Ein Sonnentag, Sandra Boner, 44, ist auch am späten Vormittag in ihrer Solothurner Wohnung. Ihre Söhne Nelson, 9, und Miles, 8, basteln, Sandra grümschelet in ihren Werkzeugkisten. Es gilt, ein paar Wackelstühle zu reparieren. Für den Nachmittag gibts noch keinen Plan. «Schauen wir dann mal», sagt Boner. Und fügt an: «Das gabs früher selten. Wir waren ziemlich durchgeplant.»
Früher – das war vor dem Schock. Im April 2018 ist die SRF-«Meteo»-Moderatorin an Brustkrebs erkrankt. Von einem Tag auf den anderen war sie weg vom Bildschirm. Nun gibt sie ein Comeback im Doppelpack: nicht nur im Leutschenbach. Auch auf der neuen Internetplattform der Schweizer Illustrierten moderiert sie neuerdings «3 in 1 – Allwettertricks mit Sandra Boner» heisst das Videoformat.
Äpfel können viel mehr als nur fein sein
Sandra Boner, wie lässt sich das Konzept der Videos erklären?
Es geht darum, aus einem alltäglichen Gegenstand drei Ideen zu entwickeln. Was kann man mit einem Teebeutel alles anstellen. Oder mit einem Apfel. Oder einem Blatt Papier. Alles Mögliche!
Mit Anstellen meinen Sie Basteln?
Basteln tönt veraltet. Nennen wir es Werken. Das machen wir sowieso die ganze Zeit, meine Jungs und ich. Zu Weihnachten, zu Ostern oder wenn wir im Wald ein Feuer machen und eine Konstruktion erfinden, dass der Topf nicht runterfällt.
Als gelernte Ergotherapeutin sehen Sie bestimmt mehr dahinter.
Natürlich. Das war das Thema meiner Diplomarbeit – wie sich handwerkliche Arbeit positiv auf Menschen auswirken kann.
Zum Beispiel?
In einem Video gestalten wir aus Fingerprints kleine Monster, Fantasie ist gefragt. In einem anderen fertigen wir aus Ballons Stressbälle, ein palpatorisches Erlebnis. Dann gibts ein duftendes Memory aus Teebeuteln, das unser Gehirn über die Nase aktiviert. Taktil kinästhetisch und mit allen Sinnen entdecken wir unsere Umwelt.
Wie kamen Sie auf die Idee?
Ich glaube, das liegt daran, dass ich als Kind am liebsten im Wald gespielt habe. In der Natur ist das völlig normal, dass man aus einem Stecken ein Schwert macht oder einen Bogen. Ich möchte meinen Buben und anderen Kindern diese Fantasiewelt eröffnen.
Woher kommt das Handwerker-Gen in Ihrer Familie?
Von meinem Vater. Meine zwei älteren Schwestern und ich, wir waren viel mit ihm in der Schreinerei. Er konnte alles: schweissen, schreinern, elektrische Installationen, Böden verlegen. Meine Mutter war fürs Feine zuständig. Mit ihr haben wir gemalt und ausgeschnitten. Sie wird sicher auch mal in einem Video mitwirken.
Wie freiwillig tun es Ihre Kinder?
Sie sind nicht bei jedem Dreh dabei, und sie durften selber entscheiden, ob sie mitmachen wollen. Als sie begeistert zustimmten, habe ich mit ihnen in einem Vertrag die Zusammenarbeit für eine Staffel festgehalten.
Welche Punkte sind dort geregelt?
Vor allem, dass ich die Chefin bin. Wenn man eine Staffel produzieren will, kann man nicht mittendrin entscheiden: So, jetzt macht es mir keinen Spass mehr. Da steht ja ein ganzes Team dahinter. Ich erklärte ihnen, welchen Aufwand die Videos bedeuten und wo sie zu sehen sein werden. Sie haben unterzeichnet.
Halten sie sich gut an den Vertrag?
Im Moment sind sie so motiviert, dass sie es eine Frechheit finden, wenn ich mal ein Video alleine drehe. Das Kamera-Gen haben sie wohl von mir geerbt. Sie sehen sich gerne am Bildschirm und finden das lustig.
Wünschen Sie sich, dass Ihre Söhne in Ihre Fussstapfen treten?
Ich hoffe doch, dass sie ihren eigenen Weg finden. Hätte ich meine ganze Lebensgeschichte vorweg gekannt, hätte ich keinen Beruf in der Öffentlichkeit gewählt.
Sie sprechen vom Brustkrebs.
Wenn man so einen Schock erlebt, muss man den erst einmal selbst verarbeiten, bevor man darüber sprechen kann.
Können Sie es jetzt?
