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Schicksal Neuroblastom

Wie der Kampf gegen Krebs den kleinen Ron verändert hat

In der Schweiz erhalten jährlich 300 Kinder eine Krebsdiagnose. Der sechsjährige Ron ist eines von ihnen. Der internationale Kinderkrebstag am 15. Februar symbolisiert für ihn und seine Familie nicht nur seinen Kampf, sondern ganz viel Hoffnung.

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Ron Haftka

Ron in seinem Zimmer daheim in Buchen GR vor den Glasperlenketten, welche für die letzten beiden Jahre stehen.

Corinne Glanzmann

Wenn Sabrina Haftka (29) zu Hause in Buchen im Prättigau ein «Krällali» auf eine der Ketten fädelt, die im Kinderzimmer hängen, ist jeweils wieder ein Schritt geschafft. Jede der bunten Glasperlen steht für eine Untersuchung oder eine Behandlung, die ihr sechsjähriger Sohn in den vergangenen knapp zwei Jahren über sich ergehen lassen musste.Jetzt vermehren sie sich nicht mehr so oft. Noch alle drei Monate muss Ron ein MRI machen lassen, um zu kontrollieren, wie es um seinen kleinen Körper steht. «Haben wir es geschafft, sind wir auf dem Berg?», fragt Ron ab und zu. «Fast», sagt sein Mami und lächelt tapfer.

Familie Haftka

Ron (r.) und sein Bruder Gian Andri wachsen mit vielen Tieren auf. Zum Pferd Alessa hat Ron ein inniges Verhältnis.

Corinne Glanzmann

Schritt für Schritt den Berg hinauf, bis sie oben angekommen sind. Dann ist das böse Tier verschwunden, das in Ron drin lebt und sich ausbreiten möchte. So hat Sabrina es Ron und seinem grossen Bruder Gian Andri (7) erklärt. Der Weg würde lang und schwer sein. Aber sie würden ihn zusammen gehen. Und sie würden oben ankommen, irgendwann, irgendwie. Denn eines wusste Sabrina Haftka rasch, als bei Ron im Mai 2023 Krebs diagnostiziert wurde: «Wenn ich nicht positiv denke, wenn ich irgendeinen anderen Gedanken zulasse als Hoffnung, dann gehen wir unter.»

Diagnose zieht Boden unter den Füssen weg

Anfang 2023 klagt Ron über wellenartige Bauchschmerzen, hat einen aufgeblähten Bauch. Der Kinderarzt findet nichts, meint, man solle es mal mit einer Ernährungsumstellung versuchen. Der Verzicht auf Laktose bringt vorübergehend Linderung – weil er dem Tumor einen Teil seines «Futters» nimmt und dieser nicht mehr so schnell wächst. Sabrina fährt mit ihren Söhnen in die Frühlingsferien nach Italien. Beim Eincremen entdeckt sie einen Knoten an Rons Hals. Sie fahren sofort nach Hause und bald zur Ärztin zum Ultraschall.

Ein paar Tage später die Diagnose: Ron hat eine Krebserkrankung des Nervensystems, ein Neuroblastom, das hauptsächlich Kleinkinder bis zu sechs Jahren trifft. Ausgehend vom Bauchraum bei der Nebenniere, hat es in den Hüftknochen und die Lymphknoten am Hals gestreut. «Mir hat es den Boden unter den Füssen wegzogen», sagt Sabrina. Die Situation ist alles andere als einfach.

Familie Haftka

Das Kispi Zürich wurde für Ron zu einem zweiten Zuhause. Sabrina: «Er sagt, in der Narkose habe er besonders schöne Träume.»

Corinne Glanzmann

Ein gutes halbes Jahr zuvor haben sich nämlich Rons Eltern getrennt. Nach der Diagnose zieht Sabrina mit den beiden Söhnen zurück zu ihrem Ex-Mann, wo auch das Nani, die Grossmutter der Buben, wohnt, um die Betreuung von Gian Andri sicherzustellen. Die gelernte Landwirtin gibt ihre Jobs in einer Beiz, als Hirtin auf der Alp und als Skilehrerin auf, um sich der zeitintensiven Behandlung von Ron zu widmen. Diese findet oft am Zürcher Kinderspital statt. Sabrina und Ron müssen dort übernachten, haben zusätzliche Auslagen. Die Stiftung Sonnenschein (siehe Box) unterstützt die Familie unter anderem mit finanziellen Beiträgen.

