Racha, deine Tochter ist bald zwei Wochen alt. Wie geht es euch?
Danke, sehr gut. Wir sind noch in der Kennenlernphase und geniessen die Zeit miteinander ganz intensiv. Sie hat schon sehr früh angefangen zuzunehmen, das Stillen klappt wunderbar und sie ist eine zufriedene Schlafmütze.
Du hast dein zweites Kind zu Hause auf die Welt gebracht. Wie bist du auf die Idee einer Hausgeburt gekommen?
Das habe ich der Corona-Krise zu verdanken. Ursprünglich wollte ich wie bei meinem ersten Kind einfach ins Spital gehen. Als dann aber klar wurde, dass ich mitten in dieser Pandemie gebären würde und mein Freund zwar bei der Geburt dabei sein könnte, nicht aber im Wochenbett, habe ich mich nach einer Alternativen umgesehen.
Und da war für dich sofort klar, es gibt eine Hausgeburt?
Nein. Wir schauten uns zunächst das naheliegende Geburtshaus an, doch das war für diesen Zeitraum bereits ausgebucht.
«Wir bereiten uns auf jede Prüfung intensiv vor. Warum also nicht auch aufs Gebären?»
Wie hast du dich auf diese Geburt vorbereitet?
Eine Doula, also eine nichtmedizinische Geburtshelferin, hatte ich mit Sandra Ackermann schon gefunden, doch ich musste mich ziemlich schnell um eine Hebamme kümmern, die dafür bereit war und hatte das Glück mit Cristina Marinello eine richtige Koryphäe an meiner Seite zu haben. Dann galt es, alles mögliche zu organisieren: etwa sämtliche Hygieneartikel, Schutzmaterial fürs Bett und einen Geburtspool. Ich habe mich zudem intensiv in das Thema eingelesen und einige Dokumentationen dazu geschaut.
Du hast dich richtig reingekniet.
Ja und zwar auf allen Ebenen: mit Hirn, Herz und Hand, also mit Geist, Emotionen und Körper. Ich verstehe nicht ganz, warum viele Frauen, wenns ums Gebären geht, so eine «Ich kuck dann mal»- und «Es kommt sowieso wie es kommt»-Haltung einnehmen. Ich meine, wir bereiten uns auf jede Prüfung intensiv vor, oder? Warum also nicht auch aufs Gebären? Das ist ja wohl eine der härtesten Prüfungen überhaupt.
Was war dir im Vorfeld sonst noch wichtig?
Ich verspürte ungefähr drei Wochen vor der Geburt den starken Wunsch, mich mit dafür geeigneten Freundinnen zu verbinden, die mich auf dieser letzten Wegstrecke und während der Geburt auf mentaler und emotionaler Ebene unterstützen würden.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Ich habe einen Gruppenchat eingerichtet, wo wir uns regelmässig austauschen konnten. Ich nannte ihn «My kind of Babyshower» (lacht). Meine Freundinnen haben mir Lieder für meine Geburts-Playlist geschickt und als es losging eine Kerze für mich und das Baby angezündet, und sich mit uns verbunden. Es hat sich ein wunderbarer Frauenzirkel um die halbe Welt ergeben: Zürich, München und New York. Ich fühlte mich sehr getragen von dieser tollen Energie.
«Auch wenn ich mit meiner Doula und meinem Partner die allerbeste Unterstützung hatte, am Ende musst du da alleine durch. Und gebären tut weh, da gibt es nichts zu beschönigen.»
Erzähl, wann ging es denn los.
Es war um den Termin Mitte April in einer Samstagacht, als ich um 11 Uhr die ersten zarten Wehen spürte. Ich informierte meine Babyshower-Freundinnen und döste weiter. Um drei Uhr wurden die Kontraktionen stärker und ich rief meine Doula an. Von da an hatte ich richtig starke Wehen.
Wie fühlte sich das im Vergleich zu deiner ersten Geburt vor zehn Jahren an?
Es war komplett anders! Dort bekam ich eine Periduralanästhesie und spürte gar nichts mehr. Das war zwar sehr angenehm, doch man bekommt halt die Wehen nicht richtig mit. Diesmal wollte ich voll und ganz dabei sein.