Ich bin noch am Verarbeiten. Nach der Diagnose befand ich mich in einer Art Schockstarre, die sich jetzt erst langsam löst. Es geht aufwärts, und das Ärzteteam, das mich begleitet hat, geht davon aus, dass der Krebs besiegt ist. Das habe ich Schwarz auf Weiss.
Haben Sie das so angefordert?
Ja. Nach Weihnachten wollte ich das einfach wissen und habe meinen Arzt angefragt. Diese Antwort habe ich per E-Mail erhalten und ausgedruckt. Jedes Mal, wenn ich ins Zweifeln komme, hole ich den Satz hervor und lese ihn.
Sie wirken permanent strahlend und voller Elan. Ist das Fassade?
Klar habe ich Phasen, in denen ich mich zurückziehe, aber zu 95 Prozent ist das Sandra Boner. Ich habe mich in der ganzen Zeit nie als wirklich krank gesehen. Ich hatte einfach einen Knoten in der Brust und wusste, der muss weg.
Woher diese positive Haltung?
Das ist der natürliche Überlebenstrieb, und ich bin die Königin des Verdrängens (lacht). Nein, im Ernst, es wäre mir zu anstrengend, zu hadern. Schlechte Laune frisst so viel Kraft. Positiv durchs Leben zu gehen und das Schöne zu sehen, ist für mich der einfachste Weg. Und manchmal dem Ganzen einfach die Zunge rauszustrecken.
Dann sei die Frage erlaubt: Was war das Schönste im letzten Jahr?
Viel Zeit mit der Familie. Ein Jahr ohne Agenda.
Ohne berufliche Agenda.
Ja, Ferien waren es nicht. So eine Therapie ist streng. Obwohl ich krankgeschrieben war, habe ich mindestens 80 Prozent gearbeitet, einfach an meiner Gesundheit.
Wie hat sich Ihr Familienleben dadurch verändert?
Seit 17 Jahren arbeite ich beim Schweizer Fernsehen, oft auch abends, wenn ich für die «Meteo»-Sendung vor der Kamera stand. Das habe ich ein Jahr lang nicht mehr gemacht. Stattdessen konnte ich fast jeden Abend meine Kinder zu Bett bringen. Das war sehr schön. Und es gab plötzlich Nonsens-Zeit. Unverplante Tage, deren Qualität ich früher gar nicht zu schätzen wusste.
Wie läuft so ein Nonsens-Tag ab?
Da hat man einfach keinen Plan. Das ist für meinen Grossen eigentlich ein schlimmer Tag. Er mag Strukturen und weiss am liebsten schon frühmorgens, wie der Rest des Tages läuft. Aber durch diese Planlosigkeit ergaben sich gerade im letzten Sommer mit dem anhaltend schönen Wetter ganz viele spontane Aktionen.
Was haben Sie noch gelernt?
Dass meine Familie rund um mich stark genug ist, alles ohne mich zu stemmen. Dass ich problemlos auch abends arbeiten kann und dabei nichts verpasse. Das war auch eine schöne Erkenntnis.
Plagte Sie früher ein schlechtes Gewissen deswegen?
Es wäre gelogen, wenn ich Nein sagen würde. Vor allem, als die Kinder kleiner waren. Dieses Jahr war auch ein Übergang für die Kinder. Sie sind stark geworden, beginnen, sich abzunabeln.
Wie sind Ihre Kinder mit Ihrer Diagnose umgegangen?
Für mich war klar, dass ich ehrlich bin. Ich erklärte ihnen, wie die Sachlage ist und wie unser Plan nun aussieht: Chemotherapie, Operation, Bestrahlung, gesund.
Der Plan ist aufgegangen! Woraus haben Sie Kraft geschöpft?
Meine Familie und meine Freunde stützten mich. Auch das «Meteo»-Team und mein Chef Thomas Bucheli waren zuversichtlich, dass ich wieder auf dem SRF-Dach stehen werde. Und schliesslich darf ich sagen, dass mich die öffentliche Anteilnahme überrollt hat. Besonders, als ich im Januar wieder am TV moderierte.
Welche war die schönste Reaktion?
Es gab Leute, die vor dem Fernseher mit einem Bier angestossen haben, um meine Rückkehr zu feiern. Und all die Frauen, die mir schrieben, dass ich ihnen Mut mache. Das freut mich!
Was hätten Sie gerne gewusst, bevor das alles losging?
Dass das Leben nach der Krebsdiagnose auch grandios sein kann, anders halt, intensiver, bewusster.
Was ist besser am neuen Leben?
Ich habe gelernt, Nein zu sagen. Das gibt mir eine neue Lebensqualität. Und ich nehme das Glück in kleinen Dingen
wahr. Die Linde duftet, wow! Ohne Schmerzen aufstehen, wow! Ich kann meine Haare wieder föhnen, wow! Alles ist ein Geschenk.