Selbst Musikerin Co Gfeller, mit der Fabienne Wernly den Podcast «Two Moms» ins Leben gerufen hat, wusste bis vor Kurzem nichts davon: Wernly, die ihr zweites Kind unter dem Herzen trägt, hatte einen kleinen Bruder, der 1991 im Alter von fünf Monaten eines plötzlichen Kindstodes starb. Sie selbst war erst zwei Jahre alt, erinnert sich jedoch genau an den Moment, als die Sanitäter an einem Sonntagmorgen zu ihr nach Hause kamen und den kleinen Severin auf einer viel zu grossen Bahre mitnahmen. Aber erst seit sie selber Mami sei, könne sie die ganze Ladung der Trauer erfassen, die Eltern «wahrscheinlich fühlen, wenn ihr Kind stirbt».
In dieser berührenden Podcastfolge erzählt deswegen nicht nur Fabienne Wernly von ihrer Erinnerung an den Schicksalsschlag, der ihre Familie veränderte. Auch ihre Mutter Daniela Bühler öffnet sich den Hörerinnen und Hörern. Die beiden Frauen hoffen, damit anderen Betroffenen und Trauernden Mut machen zu können. Denn Daniela spricht auch davon, wie sie den Schmerz überwinden und weitermachen konnte.
1991 brachte Daniela Bühler einen gesunden Jungen zur Welt. Severin, ein kleiner Bruder für die damals zweijährige Fabienne Wernly. Er hatte ein wenig Wasser auf der Lunge und musste nach der Geburt kurz auf die Neonatologie. Aber ansonsten sei alles unkompliziert gelaufen. Nichts deutete darauf hin, dass das Kind gesundheitliche Schwierigkeiten haben könnte. Nicht einmal am Tag vor seinem Tod.
Die Mutter erinnert sich: Severin war fünf Monate alt. Es war ein schöner Sonnentag, die Familie war den ganzen Tag draussen. Abends trank Severin zwar etwas weniger als gewohnt, aber dafür meldete er sich um 4 Uhr in der Früh noch einmal. Er brauchte Nähe, wollte berührt und gestreichelt werden. Daniela stellte fest, dass er geschwitzt hatte, und gab ihm den Nuggi. Dann legte sie ihren Sohn zurück ins Bettchen und ging wieder schlafen.
Als sie um 8 Uhr morgens aufwachte, durchfuhr sie ein Schock. «Was, er hat sich nicht mehr gemeldet? Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmt.» Sie ging zum Bettchen und fand ihr lebloses Kind. Sie hörte jemanden schreien, erzählt sie. Und merkte, dass sie selbst das war. Dann der Anruf beim Kinderspital, die Wiederbelebungsversuche des Vaters, Sanität, Blaulicht. Der kleine Severin auf dieser viel zu grossen Bahre.
Daniela Bühler sagt, sie habe sofort gewusst, dass ihr Baby nicht mehr wiederkommen werde. Der Schoppen, den sie ihm hatte geben wollen, stand noch da. Die kleine Fabienne fragte nach Frühstück. Und dann wollte sie raus zum Spielen – denn als Zweijährige war es ihr unmöglich, die Situation zu erfassen. «Sie wollte schaukeln gehen» – also gingen sie schaukeln.
Genau das hat Mama Daniela in den schlimmsten Momenten Halt gegeben: Sie musste für ihr lebendes Kind weiter funktionieren. «Man hat gar keine Wahl», sagt Fabienne Wernlys Mutter. «Ich war so froh, hatte ich noch ein Kind.» Denn dieses Kind, Fabienne, habe ihr gezeigt, dass sie immer noch Mutter sei und gebraucht werde.
Weswegen Severin gestorben ist, konnte nie festgestellt werden. Er hat einfach aufgehört zu atmen. Womöglich habe er unter Schlafapnoe gelitten, im Nachhinein sehe sie Anzeichen dafür, sagt Daniela Bühler. Auch habe sie ihr Baby immer auf dem Bauch schlafen lassen und mit einer Decke zugedeckt, weil das damals so empfohlen wurde.
