da sein werden. Überlegen Sie zum Beispiel gemeinsam mit dem Kind, was helfen würde, um die Trennung zu erleichtern. Vereinbaren Sie etwa Abschieds- und Begrüssungsrituale wie einen speziellen Handschlag. Ein Kuscheltier und eine Betreuungsperson, die das Kind liebevoll entgegennimmt, tragen ebenfalls dazu bei, dass sich das Kind nicht mehr so alleine fühlt.
Wie können wir als Eltern Kindern den Kindergarten möglichst schmackhaft machen?
Kinder haben ein feines Gespür für die Gefühle ihrer Eltern. Wir empfehlen deshalb, eine positive Einstellung zum Kindergarten zu zeigen und gemeinsam die Freude am neuen Lebensabschnitt zu wecken. Sprechen Sie über die aufregenden Dinge, die das Kind erleben wird, auf das Spielen mit anderen Kindern, das Lernen neuer Dinge. Teilen Sie mit ihm einen geheimen Trick, wie es sich besser fühlen kann – zum Beispiel eine besondere Turnübung. Eine Überraschung im Znüniböxli kann ebenfalls Wunder wirken.
Wie reagieren wir, wenn das Kind nach jedem Kindsgibesuch sagt, dass es nie mehr gehen will?
Empathie zeigen und ernst nehmen sind der Schlüssel. Das bedeutet nicht, dass Eltern dem Kind nachgeben sollen, sondern Feingefühl walten zu lassen. So schwierig es ist, ist es wichtig, sich nicht verunsichern zu lassen. In einer akuten Krisensituation ist es essenziell, für das Kind da zu sein und ihm Ruhe und Entlastung zu ermöglichen. Möchte das Kind auch nach einer ausgedehnten Eingewöhnungsphase nicht alleine im Kindergarten bleiben, oder verändert sich sein Verhalten auf eine starke Art und Weise, empfehlen wir, das Gespräch mit der Kindergartenlehrperson zu suchen, um möglichen Ursachen auf den Grund zu gehen und gemeinsam Lösungen auszudenken und anzugehen.
Wieso haben die einen Kinder überhaupt solche Mühe mit Trennungen?
Verlustängste gehören gewissermassen zum biologischen Überlebensinstinkt von Kindern. Und der Einstieg in den Kindergarten ist ganz schön anstrengend: Das Kind muss jeden Tag für eine längere Zeit alleine an einen neuen Ort, sich an neue Regeln gewöhnen, eine neue Bezugsperson akzeptieren und mit anderen teilen, und eine Beziehung zu fremden Kindern aufbauen. Übermütig, still staunend oder neugierig reagieren die einen auf diesen Neubeginn, traurig über die Trennung von der Familie die andern. Kommt hinzu, dass Kinder ihre Strategien zur Emotionsregulierung noch lernen müssen. Wenn ein Kind länger braucht, um sich an den Kindergartenalltag zu gewöhnen, muss dahinter kein ernsthaftes Problem stecken.
Wie lange sollen wir als Eltern am Morgen beim Kind bleiben?
Viele Eltern machen gute Erfahrungen damit, das Kind in den ersten Wochen in den Kindergarten zu begleiten und sich dann schrittweise zurückzuziehen. Damit gewinnen Kinder zunehmend an Sicherheit und Vertrauen. Wir von Pro Juventute empfehlen, gemeinsam mit den Kindergartenlehrperson zu schauen, welche Begleitung in welchem Stadium der Eingewöhnungszeit am besten geeignet ist.
Gibt es eine Möglichkeit für eine schonende Trennung Schritt für Schritt?
Im Alltag eingebaute Trennungssituationen können helfen, das Kind schrittweise auf den Kindergartenalltag vorzubereiten. Ein Besuch alleine bei der Nachbarsfamilie oder bei der Gotte, dem Götti ist ein ideales Übungsfeld, damit das Kind solche Trennungssituationen erlebt und Vertrauen darin gewinnt, dass Mama und Papa immer wieder zurückkehren. Pro Juventute empfiehlt, mit kurzen Abwesenheitszeiten zu beginnen und die Zeitspanne zunehmend zu vergrössern.
Als Elternteil leidet man auch, wenn das Kind jeden Morgen schmerzlichst weint. Wie gehen wir Eltern selber mit unseren Gefühlen um?
Es ist verständlich, dass es Eltern in solchen Momenten schwerfallen kann, sich vom Kind zu lösen. Haben Sie Geduld und Vertrauen, wenn Ihr Kind mehr Zeit benötigt als andere, um sich an die Trennung zu gewöhnen. Eltern können sich etwa beim Abholen mit der Kindergartenlehrperson auszutauschen, wie es dem Kind tagsüber ergangen ist und wie es mit der Trennung zurechtgekommen ist. Die Kindergartenzeit bietet Kindern tolle Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten - sich diesen Mehrwert in Erinnerung zu rufen, hilft in der möglicherweise holprigen Anfangszeit.
Soll man Kinder schon vor dem Eintritt vorbereiten und wenn ja, wie?
Wir empfehlen, bereits vor dem Eintritt in den Kindergartenmit dem Kind über den Kindergartenalltag zu sprechen. Kitzeln Sie die Neugier wach und erzählen Sie, worauf man sich im Kindergarten freuen kann. Vielleicht erinnern Sie sich an eigene Kindergartenerlebnisse, die Sie Ihrem Kind anvertrauen. Gegen die Angst vor dem «Neuen» hilft vielleicht ein Besuch im Kindergarten, ein «Playdate» mit einem zukünftigen Kindergartengspändli oder das gemeinsame Ablaufen des Wegs zum Kindergarten. So wird das Selbstvertrauen des Kindes gestärkt. Weitere Tipps finden Sie in diesem Artikel.