Wie bist du diesmal mit den Wehen umgegangen?
Ich habe im Vorfeld über Monate mit Hypnosetechniken geübt, die ich nun anwenden konnte. Ich konzentrierte mich dabei vor allem auf den Atem und aufs Loslassen. Kam eine Wehenwelle bin ich wie mitgeflossen und habe mich nicht gegen die Schmerzen gewehrt. In den Wehenpausen liess ich alles, wirklich alles los, um mich zu erholen.
Ganz ohne Schmerzmittel?
Ja. Dafür mit Tönen (lacht)
Wie meinst du das?
Von der Arbeit mit meiner Doula wusste ich, wie hilfreich und schmerzlindernd es sein kann, wenn man während der Wehen seine Stimme einsetzt und einfach Töne rauslässt. Ich hatte aber immer grosse Hemmungen, das zu tun. Während dem Gebären, wo vermeintliche Peinlichkeiten so überhaupt kein Gewicht mehr haben, sagte ich mir dann: «Racha, jetzt machs einfach.» Es war unglaublich befreiend!
Wow, so toll! Bist du nie an deine Grenzen gestossen?
Doch, es gab schon den Moment, wo ich richtig wütend wurde. Auch wenn ich mit meiner Doula und meinem Partner die allerbeste Unterstützung hatte, am Ende musst du da alleine durch – zusammen mit den Wehen und dem Baby. Und gebären tut weh, da gibt es nichts zu beschönigen.
Wie hast du in dem Moment reagiert?
Ich habe mich stinksauer für eine Viertelstunde ins Bad zurückgezogen. (lacht)
Und dann?
Um halb fünf riefen wir der Hebamme an. Sie kam um 4:52 an und sieben Minuten später, war unser Baby da.
Also hat die Geburt, von dem Augenblick an, wo du starke Wehen gespürt hast, nur zwei Stunden gedauert?
Genau. Das war auch das, was ich zuerst gedacht habe: Was? Schon vorbei? So schnell und so mühelos? Ich war wirklich baff.
Was beeindruckt dich an dieser Hausgeburt am meisten?
Dass selbstbestimmtes Gebären, ohne Schmerzmittel und Hightech-Gepiepse, wo ich als Frau das Tempo und Setting bestimme, tatsächlich so einfach funktioniert. Wir Frauen können das und sollten Gebären wieder selbst übernehmen.
Also würdest du es weiterempfehlen.
Auf jeden Fall! Wer eine problemlose Schwangerschaft erlebt, kann gut zu Hause gebären.
Gibt es auch negative Aspekte?
Man geht das Risiko ein, dass man bei einem Notfall während der Geburt ins nächste Spital verlegt wird. Das stelle ich mir sehr beängstigend vor. Und natürlich die Kosten. Eine Hausgeburt ist zwar die mit Abstand günstigste Geburt und doch muss man vieles selbst berappen.
Zum Beispiel?
All die Hygieneartikel, die wir anschaffen mussten, die Miete des Geburtspools und den Pikettdienst der Hebamme. Die Doula wird schon gar nicht von der Krankenkasse anerkannt. Dabei ist ihre Arbeit so wichtig und wertvoll! Insgesamt haben wir rund 2000 Franken selbst bezahlt.
Eine Frechheit!
Das finde ich auch. Vor allem wenn man bedenkt, wie viel teurer eine Spitalgeburt ist. Das macht keinen Sinn.
Hast du deine Nachbarn eigentlich im Vorfeld darüber informiert? Du lebst ja in einer gemieteten Dachwohnung.
Klar! Nicht, dass sie noch die Polizie rufen… (lacht).
Und wie haben sie reagiert?
Völlig entspannt. Sie fandens toll und freuen sich über den Zuwachs in der Nachbarschaft.
Danke, Racha, für dieses unglaublich offene und ehrliche Gespräch. Ich wünsche mir, dass du mit deiner Geschichte viele Frauen inspirieren kannst.
Sehr gern geschehen und ich danke dir.
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