Heute weiss man, dass die Rückenlage Kinder vor plötzlichem Kindstod zwar nicht vollständig schützen, aber doch das Risiko minimieren kann. Wissen, das Daniela Bühler damals gefehlt hat. «Lange haben mich Schuldgefühle begleitet», sagt Fabienne Wernlys Mutter. Sie habe sich verantwortlich gefühlt, weil sie es nicht geschafft habe, ihr Kind vor dem Tod zu beschützen. Das habe ihren Selbstwert massiv geschwächt. Schliesslich habe sie in einer Selbsthilfegruppe Erleichterung gefunden.
Jetzt weiss sie: Es war nicht ihre Schuld. Es war Schicksal. Die wenigen Eltern, deren Kinder am plötzlichen Kindstod sterben, können nichts dafür. Sie haben nichts falscher gemacht als andere, deren Kinder gesund aufwachsen. Auch Co Gfeller, die zweite Moderatorin des Podcasts, pflichtet bei: «Es gibt Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Wahrscheinlich muss man an einem Punkt einfach auch sagen: Ich mache mein Bestmögliches, der Rest ist Schicksal.»
Wenn sie etwas anders machen könnte, sagt Daniela Bühler heute, dann hätte sie sich mehr Zeit genommen, um sich von ihrem Sohn zu verabschieden. Fünf Stunden nach seinem Tod durfte die Familie Severin ein letztes Mal sehen. «Ich hätte ihn gerne noch einmal selber anziehen und in den Sarg legen wollen.» Wie gross dieser Wunsch ist, hört man ihrer gebrochenen Stimme an.
30 Jahre nach Severins Tod sei der Schicksalsschlag zwar im Alltag präsent, sagt Daniela Bühler. Wenn sie jedoch über Severin spreche, sei er sofort da und die Erinnerung ganz nah. Und als Grossmutter des mittlerweile zweijährigen Emilio habe sie schon gemerkt, dass sie im ersten Lebensjahr nicht ganz so entspannt gewesen sei.
Auch Fabienne Wernly sagt, der plötzliche Kindstod ihres Bruders sowie die Herzkrankheit ihrer zwei Jahre später geborenen Schwester (auch über diesen Schicksalsschlag spricht sie im Podcast) haben bei ihr als Mama Spuren hinterlassen. Sie habe viel mehr Angst um Emilio als andere Mütter, sagt Fabienne. «Du bist dir halt bewusst, was wirklich passieren kann.» Das Brutale am plötzlichen Kindstod sei, dass man ihn nicht kommen sehe. Sie versuche jedoch, sich nicht von der Sorge leiten zu lassen. Es helfe ihr, die Vogelperspektive einzunehmen und sich die Realität vor Augen zu rufen. «Meine Hebamme sagte mir, dass nur sieben Kinder pro Jahr in der Schweiz betroffen sind – das ist nicht viel.»
Was sie tun könne, das habe sie getan, sagt Fabienne Wernly. Denn 30 Jahre nach dem Schicksalsschlag weiss die Wissenschaft zwar immer noch nicht, weswegen der plötzliche Kindstod unerwartet zuschlägt. Man kenne jedoch verschiedene Faktoren, die das Risiko minimieren können. Die Moderatorin zählt auf:
- Das Kind sollte bis zum ersten Geburtstag auf dem Rücken schlafen
- Das Kinderbett sollte möglichst frei von Kissen, Kuscheltieren und Decken sein, die zu einer Überhitzung führen können
- Die Raumtemperatur im Schlafzimmer sollte nicht zu hoch sein
- Ein Babyschlafsack ist sicherer als eine Decke
- Babys sollten in einer rauchfreien Umgebung aufwachsen
- Ein Nuggi hilft gegen plötzlichen Kindstod
- Das Neugeborene sollte in einem eigenen Bettchen liegen, dieses sollte jedoch im Schlafzimmer der Eltern aufgestellt sein
Den ganzen Podcast findet ihr hier.