Ron ist erschöpft und energielos

Den ersten acht Zyklen Chemotherapie folgen eine Woche Intensiv-Chemo und drei Wochen in Quarantäne. Und dann gleich ein weiterer Monat im Spital, weil Ron Flüssigkeit in der Lunge und zu wenig Sauerstoff hat. Für eine Protonentherapie (die gezielte Bestrahlung der Krebszellen) verbringen Sabrina und Ron zweieinhalb Wochen im Paul Scherrer Institut im Aargau. Die folgenden fünf Zyklen Antikörpertherapie enden vergangenen September.

 

«Er hat sich schon verändert. Er ist unglaublich stur geworden.»

Sabrina Haftka

Es beginnt die Erholungsphase. Und Ron fällt in ein Loch. Während der kleine Bub sein Mami die ganze Zeit über mit seiner Tapferkeit, Resilienz und Lebensfreude beeindruckt, ist gut eineinhalb Jahre nach der Diagnose die Luft draussen. Ron ist erschöpft, energielos, dünnhäutig. Nur langsam wird er wieder der alte. Zumindest fast. «Er hat sich schon verändert», sagt Sabrina. «Er ist unglaublich stur geworden.» Wenn Ron nicht will, dann will er nicht. Basta. Das mag daran liegen, dass sein Leben so lange fremdbestimmt war, dass er einfach mal nichts mehr müssen will. Keine Spritzen, keine Narkosen, keine Untersuchungen und niemanden, der ihm sagt, er müsse jetzt still sitzen und tapfer sein.

Familie Haftka

Wenn Ron müde ist, muss zum Trost noch der Nuggi her. In letzter Zeit gab es Wichtigeres als die Entwöhnung.

Corinne Glanzmann

Dabei haben Mutter und Sohn auch schöne Erinnerungen an die letzte Zeit. «Wir sind in den Zoo, an den See oder durch die Stadt geschlendert», erzählt Sabrina. Dabei schiebt sie den Sechsjährigen im Kinderwagen, weil er zu schwach ist, um zu gehen.

Diagnose trifft auch Geschwisterkinder

Dass Rons Bruder dabei etwas auf der Strecke bleibt, ist Sabrina bewusst. Auch wenn sie versucht, Gian Andri so gut wie möglich miteinzubeziehen. «Er half bei Rons Pflege zu Hause mit, sogar beim Spritzengeben. Aber irgendwann hat ihn das dann nicht mehr so interessiert.» So steht jede Perle an Rons Ketten auch ein bisschen für das schlechte Gewissen seiner Mama, die so sehr versucht hat, allen gerecht zu werden, dass für sie selbst nicht mehr viel Energie übrig blieb. «Ich hatte wahnsinnig viel Unterstützung von Familie, Freunden und Bekannten, dafür bin ich sehr dankbar.» Die emotionale Schwerstarbeit konnten sie Sabrina nicht abnehmen: «Ich habe all meine Liebe meinen Kindern gegeben. Ich weiss, dass ich jetzt mal ein bisschen was für mich tun sollte. Aber noch fällt mir das schwer.»

«Sobald er hustet, schrillen bei mir die Alarmglocken.»

Sabrina Haftka

Zumal die Sorge um ihren kleinen Sohn immer noch omnipräsent ist. «Sobald er hustet, schrillen bei mir die Alarmglocken.» Sie wolle es künftig so gut wie möglich vermeiden, Ron in Watte zu packen, sagt seine Mutter. Der Kindergärtler soll mit seinem Bruder spielen und streiten können. Seine Katzen und Hühner herumtragen. Auf Bäume klettern, Ski und Schlitten fahren, mit dem Velo und seinem geliebten Kindertöff herumcruisen. Auch wenn er bis zum 20. Lebensjahr noch regelmässige MRI-Untersuchungen über sich ergehen lassen muss – weit ist es nicht mehr zur Bergspitze. Und irgendwann werden die «Krällali» an den Ketten das Einzige sein, das Ron und seine Familie noch an das böse Tier erinnert, das sich einst in ihm breitmachte.

Familienbloggerin Sandra C.
Sandra CasaliniMehr erfahren
Von Sandra Casalini vor 2 Stunden